Hamburg. Am Donnerstag wird der dreifache Europameister als neuer Sportvorstand beim HSV vorgestellt. Was den 61-Jährigen auszeichnet.
Die Zeit von Stefan Kuntz beim HSV begann mit einem Polizeieinsatz. Der neue Sportvorstand des Hamburger Zweitligisten war am Donnerstagmorgen vor einer Woche mit dem Aufsichtsrat des HSV im Grand Elysée zu einem Gespräch verabredet, als im Luxushotel des Unternehmers Eugen Block plötzlich eine Razzia stattfand. 100 Polizisten waren im Einsatz, um im Fall des Familienstreits um Christina Block zu ermitteln. Kuntz, früher selbst Polizist im Saarland, dürfte kurz gezuckt haben. Schließlich konzentrierte sich der 61-Jährige aber doch besser auf seinen Einsatz vor dem Kontrollgremium, das er von Beginn an überzeugte, um die Nachfolge von Jonas Boldt anzutreten.
Eine Woche später wird Kuntz, der sich am Mittwochnachmittag mit dem Flugzeug auf den Weg nach Hamburg machte, am Donnerstag um 12.30 Uhr im Volksparkstadion vorgestellt. Dann muss Kuntz die vielen offenen Fragen beantworten, die sich durch die Freistellung von Boldt ergeben haben. Was wird aus Sportdirektor Claus Costa? Bleibt Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch? Und vor allem: Macht Kuntz mit Trainer Steffen Baumgart weiter? Es wird eines der ersten Gespräche sein, das Kuntz als HSV-Funktionär führt. Möglicherweise wird er mit Baumgart auch über ihre Polizeieinsätze sprechen. Schließlich hat auch der HSV-Coach vor seiner Zeit als Profi bei der Bereitschaftspolizei in Rostock gearbeitet.
Kuntz muss Baumgart-Frage beantworten
Beim HSV könnten Kuntz und Baumgart eine Art „Good Cop, Bad Cop“ spielen – „guter Bulle, böser Bulle“, wie es in der Polizeisprache heißt. Auf der einen Seite der freundliche und fast immer lächelnde Kuntz, auf der anderen der knurrige, eher selten lächelnde Baumgart. So hat man den Trainer in den vergangenen drei Monaten beim HSV erlebt. Baumgart machte sich mit seiner etwas patzigen Art bei den offiziellen Pressekonferenzen bislang wenig Freunde. Auch Boldt soll die öffentlichen Auftritte des Cheftrainers kritisch beäugt haben, was gleichzeitig einer der Gründe war, warum Boldt die Zukunft von Baumgart am Sonntag nach dem letzten Spiel der Saison gegen Nürnberg offen gelassen hatte.
Zwei Tage später wurde Boldt dann selbst vom Aufsichtsrat freigestellt, nachdem sich die Kontrolleure am Montag mit Kuntz auf einen Vertrag geeinigt hatten. Nun lautet die entscheidende Frage: Wird sich Kuntz mit Baumgart über eine Fortsetzung einig, oder bringt der neue Manager einen eigenen Trainer und seine eigenen Vertrauensleute mit? Die beiden Ex-Stürmer sind sich zwar in den 90er-Jahren mehrfach in der Bundesliga begegnet, doch nach ihren aktiven Karrieren hatten Baumgart und Kuntz keine Berührungspunkte mehr.
Um zu erahnen, was Kuntz beim HSV verändern wird, hilft ein Blick auf seine lange Karriere. Der Europameister von 1996 hat sich durch seine vielfältigen Stationen als als Spieler, Trainer und Manager ein großes Netzwerk aufgebaut. Seine neuen Aufgaben ist Kuntz aber fast immer alleine und ohne Vertrauenspersonen im Hintergrund angegangen. So wie bei der deutschen U-21-Nationalmannschaft, die er mit seinen bis dahin nicht näher bekannten Co-Trainern Antonio di Salvo und Daniel Niedzkowski zu zwei EM-Titeln führte (2017 und 2021).
Viele seiner engsten Wegbegleiter könnte Kuntz an diesem Sonnabend im Berliner Olympiastadion treffen. Der frühere Stürmer des 1. FC Kaiserslautern gewann 1990 mit den Roten Teufeln überraschend den DFB-Pokal im Finale gegen das favorisierte Werder Bremen (3:2). Kuntz traf zum 3:0, sein kongenialer Sturmpartner Bruno Labbadia schnürte einen Doppelpack. An diesem Wochenende sind die beiden Ex-Nationalstürmer und spätere Trainer, die sich noch immer gut verstehen, eingeladen, wenn der FCK 34 Jahre danach wieder ein DFB-Pokalfinale spielt.
Als Kuntz vor drei Jahren die türkische Nationalmannschaft übernahm, holte er sich mit Kenan Kocak erstmals einen vertrauten Co-Trainer an seine Seite, den er 2002 bei Waldhof Mannheim noch selbst trainiert hatte. Zudem stieß später noch der Torwarttrainer des HSV, Sven Höh, übergangsweise zum türkischen Team dazu. Die beiden kennen sich noch aus ihrer Zeit in Kaiserslautern und treffen nun in Hamburg wieder aufeinander.
Kuntz soll Kultur auf Geschäftsstelle weiter pflegen
Einen großen personellen Umbruch soll es auf der Geschäftsstelle des HSV nicht geben. Kuntz soll die gewachsene Kultur innerhalb des Clubs, die Boldt aufgebaut hatte, weiterpflegen – anders als es mit Felix Magath oder Jörg Schmadtke, mit denen der Aufsichtsrat des HSV auch gesprochen hatte, passiert wäre. Nachdem Magath die Räte bei einem Zweitgespräch in der vergangenen Woche mit seinem Konzept erneut nicht überzeugen konnte, führte der Aufsichtsrat noch tiefergehende Gespräche mit drei Kandidaten, von denen zwei Namen nicht öffentlich wurden. Am Ende fiel die Wahl auf Kuntz, da er die Räte mit seinen detaillierten Analysen überzeugte. Die Verhandlungen führte Kuntz alleine ohne Berater.
„Wir haben nur einem einzigen Kandidaten ein Angebot unterbreitet – und dieses ging an Stefan Kuntz“, sagte Michael Papenfuß am Mittwoch bei hsv.de. Der Aufsichtsratsvorsitzende, der sich inzwischen für einen ausbleibenden Rückruf bei Magath entschuldigt hat, teilte zudem mit, dass der Vorstand mit Kuntz und Eric Huwer (Finanzen) zunächst ausreichend besetzt ist und es keinen weiteren Vorstand geben wird, also auch keinen CEO.
Die Rolle des Vorstandsvorsitzenden hatte Kuntz in seiner Zeit von 2008 bis 2016 in Kaiserslautern ausgeführt. Er schaffte zunächst den kaum noch für möglich geglaubten Klassenerhalt in der Zweiten Liga, stieg zwei Jahre später in die Bundesliga auf. In Erinnerung geblieben ist aber auch sein Ende beim FCK, das Kuntz noch heute nachhängt. Er hatte 2013 durch eine Fananleihe sechs Millionen Euro eingesammelt, die als Investition in das Nachwuchsleistungszentrum gedacht waren. Kuntz gab das Geld aber zwischenzeitlich für Transfers aus, um zunächst den Wiederaufstieg in die Bundesliga zu schaffen. Manch ein Fan fühlte sich betrogen. Nach Grabenkämpfen mit dem Aufsichtsrat musste Kuntz schließlich gehen.
Dass der heutige Sportvorstand des HSV ein gutes Auge für junge Spieler hatte, bewies er schon beim FCK. Als Vorstandschef kümmerte er sich selbst um Transfers, holte 2014 etwa den damals 21 Jahre alten Kerem Demirbay vom HSV. Als DFB-Trainer entdeckte er später Ragnar Ache bei Sparta Rotterdam und machte ihn zum deutschen U-21-Nationalspieler sowie Olympiafahrer 2021.
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Ache ist als Stürmer ein ähnlicher Spielertyp wie Kuntz und steht am Sonnabend wie sein Entdecker vor 34 Jahren mit Kaiserslautern im Pokalfinale. Kuntz wiederum steht nun beim HSV vor der Aufgabe, Spieler wie Ache zu finden, mit denen er den Aufstieg in die Bundesliga schafft. Und die Hamburger vielleicht auch irgendwann wieder ins Pokalfinale führt.