Hamburg. Der HSV-Sportvorstand will trotz Kritik weiterkämpfen. Warum der Rückhalt im Aufsichtsrat gebröckelt ist.

Jonas Boldt war genervt. Wäre der Sportvorstand des HSV am Sonntag nach dem 2:2 beim 1. FC Magdeburg zum Interview angefragt worden, hätte es aus dem 41-Jährigen herausbrechen können. Boldt ärgerte sich auch am Montag noch über die Entscheidungen des Schiedsrichterteams um Robert Kampka, nachdem der DFB dem HSV die Begründung für die beiden Elfmeter sowie den Platzverweis gegen Guilherme Ramos geschickt hatte.

Am Sonntagabend war Boldts Laune aber kurzzeitig wieder besser, nachdem sein langjähriger Club Bayer Leverkusen erstmals Deutscher Meister wurde und der HSV mit einem witzigen Post auf X gratulierte („Auch in Hamburg freuen sich alle. Fast alle...“). Boldt und Sportdirektor Claus Costa (ehemals Leverkusen) sowie Trainer Steffen Baumgart (ehemals 1. FC Köln) hatten sich den Scherz gemeinsam überlegt.

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Aufsichtsrat könnte über Boldts Zukunft abstimmen

Wie die Laune von Boldt nach dem Ende der Saison ausfallen wird, ist dagegen unsicherer denn je. Drei Punkte beträgt der Rückstand des HSV auf den Drittplatzierten Fortuna Düsseldorf, der die vergangenen fünf Spiele allesamt gewonnen und durch die deutlich bessere Tordifferenz (+28 zu +14) fünf Spieltage vor Schluss eigentlich schon vier Punkte Vorsprung hat. Sollte der HSV am Ende also erneut den Aufstieg verpassen, wird auch die Position von Sportvorstand Boldt im Aufsichtsrat hinterfragt und vermutlich auch darüber abgestimmt werden.

Bereits im Winter hatten sich im Kontrollgremium der HSV Fußball AG die kritischen Stimmen gemehrt, nachdem sich Boldt entgegen der Mehrheit für eine Weiterbeschäftigung von Trainer Tim Walter entschied, um ihn dann Anfang Februar doch zu entlassen. Zudem wird Boldt die fehlende Verpflichtung eines neuen Innenverteidigers sowie einer gleichwertigen Sturmalternative zu Robert Glatzel in der Winterpause vorgeworfen.

Rangnick und Schmadtke als Kandidaten?

Auf der Geschäftsstelle des HSV wird bereits über potenzielle Nachfolgekandidaten getuschelt. Dabei fallen die Namen von Jörg Schmadtke und insbesondere von Ralf Rangnick. Zu dem aktuellen Nationaltrainer Österreichs soll es sogar eine erste Kontaktaufnahme durch den Aufsichtsrat gegeben haben. Hintergrund des Gerüchts: Rangnick wurde zuletzt zweimal bei HSV-Spielen gesehen. Beim Spiel in Düsseldorf war er am Rande einer Trainertagung zu Gast. Beim Spiel gegen die SV Elversberg schaute sich der Nationaltrainer das österreichische Toptalent Paul Wanner (18), Leihgabe des FC Bayern München, an.

Aus Rangnicks Umfeld ist zu hören, dass dem 65-Jährigen eine Aufgabe wie der HSV durchaus reizen würde. Allerdings sieht Rangnick seine nahe Zukunft auch über die Europameisterschaft im Sommer hinaus als Trainer in Österreich. Der langjährige Bundesligamanager Schmadtke (Hannover 96, 1. FC Köln, VfL Wolfsburg), zuletzt beim FC Liverpool unter Vertrag, wurde nach Abendblatt-Informationen bislang nicht kontaktiert. Schmadtke ist aktuell auch nicht auf Jobsuche.

Schmadtke hat der HSV immer gereizt

Aus seiner Verbundenheit zum HSV hat der 60-Jährige aber nie einen Hehl gemacht. „Der HSV war ein Club, der mich immer gereizt hat, die Strahlkraft ist einfach unglaublich“, sagte Schmadtke im Januar in einem Interview mit der „SZ“. 2013 hatte Schmadtke mal mit dem HSV verhandelt. „Aber wie damals dort gearbeitet wurde, das kannst du eigentlich keinem erzählen“, sagte Schmadtke über den damaligen Aufsichtsrat.

Dass es im Kontrollgremium in den vergangenen Jahren nach außen hin ruhiger zuging als 2013, ist auch auf Boldt zurückzuführen. Der HSV-Manager versteht es durch sein strategisches Handeln wie kaum ein Vorstand vor ihm, im Aufsichtsrat immer wieder den nötigen Zuspruch zu bekommen.

Zuletzt aber bröckelte dieser Rückhalt. Bei einem Aufsichtsrat verlor Boldt im Zuge einer möglichen Zusammenarbeit mit einem Mediziner an Kredit. Wie das Abendblatt erfuhr, führte Boldt auf Drängen eines Aufsichtsrates Gespräche mit dem Hamburger Dermatologen und Sportmediziner Michael Tank. Das Gremiumsmitglied war unzufrieden mit der medizinischen Abteilung des HSV, insbesondere im Zuge der monatelangen Abwesenheit von Kapitän Sebastian Schonlau aufgrund einer Wadenverletzung. Tank ist in der Szene bekannt für einen ganzheitlichen Ansatz, betreute mehrfach die deutsche Olympia-Auswahl. Trotzdem entschied sich Boldt entgegen der Empfehlung des Aufsichtsrats gegen eine Kooperation mit dem bekannten Mediziner.

Warum Boldt auf der Mitgliederversammlung fehlte

Auch Boldts Abwesenheit bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung Ende März kam in den HSV-Gremien nicht gut an. Der Manager war im Skiurlaub und soll das Präsidium zuvor gebeten haben, die Versammlung zu verschieben, damit er nach dann sechs Monaten Mitgliedschaft auch selbst mit abstimmen könne. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Arbeitsgruppe Rechtsform bereits auf den Termin der Versammlung festgelegt.

Aktuell besteht der Aufsichtsrat des HSV aus sechs Mitgliedern. Michael Papenfuß (Vorsitzender), Markus Frömming und Stephan von Bülow bilden den Personalrat des Gremiums, hinzu kommen Lena Schrum, Hans-Walter Peters und Henrik Köncke. Der Plan sieht vor, das Gremium noch bis zum Sommer wieder um ein siebtes Mitglied zu erweitern, nachdem Vereinspräsident Marcell Jansen Mitte Januar auf Druck seiner Kollegen aus dem Aufsichtsrat zurückgetreten war.

Für eine mögliche Abstimmung über die Zukunft von Boldt, der noch bis 2025 beim HSV unter Vertrag steht, ist die Besetzung des offenen Postens nicht unerheblich. Den Gremiumsvertretern ist allerdings bewusst, dass eine Trennung von Boldt auch Auswirkungen haben könnte auf Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch, der seinen Verbleib beim HSV stets an Boldt geknüpft hatte. Der Sportvorstand selbst hatte zuletzt Spekulationen über einen Rücktritt genährt, als er in einem ZDF-Beitrag sagte: „Ich werde mir wie jedes Jahr nach der Saison sicherlich auch meine Gedanken machen, wie das Ganze zu bewerten ist, wie ich den Club sehe, was wir uns zutrauen.“

Einen Rücktritt beim HSV schließt der Manager nach Abendblatt-Informationen aber aus. Wer ihn nach dem 2:2 des HSV in Magdeburg bei „Sky“ in die TV-Kamera hat jubeln sehen, der wird zum einen bemerkt haben, dass sich auch bei Boldt der Druck aufgeladen hat. Zum anderen wurde deutlich, dass der Sportvorstand auch nach fünf Jahren noch weiterhin für sich und den HSV kämpfen will.