Oliva Nova . Geschäftsführer konkretisiert die Pläne nach der Trennung von U! Sports. DFL soll Europas „sozialste und fannächste Liga“ sein.

Am Montagvormittag verfolgte Andreas Rettig noch aufmerksam die intensive Trainingseinheit des Zweitligadritten in Oliva Nova, ehe der Geschäftsführer des FC St. Pauli die Rückreise nach Deutschland antrat. Gemeinsam mit Vereinspräsident Oke Göttlich wird Rettig an diesem Dienstag beim Neujahrsempfang der Deutschen Fußball-Liga (DFL) in Frankfurt präsent sein, intensive Gespräche führen und für seinen Club und dessen Standpunkte Flagge zeigen. Zuvor aber nahm sich Rettig in Spanien noch die Zeit, um im kleinen Kreis von Journalisten über die konkrete Umsetzung der am 1. Juli beginnenden Eigenvermarktung des Vereins, die daraus resultierenden finanziellen Vorteile so­wie neue Forderungen an die DFL zu sprechen.

Bereits im Herbst 2017 hatte Präsident Oke Göttlich angekündigt, nach der Rückholung der Merchandisingrechte in den Verein künftig auch die Vermarktung nicht mehr einer externen Agentur zu überlassen, sondern sie in die eigene Hand zu nehmen. „Wir haben ein Jahr lang verhandelt mit den drei großen Vermarktern, also IMG, Infront und Lagadere, zu dem auch unser bisheriger Vermarkter U! Sports gehört. Dazu kamen noch zwei, drei andere.
Wir haben alle Optionen gegeneinander abgewogen. Wenn wir die Fremdvermarktung fortgesetzt hätten, wäre U!Sports der Partner geblieben“, berichtete Rettig jetzt.

Zwei neue Mitarbeiter

Nun aber läuft der Vertrag am 30. Juni aus, der FC St. Pauli hat mit Dirk Schlünz bereits einen Vermarktungschef eingestellt und dazu zwei neue Mitarbeiter. Vier weitere sollen das Team vervollständigen. „Die Entscheidung für die Eigenvermarktung folgt dem vom Präsidium vorgegebenem strategischen Ansatz der Unabhängigkeit. Wir haben großen Respekt und Demut vor dieser Aufgabe“, sagt Rettig.

Letzteres gilt auch deshalb, weil U! Sports dem Club in der aktuellen Saison den bisher höchsten Vermarktungserlös in der Zweiten Liga beschert hat. Dies steht jetzt schon fest, obwohl das Geschäftsjahr noch bis zum 30. Juni läuft. Eine konkrete Summe will Rettig nicht nennen, sagt aber: „Die Vermarktungserlöse liegen über den Medienerlösen und sind der größte Einzelposten.“ Dies bedeutet, dass in dieser Spielzeit die Einnahmen aus der Werbung und dem Verkauf der 39 Separées (Logen) und Businessseats im Millerntor­-Stadion mehr als die gut zwölf Millionen Euro aus der medialen Verwertung, insbesondere der TV-Gelder, ausmachen.

Intensivere Vernetzung

„Je höher die Erlöse bisher sind, desto mehr Provision fließt auch an den Vermarkter, sodass bei uns anteilig weniger ankommt“, erläutert Rettig. „Wenn wir also annähernd das Ergebnis dieses Geschäftsjahres wieder erreichen, bleibt letztlich aus der Differenz zwischen zu zahlender Provision und eigenen Kosten für die Vertriebsmannschaft die angestrebte wirtschaftliche Verbesserung.“

Nach Informationen des Abendblatts liegen die bisher fälligen Provisionen durchschnittlich bei annähernd 20 Prozent, was jetzt eine Summe von rund 2,5 Millionen Euro ausmacht. Die Personalkosten für das neue, siebenköpfige Vertriebsteam dürften sich dagegen noch im sechsstelligen Bereich bewegen. Allein über diesen Weg hätte der FC St. Pauli also einen finanziellen Vorteil von 1,5 bis zwei Millionen Euro aus der Eigenvermarktung.

Die Clubführung plant zudem eine deutlich intensivere Vernetzung zwischen der Vermarktung und anderen Abteilungen wie dem Merchandising und dem Marketing. „Inhaltlich ist es ein Vorteil, dass wir in der Vermarktung jetzt nicht nur die Profiabteilung, sondern auch das Nachwuchsleistungszen­trum und die Amateurabteilungen als mögliche Plattformen anbieten können. Wir wollen schauen, wo wir etwas bündeln und damit im Markt noch attraktiver auftreten können. Wir sind damit breiter im Spektrum, also etwa für Firmen, die gern den Nachwuchs, aber nicht den Profifußball unterstützen können oder wollen“, sagt Geschäftsführer Rettig, der „lebenslange Partnerschaften“ mit Sponsoren anstrebt.

Eigenvermarktung birgt auch Risiken

„Wir werden uns immer in einem Spannungsfeld bewegen zwischen Markenpflege und Erhalt der Werte unseres Vereins auf der einen Seite und Verkaufen, Vertrieb und Geldverdienen auf der anderen Seite. Wir streben aber an, unseren Partnern eine Rundum-Betreuung in allen Bereichen anzubieten. Hierzu gehört auch das Millerntor-Stadion als Veranstaltungsort“, sagt er weiter.

Um es auf einen Nenner zu bringen: Die Eigenvermarktung soll für St. Pauli durch die Vermeidung von Provisionszahlungen an Externe, bisher ungenutzte Möglichkeiten und innovative Angebote ein Millionengeschäft werden. Dem steht das Risiko gegenüber, dass das eigene Vermarktungsteam bei Akquise von Werbepartnern und Logenmietern weniger erfolgreich ist, als es
U! Sports bisher war. „Die Latte liegt hoch“, sagt Rettig denn auch mahnend.

Unterdessen plädiert St. Paulis Geschäftsführer dafür, dass die DFL künftig andere Ziele als bisher in den Vordergrund stellen sollte. „Wollen wir im europäischen Vergleich die umsatzstärkste Liga sein, oder wollen wir nicht lieber ganz andere Schwerpunkte setzen? Wollen wir nicht die sozialste Liga, die wirtschaftlich solideste Liga, die solidarischste Liga und die fannächste Liga sein? Ich finde, dass wir gut daran täten, den Scheinwerfer nicht nur auf den reinen Umsatz zu richten“, sagt er. Immerhin sei die Bundesliga mit ihren im Vergleich zu den anderen europäischen Topligen niedrigen Eintrittspreisen in sozialer Hinsicht beispielgebend. Daran gelte es festzuhalten.

Dafür wird Rettig beim DFL-Neujahrsempfang sicherlich mit der gewohnten Vehemenz eintreten.