Hamburg. Nach der Gala gegen den KSC wächst der Glaube an den Klassenerhalt. Mehrere Faktoren bedingen diese Entwicklung.
„Es ist nur ein Sieg, wir haben noch nichts erreicht“, sagte Trainer Ewald Lienen – und musste dennoch breit grinsen. Nach dem berauschenden 5:0 vom Montagabend gegen den direkten Abstiegskonkurrenten Karlsruher SC war es schwer, Mäßigung zu predigen. Also freuen: über den höchsten Saisonsieg des FC St. Pauli, drei extrem wichtige Punkte, den Sprung auf Platz 15, ein zu null, Selbstvertrauen. Den Klassenerhalt!
Halt. Noch nicht. „Es ist nicht so, dass wir jetzt sorgenfrei wären, wenn wir die Tabelle anschauen“, mahnte Geschäftsführer Andreas Rettig nach dem Sprung auf Platz 15. Schließlich liegt Arminia Bielefeld auf Relegationsplatz 16 nur zwei Punkte zurück, die beiden Schlusslichter Aue und Karlsruhe haben drei Zähler Rückstand. „Es ist nicht der Moment, sich auf die Schulter zu klopfen“, erinnerte Lienen, „wir sind noch mittendrin im Abstiegskampf.“
Kommentar: Ein Hoch auf St. Paulis Fankultur
Aber eben wieder aussichtsreich. Die Chance auf die Rettung ist real. Von den letzten vier Partien hat St. Pauli drei gewonnen und nur ein Spiel von den letzten acht verloren. 15 der jetzt 21 Zähler holten die Kiezkicker in den letzten acht Partien seit dem 0:0 gegen Kaiserslautern am 15. Spieltag am 2. Dezember 2016. Nur die Aufstiegskandidaten Stuttgart, Hannover und Union Berlin waren seitdem erfolgreicher. Was also ist am Millerntor passiert?
Bilder vom 5:0 gegen Karlsruhe:
5:0 im Abstiegskracher! FC St. Pauli wie im Rausch
St. Pauli hielt an Trainer Lienen fest. Es herrscht Ruhe im Verein.
Den großen Knall gab es am 1. November vergangenen Jahres. Der Club war mit sechs Punkten Tabellenletzter. Aber nicht der populäre Trainer musste gehen, sondern der in der Mannschaft wenig beliebte Sportchef Thomas Meggle, dessen Job Geschäftsführer Andreas Rettig seitdem in Doppelfunktion miterledigt. Gleichzeitig wurde Olaf Janßen, zuvor VfB Stuttgart, als Co-Trainer verpflichtet, der überwiegend im Hintergrund wichtige Arbeit mit dem Team leistet. Jeder Stein sei umgedreht worden, sagte Präsident Oke Göttlich, nachdem die Entscheidung für Lienen und gegen Meggle gefallen war, der Torjäger Aziz Bouhaddouz und Cenk Sahin verpflichtete, aber am Ende weniger Rückhalt hatte: „Ewald erreicht die Mannschaft.“
Die Neuzugänge sind „angekommen“, die Winterzugänge schlagen ein.
Bouhaddouz, Sahin und Mats Möller Daehli waren die drei herausragenden Spieler am Montag. Zwei Neuzugänge vom Sommer und ein Wintertransfer. Sahin und Bouhaddouz räumen beide ein, dass sie Anlaufzeit gebraucht hätten, bis sie sich an St. Pauli gewöhnt hatten. „Ich war vorher lange verletzt, brauchte Spielpraxis, die Umgebung war neu für mich“, sagte Sahin, „aber ich habe viel gearbeitet und fühle mich immer besser.“ Die Winterhilfen Möller Daehli und Johannes Flum haben sofort die Erwartungen erfüllt. Flum bringt zusätzliche Stabilität im Mittelfeld, der Norweger Möller Daehli spielerische Klasse und Kreativität. Zwei Volltreffer, und auch Rückkehrer Lennart Thy spielt als Alternative für den Angriff eine wichtige Rolle.
Der dritthöchste Sieg in der Geschichte der Montagsspiele
Ende der Verletztenmisere, interner Konkurrenzkampf.
Gegen den KSC hatte Trainer Lienen mit Ausnahme von Joel Keller alle Spieler zur Verfügung. Es gibt Alternativen auf jeder Position, die Mannschaft stellt sich wie über weite Strecken der Hinrunde nicht mehr quasi selbst auf. „Der tägliche Konkurrenzkampf im Training ist absolut leistungsfördernd“, sagt der Coach. Torwart Philipp Heerwagen unterstreicht dies: „Wenn du jemanden im Nacken hast, werden die letzten zehn Prozent rausgeholt, kein Spieler will seinen Platz wieder verlieren. Dafür geben alle schon im Training alles. Davon profitieren wir.“
Neue Stabilität in der Abwehr, wenig Gegentore.
27 Gegentore in 22 Saisonspielen klingt jetzt nicht wirklich schlimm – beim HSV hat es schon 45-mal eingeschlagen –, das Problem war oft der Zeitpunkt. „Wir hatten viele Spiele, in denen wir früh in den Rückstand geraten sind“, analysiert Lienen, „dann läufst du immer hinterher, hast keinen Raum, und die Gegner können kontern.“ Das traf insbesondere in der Horrorserie zwischen dem siebten und 16. Spieltag zu, als St. Pauli achtmal verlor, einmal unentschieden spielte und dabei nur zwei Treffer erzielte. Seit der Partie gegen Kaiserslautern (0:0) am 17. Spieltag gab es viermal keinen Gegentreffer, nur Bochum (1:1) und Stuttgart (0:1) konnten gegen St. Pauli in Führung gehen. „Alle zehn Spieler vor mir laufen wie verrückt, schließen die Lücken und stehen kompakt“, sagt Keeper Heerwagen. Rechtsverteidiger Jeremy Dudziak, Innenverteidiger Marc Hornschuh, Lasse Sobiech und Bernd Nehrig sind konstant in guter Form. „Die Mannschaft hat sich das hart erarbeitet und im Wintertraining viel dafür getan“, lobt Lienen.
„Wir sind ein Team“. Der wiedererwachte Mannschaftsgeist.
Es ist offenbar keine Floskel. Diese Mannschaft steht wirklich zusammen. Die Reservisten empfinden sich als Ergänzungsspieler, wissen um ihre wichtige Funktion im Team, Egoismen gibt es zurzeit nicht. „Nur gemeinsam können wir es schaffen“, hat der Trainer vorgegeben – und St. Paulis Spieler glauben offenbar daran. So ist der Klassenerhalt tatsächlich möglich.