Hamburg. HSV schießt sich den Frust von der Seele. Baumgarts Plan ist schon besser zu erkennen. Was die Spieler zu den Fans sagen.
Es lief die 88. Spielminute, als sich die HSV-Fans im Volksparkstadion von ihren Plätzen erhoben. Laszlo Benes hatte soeben den Platz an der linken Auslinie vor der Westtribüne verlassen und holte sich seinen verdienten Applaus ab.
Ein schlitzohriges Freistoßtor, ein normaler sowie ein traumhafter Assist und die meisten Torschussvorlagen aller Spieler (sechs) lautete sein Arbeitsnachweis beim auch in der Höhe verdienten 3:0 (1:0)-Erfolg gegen Aufsteiger Wehen Wiesbaden.
HSV-Profi loben Schulterschluss mit Fans
Dem Spielmacher des HSV dürfte es entgegengekommen sein, dass der weite Weg zur Ersatzbank über die Nordtribüne führte und dadurch zu einer halben Ehrenrunde wurde. Vor der Fankurve, wo die treuesten der treuen Anhänger stehen, erlebte Benes auch schon seinen ersten emotionalen Moment des Tages, als sich die gesamte Mannschaft, alle Betreuer, das Trainerteam und Profifußballdirektor Claus Costa vor dem Anpfiff Arm in Arm vor der Nordtribüne positioniert hatten.
Es war ein Schulterschluss mit der aktiven Fanszene, die nach den beiden jüngsten Niederlagen gegen Schlusslicht Osnabrück (1:2) und in Düsseldorf (0:2) jeweils mit lauten Pfiffen ihren Unmut kundgetan hatte. „Die Fans haben gesagt, dass sie hinter uns stehen, aber auch von uns erwarten, dass wir alles geben“, sagte Benes über die Ansage von Capo (Vorsänger) Nico.
„Es war wichtig für die Fans und für uns, eine Einheit zu demonstrieren. Das hat man auch im gesamten Spiel gemerkt“, empfand Kapitän Sebastian Schonlau und Torschütze Miro Muheim ergänzte: „Das hat uns gepusht für das heutige Spiel und uns in eine positive Stimmung versetzt.“
Wie es beim HSV zur Capo-Ansage kam
Nach drei Heimniederlagen und zwei verlorenen Spielen in Serie kämpft der HSV vor dem Saisonendspurt um den so wichtigen Zusammenhalt mit den eigenen Anhängern. Die Idee dieser gemeinsamen und abgesprochenen Aktion sei aus dem Trainerteam gekommen, sagte Schonlau, ohne Namen nennen zu wollen.
„Die Fans lesen auch. Sie haben uns vor zwei, drei Tagen ein Zeichen gegeben, dass sie es anders sehen“, lautete die Medienkritik von Trainer Steffen Baumgart. „Wir haben mit dem Schulterschluss gezeigt, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Worauf man sich beim HSV verlassen kann, ist die Nordtribüne. Das haben die Fans ganz klar dokumentiert. Sie haben gesehen, dass die Mannschaft unabhängig von den Ergebnissen immer alles gibt.“
Am Sonntag stimmte allerdings nicht nur der Rückhalt der Fans, sondern auch das Ergebnis. In einer einseitigen Partie traten die Hamburger von Beginn an dominant auf, zirkulierten den Ball geschickt durch die eigenen Reihen und suchten in den entscheidenden Momenten zu Torchancen führende Tiefe.
Baumgarts Plan schon deutlicher erkennbar
Dabei setzte die Mannschaft die Vorgaben des neuen Trainers Steffen Baumgart schon deutlich besser um als zuletzt. „Ich sehe eine Entwicklung in den vergangenen Spielen“, lobte der 52-Jährige, der mit zwei Siegen und zwei Niederlagen nun zumindest eine ausgeglichene Bilanz vorzuweisen hat. „Die Jungs sind sehr offen und klar, sie wollen! Ich will eine gewisse Art von Fußball sehen, dabei geht es um Prinzipien“, ergänzte Baumgart, der zufrieden mit der offensiven Spielweise war.
Nachdem sich der HSV zuletzt schwer im Erspielen von Torchancen tat und die Strafraumbesetzung selten funktionierte, schossen die Hamburger diesmal 17-mal aufs und dank Muheim (33.), Benes (51.) und dem eingewechselten Ransford Königsdörffer (85.) auch dreimal ins Tor.
Die Erklärung von Benes’ Freistoßtrick
„Wir wollten nach den zwei Niederlagen eine Reaktion zeigen“, sagte Benes, der Anfang der zweiten Halbzeit mit einem Freistoßtrick zum 2:0 traf, als er den Ball unter der hochspringenden Mauer hindurchschoss.
„Im Fußball liegt in letzter Zeit immer jemand hinter der Mauer. Heute war keiner da und ich war mir zu 100 Prozent sicher, dass die Mauer springt“, sagte der Achter, der nach seinem Treffer sofort und ähnlich hoch wie die Wiesbadener Mauer in die Arme von Co-Trainer Merlin Polzin sprang.
„Ich habe mit Merlin in letzter Zeit nach den Einheiten sehr viele Standards trainiert, dabei allerdings immer über die Mauer geschossen“, erzählte Benes, der sich vor der Ausführung seines Kunstschusses an einen früheren brasilianischen Topstar erinnerte. „Ich habe das schon einmal von Ronaldinho und meinem Nationalmannschaftskollegen Ondrej Duda gesehen.“
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HSV-Sonderrolle für Ludovit Reis
Gegen die spielerisch arg limitierten Gäste durfte Benes, den Baumgart in Düsseldorf als Linksaußen ausprobiert hatte, wieder auf seiner Lieblingsposition hinter der Spitze agieren. „Auf der Zehn ist meine stärkste Position“, unterstrich Benes, der auch eine Sache klarstellen wollte: „Letzte Woche war es aber keine falsche Entscheidung vom Trainer.“
Dafür bekam diesmal ein anderer zentraler Mittelfeldmann eine Sonderrolle zugesprochen. Ludovit Reis agierte im Spielaufbau auf der Doppelsechs neben Jonas Meffert und vor einer Dreierkette. Bei gegnerischem Ballbesitz füllte Reis dagegen zum ersten Mal in seiner Karriere die Position rechts hinten in der Viererkette aus.
„Er war etwas überrascht, als der Trainer ihm von der Idee erzählte, und hat es gut angenommen“, lobte Schonlau die defensive Präsenz seines Mitspielers. „Gegen tief stehende Gegner braucht man Lösungen. Das geht manchmal mit einer Dreierkette im Spielaufbau besser“, war auch Baumgart zufrieden mit der Umsetzung.
HSV-Sieg: Baumgart lobt seine Spieler
Der Trainer freute sich aber vor allem über eine geschlossene Mannschaftsleistung. „Ich fand gut, wie die Jungs gearbeitet und die Reihenfolge eingehalten haben: also erst Zweikämpfe zu gewinnen und dann Fußball zu spielen“, lobte Arbeiter Baumgart, der weiß, dass er den HSV nun vor allem konstant zu Siegen führen muss.
Um auch nachhaltig die Wende zu schaffen, muss der nun wieder drittplatzierte HSV (44 Punkte) seine am Sonntag gezeigte Leistung nach der Länderspielpause am Ostersonntag in Fürth bestätigen. Denn das Mindestziel Platz zwei, den derzeit Holstein Kiel (49 Punkte) belegt, ist noch immer fünf Zähler entfernt.
Immerhin gehen Fans und Spieler mit einem positiven Gefühl in die Länderspielpause.
Die Statistik:
- HSV: Raab – Hadzikadunic, Schonlau, Muheim (60. Oliveira) – Reis, Meffert – Pherai (71. Poreba), Benes (88. Okugawa) – Jatta (71. Suhonen), Glatzel, Öztunali (60. Königsdörffer).
- Wiesbaden: Stritzel - Mockenhaupt, Mathisen, Vukotic – Goppel (78. Froese), Fechner (66. Jacobsen), Günther (70. Rieble) – Heußer, Kade (46. Bätzner) – Prtajin, Kovacevic (66. Agrafiotis).
- Schiedsrichter: Dankert (Rostock).
- Tore: 1:0 Muheim (33.), 2:0 Benes (51., 3:0 Königsdörffer (85.). Gelb: Pherai (4) – Mathisen.
- Zuschauer: 55.523.
- Torschüsse: 17:10
- Ecken: 9:2
- Ballbesitz: 57:43 Prozent.
- Zweikämpfe: 83:94.