Hamburg. Die 0:1-Heimniederlage gegen Darmstadt 98 offenbart grundlegende Schwächen der Hamburger Mannschaft.

Die erste Panne des Tages erlebten die Fußballprofis des FC St. Pauli am Sonnabend schon rund zwei Stunden vor ihrem Spiel gegen Darmstadt 98. Die werbewirksame Anreise der Mannschaft vom Hotel am Dammtor zum Millerntor-Stadion mit einem emissionsfreien Wasserstoffbus der Hamburger Hochbahn AG (HHA) fiel kurzfristig aus – wegen eines Softwarefehlers bei dem hochmodernen Gefährt. Der Fehler habe zwar behoben werden können, doch man wolle kein Risiko eingehen, hieß es vonseiten der HHA. Demnächst soll es einen neuen Versuch geben.

Eine neue Chance, gegen Darmstadt zu spielen, hätten St. Paulis Profis nach dem Abpfiff auch gern in Anspruch nehmen wollen. Doch das ist in der realen Ligawelt eben nicht vorgesehen. Daher geht die 0:1-Heimniederlage unwiderruflich in die Wertung der Zweitligasaison 2019/20 ein. Das Ergebnis, aber vor allem auch das Spiel gegen den bisherigen Tabellen-17. waren ein ziemlich ernüchternder Rückschlag für die Mannschaft, die zuvor sechs Spiele in Folge ungeschlagen geblieben war und drei Heimsiege hintereinander gefeiert hatte.

Kritik von Daniel Buballa

Der vierte Erfolg in Serie im eigenen Stadion und damit die Egalisierung der vier Heimerfolge im Frühjahr 2015 war jedoch recht weit entfernt und wäre auch nicht verdient gewesen. Es war immerhin sehr erfreulich zu hören, wie selbstkritisch die Spieler keine halbe Stunde nach dem Abpfiff ihren Auftritt bewerteten. „Sowohl mit dem Ball als auch ohne Ball hat uns die letzte Zielstrebigkeit, die letzte Durchschlagskraft und Entschlossenheit gefehlt“, sagte etwa Kapitän Daniel Buballa. Und weiter: „Das, was man uns in den letzten Spielen angemerkt hat, dass wir mit aller Macht gewinnen wollen, war heute nicht da. Ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht hat ein wenig die Nervosität eine Rolle gespielt. Als es darum ging, etwas abgezockter zu sein und auf den richtigen Standard zu warten, waren wir nur zweiter Sieger.“

Neben dieser Cleverness vermissten die Anhänger vor allem aber fußballerische Stilmittel, um einen tief stehenden, defensiv gut organisierten, bei seinen wenigen Vorstößen aber lange Zeit harmlosen Gegner in Verlegenheit zu bringen. „Wir waren viel in der gegnerischen Hälfte, aber waren dabei zu wenig torgefährlich“, sagte Trainer Jos Luhukay treffend. Tatsächlich gab es im gesamten Spiel keine Tormöglichkeit, bei der die St. Paulianer für sich hätten reklamieren können, Pech gehabt zu haben. Und so war dieses zehnte Saisonmatch das erste, in dem St. Pauli kein eigener Treffer gelang.

Schwere Nachlässigkeit

Das Spiel gegen Darmstadt offen­barte, dass das Millerntorteam weiterhin große Probleme hat, wenn sich der Gegner weit zurückzieht und damit die Räume für ein Tempospiel mit Läufen in die Tiefe nicht vorhanden sind. Zuletzt hatte es St. Pauli in seinen sechs Spielen ohne Niederlage mehr mit Teams zu tun, die auch selbst die Initiative übernehmen. Diese kleine Erfolgsserie mit zwölf Punkten hatte die Frage aufgeworfen, ob St. Pauli womöglich schon ein Spitzenteam ist. Die eindeutige Antwort darauf gab jetzt das Darmstadt-Spiel: noch längst nicht.

Zur fehlenden Cleverness gehörte auch, dass es nicht einmal beim 0:0 blieb, sondern St. Pauli den Hessen durch eine schwere Nachlässigkeit beim Verteidigen eines Eckballs auch noch den Siegtreffer ermöglichte. Es war mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Zufall, dass der entscheidende Gegentreffer nur zwei Minuten nach der Auswechslung des leicht angeschlagenen Abwehrchefs James Lawrence fiel – durch einen Kopfball nach einer Ecke.

Bitteres Tor

Daniel Buballa und auch Trainer Jos Luhukay betonten nach dem Spiel, dass es bei solchen Standards eine klare Zuordnung gibt. Beide aber konnten (oder wollten) sich nicht daran er­innern, wer für den Torschützen Viktor Palsson zuständig gewesen war. Ryo Miyaichi befand sich in dieser Szene zwar am nächsten zum bulligen Isländer, hatte aber mit seinen 71 Kilogramm Körpergewicht nicht den Hauch einer Chance, ihn ernsthaft am gezielten und wuchtigen Kopfball zu hindern. Dies kann daher auch nicht die geplante Zuteilung gewesen sein, oder es war ein krasses „Mismatch“, wie man im Boxen sagen würde.

„Es ist unglaublich, dass wir so ein Tor bekommen, sehr bitter“, sagte Mittelfeldspieler Marvin Knoll, der zum Zeitpunkt des Gegentreffers bereits ausgewechselt war. Der Mittelfeldspieler hatte selbst bereits in der dritten Minute mit einem Distanzschuss, der das Tor um gut einen Meter verfehlte, ein erstes positives Signal gesendet. Viel mehr Erwähnenswertes aber kam danach auch von ihm nicht mehr. Es war im Übrigen schon das vierte Gegentor in dieser Saison nach einer Ecke und das fünfte nach einer Standardsituation. Auch das sind keine Werte eines Spitzenteams.

„Nach so einem Spiel sitzt man in der Kabine und weiß, wie unnötig die Niederlage war“, fand Robin Himmelmann die treffenden Schlussworte.

Offensivspieler Luis Coordes (20), der seit Wochen nicht mehr am Mannschaftstraining teilgenommen hat, leidet an einer Schambeinentzündung. Dies berichtete jetzt Trainer Jos Luhukay. „Er hat zuletzt wieder zwei, drei Tage auf dem Platz gestanden, aber bei dieser Verletzung weiß man nicht, wie die Reaktion ist“, sagte er. Die Genesung könne drei Wochen, aber auch drei Monate oder länger dauern.