Hamburg. Nach dem 5:0 gegen den KSC scheint sich St. Paulis Strategie endgültig zu bewähren, trotz Krise am Trainer festgehalten zu haben.

Vor dem Anpfiff ähnelten sich noch die Gemütslagen von Mirko Slomka (l.) und Ewald Lienen
Vor dem Anpfiff ähnelten sich noch die Gemütslagen von Mirko Slomka (l.) und Ewald Lienen © Imago/Eibner

Ewald Lienen genoss mit erhobenen Armen die Huldigungen der treuesten Anhänger des FC St. Pauli, Mirko Slomka stapfte mit versteinerten Gesichtszügen in die Kabine, begleitet von Pfiffen der 1200 aus Karlsruhe mitgereisten Fans. Wie ziemlich beste Freunde hatten sich die beiden Trainer vor dem Kellerduell am Millentor sehr herzlich begrüßt, nach dem 5:0 (1:0)-Triumph der Hamburger trennten sich schnell ihre Wege – auch in der Tabelle.

Der dritthöchste Sieg in der Geschichte der Montagsspiele

Dabei war der höchste Saisonsieg der Hanseaten weit mehr wert als nur drei Punkte und der Sprung von Platz 17 auf Platz 15 der Zweitliga-Tabelle. Denn es kristallisiert sich langsam heraus, dass das branchenunübliche Festhalten am lange glücklosen Lienen nun doch Früchte tragen könnte.

Die Statistik

FC St. Pauli

Heerwagen - Dudziak, Gonther, Hornschuh, Buballa - Nehrig (70. Thy), Buchtmann - Sobota, Möller Daehli (63. Flum), Sahin (75. Kalla) - Bouhaddouz. - Trainer: Lienen

Karlsruher SC

Orlishausen - Bader, Thoelke, Figueras, Kempe (46. Mavrias) - Prömel, Meffert - Yamada, Stoppelkamp (53. Hoffer) - Mugosa (62. Mehlem), Diamantakos. - Trainer: Slomka

Schiedsrichter

Günter Perl (Pullach)

Tore

1:0 Möller Daehli (12.), 2:0 Sobota (50.), 3:0 Bouhaddouz (52.), 4:0 Bouhaddouz (58.), 5:0 Bouhaddouz (79.)

Zuschauer

29.073

Gelbe Karten

Sahin (7) - Kempe (7)

Ecken

4:5

Ballbesitz

45:55 %

Zweikämpfe

78:77

1/9

St. Paulis Geduld mit Lienen zahlt sich aus

Nach 14 Spieltagen stand St. Pauli mit nur sechs Punkten abgeschlagen am Tabellenende. Aus den letzten acht Partien holte der Kiezclub nun satte 15 Zähler. "Wichtig war, dass der Club auch in schwierigen Zeiten immer die Ruhe bewahrt hat. Dazu war uns klar, dass wir es nur als Einheit schaffen können“, erklärte Lienen nach dem Spiel gegen Karlsruhe. Der 63-Jährige steht quasi unter Artenschutz, denn anders als bei den anderen in den Abstiegskampf verwickelten Clubs griffen die Verantwortlichen nicht zum branchenüblichen Mittel Trainerwechsel.

Zum siebten Mal in der Zweitliga-Geschichte durften St. Paulis Fans am Millerntor über ein 5:0 jubeln
Zum siebten Mal in der Zweitliga-Geschichte durften St. Paulis Fans am Millerntor über ein 5:0 jubeln © Witters

„Wir sind davon überzeugt, dass wir mit Ewald Lienen auf der Bank die besten Chancen haben, den Klassenverbleib zu schaffen“, wiederholte Geschäftsführer und Interims-Sportchef Andreas Rettig im Herbst geradezu gebetsmühlenartig. Immerhin hatte Routinier Lienen den Club schon 2014/15 aus einer ähnlich prekären Lage in sichere Gefilde geführt. Clubchef Oke Göttlich, der den Ex-Profi damals überraschend an die Elbe gelotst hatte, verwies immer wieder darauf, dass auch ein neuer Übungsleiter keine Garantie für die sportliche Rettung biete.

Die Winter-Transfers sitzen

Das eingesparte Geld steckte man lieber in den Kader, der durch die Winter-Zugänge Mats Möller Daehli, Johannes Flum und Lennart Thy sinnvoll verstärkt wurde. Zudem steht ein halbes Dutzend Akteure, die verletzungsbedingt in der Hinserie immer wieder Lücken rissen, Lienen nun topfit zur Verfügung. "Plötzlich habe ich eine halbe erste Mannschaft auf der Bank und kann jeden bedenkenlos einwechseln", umriss Lienen nach der einseitigen Partie fast euphorisch seine ungewohnt breite Auswahl an einsatzbereiten Profis.

Einzelkritik: Herwagen hält, Nehrig räumt auf

"Das ist auch der Grund, warum wir zuletzt viel weniger Gegentore bekommen haben. Jetzt können wir nach einer Führung unsere Stärke, das Konterspiel, viel besser einbringen“, analysierte Lienen. Wie gegen den KSC, als Möller Daehli (12.) mit dem frühen 1:0 die Basis zum späteren Erfolg legte. Waldemar Sobota (50.) sowie Torjäger Aziz Bouhaddouz (52./58./79.) mit einem lupenreinen Hattrick schraubten das Ergebnis in die Höhe. "Ich wusste nachher gar nicht mehr, was ich machen sollte“, scherzte Lienen angesichts des Torrausches.

Lienen und Rettig als Mahner

Zugleich warnten die St. Paulianer davor, den positiven Trend überzubewerten. "Es ist noch nicht der Moment, uns auf die Schulter zu klopfen und ein Resümee zu ziehen. Aber wir sind auf dem richtigen Weg, den müssen wir konsequent weiter gehen", sagte Lienen. Und Rettig mahnte: "Wir sind in der Tabelle noch nicht sorgenfrei."

Allerdings hätte St. Paulis Gegner vom Montagabend wohl gerne deren Sorgen. Denn man KSC gleicht die Formkurve einer Direttissima Richtung Tabellenende mit Zwischenstopp auf dem direkten Abstiegsplatz 17. Die dritte Niederlage in Serie, vor allem, wie sie zustande kam, ließ eine Menge Fragen bezüglich des Teamspirits bei den Gästen offen.

Kreuzer mit Verbalrundumschlag

Während Slomka in erster Linie fußballerische Probleme einräumte, davon sprach, "fast alle wichtigen Zweikämpfe verloren zu haben" und seinen Schützlingen bescheinigte "nur hinterhergelaufen zu sein", nahm Sportdirektor Oliver Kreuzer die viel gravierenderen Einstellungsdefizite verbal ins Visier.

"Ein schlimmer Auftritt, ich bin schockiert. So hat man in der 2. Liga keine Chance und so unmöglich darf man sich auch nicht präsentieren. Da muss einiges überdacht werden, besonders das Zweikampfverhalten", donnerte der einstige Bayern-Profi ins Sky-Mikrofon.

Nach Abpfiff sicherte sich Hattrick-Schütze Aziz Bouhaddouz (r., mit Mats Möller Daehli) den Spielball
Nach Abpfiff sicherte sich Hattrick-Schütze Aziz Bouhaddouz (r., mit Mats Möller Daehli) den Spielball © Witters

Den als Retter verpflichteten Slomka, seit Jahresbeginn Chefcoach bei den Badenern, nahm Kreuzer von seiner Kritik aber ausdrücklich aus: "Der Trainer hat genügend Erfahrung und weiß, was zu tun ist. In erster Linie sind jetzt die Spieler gefordert."

Das gilt natürlich auch für die Kiezkicker, diesmal angeführt vom dreifachen Torschützen Aziz Bouhaddouz, der sich zur Feier des Tages den Spielball unter den Nagel riss. Der Marokkaner formulierte eine Mischung aus Zuversicht und Wachsamkeit: "Als Mannschaft haben wir uns jetzt gefunden, trotzdem ist der Tabellenplatz nur eine Momentaufnahme."