Hamburg. Ein HSV-Profi ist plötzlich Stammspieler, ein anderer erhält eine völlig neue Rolle. Raab bleibt im Tor. Wer von Baumgart profitiert.

Der eine oder andere Trainingsbeobachter musste schon genau hinsehen, welche jungen HSV-Spieler am Tag nach dem souveränen 3:0-Heimerfolg gegen Wehen Wiesbaden die lange Treppe am Volksparkstadion heruntermarschierten.

Sturmtalent Tom Sanne (19), der seit Monaten nicht mehr mit den Profis trainiert hatte, gehörte sogar noch zu den bekannteren Gesichtern. Linksverteidiger David Igboanugo (19) und Angreifer Omar Sillah (20), der fünf Tore in den vergangenen drei Spielen für die U21 des HSV erzielte, konnten die meisten Anwesenden dagegen erst nach einer kurzen Internetrecherche identifizieren.

HSV-Trainer Baumgart testet U-21-Spieler

Wegen einiger abgestellter Nationalspieler während der Länderspielpause schaut sich Trainer Steffen Baumgart die gesamte Woche die drei U-21-Talente bei den Profis an.

Während die Stammspieler am Montag auf Fahrradergometern im Kraftraum ins Schwitzen kamen, absolvierten Sanne, Sillah und Igboanugo gemeinsam mit den Reservisten das Spielersatztraining. Zu diesen zählt seit etwas mehr als einem Monat auch Torhüter Daniel Heuer Fernandes.

Neue HSV-Rolle für Motivator Heuer Fernandes

Der Deutsch-Portugiese hat seinen Status als Nummer eins an Matheo Raab verloren. Nach dem Zu-null-Sieg gegen Wiesbaden gibt es für Baumgart keinen Grund, während der Länderspielpause die Torwart-Hierarchie zu verändern.

Für Heuer Fernandes ändert sich dadurch nicht nur die Spielzeit auf dem Rasen, der Führungsspieler tritt zudem als Wortführer in der Mannschaft kürzer. Unter Ex-Trainer Tim Walter hielt der 31-Jährige vor mehr als der Hälfte der Hinrundenspiele die Motivationsansprache in der Kabine. Diese Aufgabe hatte Walter vor der Saison an einen seiner wichtigsten Führungsspieler delegiert.

Gemeinsam mit Kapitän Sebastian Schonlau, Torjäger Robert Glatzel, den Mittelfeldstrategen Jonas Meffert und Ludovit Reis sowie Topscorer Laszlo Benes bildet Heuer Fernandes noch immer eine für das Mannschaftsgefüge wichtige Achse. Die Rolle des Motivators vor den Spielen füllt nun aber Baumgart aus.

HSV-Torwart Matheo Raab (r.) hat den Stammplatz von Daniel Heuer Fernandes übernommen.
HSV-Torwart Matheo Raab (r.) hat den Stammplatz von Daniel Heuer Fernandes übernommen. © Witters

Matheo Raab bleibt im HSV-Tor

Raab will Heuer Fernandes dagegen nur auf dem Platz und nicht als Führungsspieler ersetzen. Obwohl der 25-Jährige erst seit sechs Ligaspielen im HSV-Tor steht, kann er mit Stolz für sich reklamieren, von drei verschiedenen Trainern das Vertrauen erhalten zu haben. Nachdem Walter in seinem letzten Spiel den Torwartwechsel vollzogen hatte, hielt Interimstrainer und Jetzt-wieder-Assistent Merlin Polzin genauso an dieser Entscheidung fest wie Baumgart.

„Matheo Raab bleibt im Tor, wir fangen jetzt nicht jede Woche an zu würfeln“, sagte Baumgart vor seinem zweiten Spiel gegen Osnabrück (1:2), als er letztmals zu der Torwartthematik befragt worden war. Damals ließ sich der HSV-Coach allerdings noch eine Hintertür für den restlichen Saisonverlauf offen. „Es muss schon eine klare Veränderung sein, die ich aktuell nicht sehe.“ Aktuell.

Doch nach dem Eindruck aus dem Wiesbaden-Spiel ist klar, dass diese Aktualität weiterhin Bestand hat. Raab ist nun Teil einer neuen Hierarchie im HSV-Kader, denn wie so häufig bei einem Trainerwechsel gibt es Gewinner und Verlierer.

Wer von Baumgart profitiert

Einer der Gewinner ist zweifellos auch Dennis Hadzikadunic. War der bosnische Nationalspieler unter Walter zwischenzeitlich nur noch Innenverteidiger Nummer vier, ist er jetzt eine Stammkraft, nachdem sich das Anforderungsprofil der Abwehrspieler verändert hat.

Baumgart schätzt die Zweikampfführung Hadzikadunics, der sich voll und ganz auf das Verteidigen und seine Grätschen fokussieren darf. Seine Defizite im Spielaufbau werden kaum noch sichtbar, da unter Baumgart die Mittelfeldspieler diese Aufgabe erfüllen sollen. Der 52-Jährige präferiert daher die Variante mit zwei Sechsern vor der Abwehr oder zumindest einem tieferstehenden Achter an der Seite Mefferts.

Im Abwehrzentrum des HSV gesetzt: Dennis Hadzikadunic und Kapitän Sebastian Schonlau.
Im Abwehrzentrum des HSV gesetzt: Dennis Hadzikadunic und Kapitän Sebastian Schonlau. © Witters

Suhonen erhält neue Rolle beim HSV

Als Gewinner des Trainerwechsels darf sich auch Anssi Suhonen bezeichnen. Mit seiner Energie und hohen Laufintensität ist er prädestiniert für Baumgarts auf Pressing ausgelegten Power-Fußball. Der neue HSV-Coach sieht den Finnen nicht mehr nur als zentralen Mittelfeldmann, sondern setzte ihn bislang auch als Flügelspieler ein.

Das liegt zum einen daran, dass Baumgart die offensiven Außen verstärkt ins Zentrum einrücken lässt. Zum anderen setzt Suhonen die Sprintvorgaben des Trainers besser um als andere Profis.

Ist Königsdörffer ein Baumgart-Gewinner?

Mehr Aussichten auf Spielzeit hat nun auch Ransford Königsdörffer. Baumgart, der am liebsten mit zwei Spitzen spielen würde, schätzt die Abschlussqualitäten des Angreifers, der sich nach seiner Einwechslung gegen Wiesbaden mit einem Tor und einem anschließenden Trainerlob einfügte. „Das Training ist intensiver geworden, ich mag ihn sehr gerne als Trainer“, sagte Königsdörffer, der die Nase im Duell mit dem bislang noch keine Rolle spielenden Winter-Neuzugang Masaya Okugawa vorn hat.

Allerdings dürfte es spannend zu beobachten sein, ob sich Königsdörffers Situation verändert, sobald sich der weiterhin angeschlagene Linksaußen Jean-Luc Dompé wieder fit meldet. Wann das der Fall sein wird, bleibt allerdings unklar. Auch am Montag absolvierte der Franzose mit Noah Katterbach (Oberschenkel) nur ein individuelles Programm. Stephan Ambrosius (Schambein) konnte weite Teile des Spielersatztrainings mitmachen.

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HSV-Profi Mikelbrencis außen vor

Vorerst weniger Spielzeit als unter Walter erhalten dagegen Guilherme Ramos und Talent William Mikelbrencis. Während Ramos, der bei Baumgarts Debüt gegen Elversberg (1:0) Gelb-gesperrt fehlte, seinen Stammplatz an Hadzikadunic verloren hat, scheint Mikelbrencis zurzeit kaum eine Perspektive auf Spielminuten zu haben.

Gegen Wiesbaden wurde der Franzose nicht einmal eingewechselt, obwohl in Moritz Heyer (Gelb-Rot), Ignace Van der Brempt (Muskulatur) und Katterbach gleich drei Außenverteidiger ausgefallen waren und Miro Muheim nach nur zwei Trainingseinheiten nicht mehr als 60 Minuten belastet werden sollte.

Es gibt eben nicht nur Gewinner bei einem Trainerwechsel.