Hamburg. Die Hamburger setzen in dieser Saison auf deutlich weniger junge Spieler. Wieso der HSV-Trainer daran auch nichts ändern wird.
Steffen Baumgart musste gleich mehrfach tief durchatmen. Denn die Fragen, die dem HSV-Trainer am Donnerstag gestellt wurden, hatten es in sich. „Inwiefern wussten Sie vor Ihrem Amtsantritt, dass der Kader nicht zu Ihrer Philosophie passt?“, wollte Jonathan wissen. „Warum trainieren Sie eigentlich den HSV?“, hakte Tjorge nach und Marai fragte: „Worin ist der HSV am besten und worin am schlechtesten?“ Locken ließ sich Baumgart von den Fragen der Schülerinnen und Schüler, die am „Girls’ und Boys’ Day“ für einen Tag den Job der Sportjournalisten kennenlernten, nicht wirklich.
„Okay, können jetzt die wirklichen Journalisten fragen? Was ist denn hier los, ich fange echt an zu schwitzen. Was ist denn mit euch?!“, antwortete Baumgart scherzhaft. Wie gut, dass der „Girls’ und Boys’ Day“ – auch „Zukunftstag“ genannt – nur einmal im Jahr stattfindet.
HSV News: Immer weniger Nachwuchstalente bei den Profis im Einsatz
Um berufliche Perspektiven geht es beim HSV allerdings ständig. Auf dem Trainingsplatz hat Baumgart (52) sogar jeden Tag mit jungen Menschen zu tun, die in den Job den eines Fußballprofis nicht nur reinschnuppern, sondern bestenfalls auch endgültig dort ankommen wollen. Aus Sicht der Nachwuchstalente setzt der HSV im Laufe der vergangenen Zweitligajahre jedoch dummerweise immer weniger von ihnen ein.
In der Saison 2018/19, der ersten Spielzeit nach dem Bundesligaabstieg, kamen bei den HSV-Profis noch zwölf Spieler zum Einsatz, die maximal 20 Jahre alt waren. Rick van Drongelen, Jonas David, Josha Vagnoman, Vasilje Janjicic, Fiete Arp, Manuel Wintzheimer, Bakery Jatta, Orel Mangala, Mats Köhlert und Berkay Özcan sammelten damals unter den Trainern Christian Titz und Hannes Wolf erste Zweitligaerfahrungen, Tobias Knost und Stephan Ambrosius kamen zumindest in der ersten DFB-Pokalrunde beim TuS Erndtebrück zu Profieinsätzen.
Anzahl der Youngster-Einsätze nahm immer weiter ab
In den folgenden Jahren nahm die Anzahl der Einsätze von maximal 20 Jahre alten Spielern kontinuierlich ab. In der Saison 2019/20 waren es unter Dieter Hecking acht Youngster-Einsätze, in der Saison 2020/21 unter Daniel Thioune und Horst Hrubesch nur noch sechs, 2021/22 unter Tim Walter wieder sieben. Und nachdem Walter in der vergangenen Saison zumindest wieder neun Talenten zu Profieinsätzen verhalf, sind es in dieser Spielzeit erst fünf Akteure dieser Altersgruppe, die unter Walter, Interimscoach Merlin Polzin und nun unter Baumgart Profiminuten sammeln durften.
Und so schnell wird sich daran auch nichts ändern. Obwohl der Bundesligaaufstieg bei sechs Punkten und 16 Toren Rückstand auf Relegationsplatz drei in dieser Saison erneut verpasst werden dürfte, sind vermehrte Einsätze von jungen Spielern keine Option. „Ich weiß nicht, in welcher Gedankenwelt einige wollen, dass jetzt mehr junge Spieler eingesetzt werden. Wir spielen Zweite Liga und wollen da jetzt erst mal erfolgreich spielen. Auch wenn der Zug abgefahren sein sollte, werden wir das nicht machen“, wurde Baumgart am Mittwoch deutlich.
Baumgart wurde wegen seiner Nachwuchs-Philosohie auch in Köln kritisch gesehen
Bei seinem Ex-Club 1. FC Köln war Baumgart auch wegen seiner Nachwuchsphilosophie in die Kritik geraten. Als sich die Kölner im vergangenen Dezember von ihm trennten, sagte Geschäftsführer Christian Keller: „Der FC hat eine sehr gute Nachwuchsarbeit. Dafür haben noch viel zu wenige Spieler den Sprung in die erste Mannschaft geschafft.“ Bis auf Max Finkgräfe hatte sich unter Baumgart in dieser Saison kein Kölner Talent im Profikader etabliert.
Insbesondere vor dem Hintergrund einer Transfersperre sorgte das für Unverständnis bei den FC-Verantwortlichen. Baumgart hingegen hatte schon zuvor betont: „Jeder Nachwuchs-Spieler braucht mindestens zwei Jahre, um über das Mannschaftstraining und über die Regionalliga im Männerfußball anzukommen.“
Kein HSV-Youngster ist in dieser Saison Stammspieler
Das bekommen nun auch die Talente beim HSV zu spüren. William Mikelbrencis, der in der in der Hinrunde unter Walter noch zu sechs Zweitligaeinsätzen gekommen war, holt sich seine Spielpraxis in diesem Jahr ausschließlich bei der U21. Dasselbe gilt für Elijah Krahn, Omar Megeed und Nicolas Oliveira. Letzterer kam unter Baumgart zumindest für 30 Minuten gegen Wehen Wiesbaden zum Einsatz. Am besten dran ist noch Stürmer Andras Nemeth, der unter Baumgart dreimal in der Startelf stand, zu diesem Zeitpunkt aber schon 21 Jahre alt war.
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Während 2018/19 Spieler wie Mangala, van Drongelen und Jatta noch Stammspieler waren und die Youngster-Fraktion so auf insgesamt 12.701 Einsatzminuten kam, sind es in dieser Saison nur 894 Minuten. „Viele junge Spieler haben viel Talent, sind aber noch nicht bereit für die Bundesliga“, sagte Baumgart. „Dann werden wir sie auch nicht reinbringen, nur weil wir für die Öffentlichkeit irgendwas machen wollen.“ Das Warten geht weiter.