Hamburg. Der neue Sportvorstand will jungen Spielern beim HSV wieder mehr Chancen geben. Wann holt er seinen ersten Neuzugang?

Es waren viele Stunden, die Stefan Kuntz und Claus Costa am Donnerstag gemeinsam im Auto verbrachten. Die beiden früheren Spieler des VfL Bochum, die sich in der Saison 1998/99 an der Castroper Straße mehrfach über den Weg gelaufen sind, schauten sich am Abend zusammen das Relegationsspiel zwischen Bochum und Fortuna Düsseldorf an, bei dem Kuntz als Experte für Sat.1 im Einsatz war. Dreieinhalb Stunden fuhren sie von Hamburg aus ins Ruhrgebiet, dreieinhalb Stunden in der Nacht wieder zurück. Viel Zeit also, um über ihre gemeinsame Vergangenheit beim VfL, aber vor allem auch über ihre gemeinsame beim HSV zu sprechen.

Dass der neue Sportvorstand und der bisherige Sportdirektor künftig zusammen auf der Geschäftsstelle des Volksparkstadions arbeiten werden, war eine von mehreren Entscheidungen, die Kuntz am Mittag bei seiner Vorstellung verkündet hatte. Auch mit Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch, genau wie Costa ein Vertrauter des am Dienstag freigestellten Vorgängers Jonas Boldt, geht es weiter. „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich auf seine Expertise verzichten werde“, sagte Kuntz, der 2016 Nachfolger von Hrubesch als Trainer der deutschen U-21-Nationalmannschaft wurde und anschließend unter dem Sportdirektor Hrubesch beim DFB arbeitete. „Horst hat mir beim DFB den Rücken freigehalten.“

Baumgart bleibt Trainer des HSV

Schließlich stellte Kuntz dann noch klar, dass auch Cheftrainer Steffen Baumgart seine Arbeit beim HSV fortsetzen wird. Diese Frage wurde mit Spannung erwartet, nachdem der 52-Jährige unter Boldt zuletzt ein wenig an Rückhalt verloren hatte. „Ich habe mit Steffen gestern vier Stunden gesprochen und heute Morgen noch mal. Er hat hier noch keine Vorbereitung absolviert, noch keine Transfer-Vorstellungen umsetzen können. Deswegen empfinde ich es nicht als HSV-like, jetzt den Trainer infrage zu stellen. Darum werden wir mit ihm weitermachen.“

Und auch die Mitarbeiter der Geschäftsstelle, bei denen sich der Europameister von 1996 am Donnerstagmorgen mit Franzbrötchen und einer Begrüßungsrede vorgestellt hatte, bekamen von Kuntz das Vertrauen ausgesprochen. Der neue Sportvorstand kommt alleine und ohne Vertrauenspersonen zum HSV. Kuntz will sich zunächst selbst ein Bild machen von den Mitarbeitern und erst durch zahlreiche Gespräche herausfinden, ob er auf der einen oder anderen Position Veränderungsbedarf sieht.

Als Spieler hatte Kuntz im Volkspark keinen Erfolg

Weiter so wie bisher, aber doch irgendwie anders – so könnte man die Situation beim HSV nach dem Amtsantritt von Kuntz beschreiben. Nachdem der Aufstieg sechs Mal in Folge missglückte, soll es im siebten Anlauf unter Kuntz klappen. Aber auch nicht mit der Brechstange. Kuntz, der einen Zweijahresvertrag unterschrieben hat, peilt den Aufstieg an. „Ich möchte den HSV in der Bundesliga sehen“, sagte der 61-Jährige. So wie in seiner aktiven Zeit als Spieler, in der er mit mit Bochum, Bayer Uerdingen, Kaiserslautern und Bielefeld neun von 15 Spielen im alten Volksparkstadion verloren hatte. Erinnerungen Peter Hidien oder Peter Nogly bereiten ihm noch heute „Schmerzen“.

Als Sportvorstand will er den HSV nun zurück in die Bundesliga führen. Der Aufsichtsrat um seinen Vorsitzenden Michael Papenfuß (siehe Text unten) gibt ihm dafür mindestens zwei Jahre Zeit. Zeit, die das Kontrollgremium Boldt nach fünf Jahren nicht mehr geben wollte.

Kuntz hatte die Räte bereits vor einer Woche mit seiner positiven Energie und seinen Analysen überzeugt. Und auch am Donnerstag wurde auf dem Pressepodium des Volksparkstadions deutlich, warum Kuntz in den vergangenen Jahren neben seinen Trainertätigkeiten auch als Keynote-Speaker für Themen wie Motivation und Teamgeist sein Geld verdiente. Mit diesen Fähigkeiten führte er die deutsche U21 zweimal zum Europameistertitel (2017/2021) und ein weiteres Mal ins Finale (2019).

Kuntz will Talenten wieder neue Türen öffnen

Nun will er auch beim HSV wieder dazu beitragen, dass junge Spieler bessere Chancen bei den Profis bekommen und die Übergangsquote vom Nachwuchsleistungszentrum zu den Profis wieder größer wird. Zuletzt hatte mit Karim Coulibaly (16) ein deutscher U-17-Nationalspieler den HSV mit viel Getöse und einem Hubschrauberflug Richtung Bremen verlassen. Mit Saido Balde (15) steht ein weiteres Toptalent vor dem Absprung.

„Das Thema war Teil unserer Analyse“, sagte Kuntz. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der HSV seine Jugendspieler nicht so entwickelt, dass sie eine Chance haben, bei den Profis zu spielen. Das ist ein Hauptaugenmerk“, sagt Kuntz. Nach seinem ersten Gespräch mit Baumgart habe sich das Thema aber erledigt. „Ich habe darüber mit Steffen gesprochen, unsere Vorstellungen sind dort deckungsgleich. Er hat bezüglich der Durchlässigkeit sehr gute Ideen vorgelegt. Die richtige Mischung wird für den Kader der kommenden Saison wichtig sein.“

Zuletzt hatte Baumgart mit Boldt bereits die ersten Transfers geplant und über potenzielle Neuzugänge gesprochen. Nun wird Baumgart diese Gespräche mit Kuntz und Costa führen und fortsetzen. Noch hat der HSV keinen Neuzugang verpflichtet. Der neue Sportvorstand stellte klar: „Es wird keinen Stefan-Kuntz-Kader und keinen Steffen-Baumgart-Kader geben, sondern einen HSV-Kader“.

Boldt bot Kuntz seine Hilfe an

Boldt hatte Kuntz bereits angeboten, bei der Übergabe zu helfen. Die beiden pflegten in den vergangenen Jahren immer einen guten Kontakt und hatten im Winter darüber verhandelt, ob der Ex-Nationalspieler Nachfolger von Trainer Tim Walter wird. Nun wird Kuntz Nachfolger von Boldt – als Sportvorstand. Boldt hatte sich am Mittwoch bei Bier und Burgern von seinen Mitarbeitern verabschiedet. Auch Kuntz lud er ein, dabei zu sein. „Das zeigt seine Größe. Wir haben miteinander geredet. So eine Staffelübergabe habe ich selten erlebt“, sagte Kuntz.

Mit seiner positiven Energie war es Kuntz selbst, der bei den HSV-Fans einen überzeugenden Eindruck hinterlassen hat. Das hatte aber auch Baumgart, als er im Februar das erste Mal auf dem Podium saß und über seinen Plan mit dem HSV sprach. Dieser Plan sah eigentlich vor, direkt aufzusteigen oder mindestens am Donnerstagabend in der Relegation gegen den VfL Bochum zu spielen. Dann wäre Kuntz allerdings auch nicht als Sportvorstand des HSV nach Bochum gefahren, sondern nur als TV-Experte.

Nun planen Kuntz und Baumgart, die beiden ehemaligen Polizisten, gemeinsam den nächsten Aufstiegsanlauf des HSV. Am Dienstag war dieser gemeinsame Weg von einigen Hamburger Fans noch bezweifelt worden, als Baumgart dem neuen Sportvorstand plötzlich nicht mehr auf dessen Instagram-Seite folgte. Baumgart, der sein Profil von seiner Tochter pflegen lässt, konnte das Missverständnis allerdings schnell ausräumen. „Steffen folgt mir wieder“, sagte Kuntz zum Abschluss seiner Vorstellung. Na dann ist ja alles gut.