Hamburg. Gegen den Aufsteiger steht viel auf dem Spiel: Platz drei, die Rechtsform und die Zukunft der HSV-Verantwortlichen. Ein Überblick.

Groß ist nicht gleich groß. Das musste am Freitag ein weiblicher Fan des HSV erkennen, der sich bei der Vormittagseinheit im Volkspark genau vor eine Trainingszuschauerin gestellt hatte, um Trainer Steffen Baumgart und seiner Mannschaft besser zugucken zu können. Als ihr nach wenigen Sekunden auffiel, was sie gemacht hatte, drehte sie sich um und fragte entschuldigend: „Ich bin ziemlich groß, oder? Können Sie denn noch sehen?“ Die angesprochene junge Dame mit den bis zu den Knien hochgezogenen 1887-Stutzen lächelte – und antwortete: „Kein Problem. Ich bin doch sogar noch größer als Sie.“

Am Ende konnten beide Anhängerinnen verfolgen, wie Baumgart seine Mannschaft auf das so wichtige Spiel gegen den SV Wehen Wiesbaden (So., 13.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) vorbereitete. Sein Auftrag am Sonntag: Endlich mal wieder groß aufspielen.

HSV gegen Wehen Wiesbaden: Baumgart muss siegen

Seitdem eben jener Baumgart den HSV vom gar nicht so großen, aber sehr langen Tim Walter übernommen hat, vergeht kaum ein Tag, an dem der Mecklenburger nicht darauf hinweist, dass der große HSV schon lange nicht mehr so groß ist. Nach mehr als fünf Jahren im Unterhaus des deutschen Fußballs sei man doch längst nur noch ein kleiner Zweitligist: „Der HSV hat nichts zu verlieren, weil er fünf Jahre lang nie etwas gewinnen konnte.“

Doch so ganz überzeugen die großen Worte Baumgarts nicht. Denn für den HSV steht an diesem Wochenende viel auf dem Spiel. Betrachtet man die Situation optimistisch, dann könnte Baumgarts Mannschaft mit einem Sieg gegen Wehen Wiesbaden Druck auf die zweitplatzierten Kieler machen. Pessimistisch (und wahrscheinlich auch realistisch) betrachtet, wäre ein Erfolg gegen den kleinen Aufsteiger aber vor allem auch deswegen wichtig, um zunächst einmal Relegationsrang drei zu verteidigen.

Es geht auch um Boldt und die Rechtsformänderung

Doch für den HSV geht es um mehr: Es geht um die zuletzt gekippte Stimmung, um die Zukunft vom in die Kritik geratenen Sportvorstand Jonas Boldt, und möglicherweise geht es auch um die Pläne rund um die Rechtsformänderung in der kommenden Woche. Zusammengefasst in vier Wörtern: Es geht um alles.

„Ich verstehe, dass die Unruhe von draußen da ist“, sagte also der gerade einmal 1,78 Meter kleine Baumgart am Freitag. Beim WWW-Spiel gegen Wehen Wiesbaden muss die Wende her – daran gibt es auch für den Coach keine Zweifel.

Eine dritte Niederlage in Folge könnte für einen Sturm sorgen

Zweimal in Folge hat der HSV verloren. 0:2 in Düsseldorf und 1:2 im Volkspark gegen Osnabrück. Eine dritte Niederlage könnte für einen waschechten Hamburger Sturm sorgen. Großes Kino hinter den Kulissen wäre in jedem Fall garantiert.

Da wäre zum einen Vorstand Boldt, der in den vergangenen Wochen – intern und extern – immer mehr unter Druck geriet. Der Hauptvorwurf: Der zwei Meter große Riese habe sich zu spät von Trainer Walter getrennt. Zudem ist in den Gremien übel aufgestoßen, dass der Hauptverantwortliche im Sport zuletzt wenig Präsenz gezeigt habe, als man einen Blitzableiter gut hätte gebrauchen können.

Für die KGaA braucht der HSV e. V. eine Dreiviertelmehrheit

Die größte Sorge von allen Beteiligten: Sollte der HSV tatsächlich auch gegen das vermeintlich kleine Wehen Wiesbaden nicht gewinnen, könnte die Stimmung ausgerechnet vor der wegweisenden Mitgliederversammlung am kommenden Wochenende gen Nullpunkt tendieren. Seit Monaten bereiten die HSV-Verantwortlichen die Versammlung vor, auf der für die erhoffte Umwandlung von einer AG in eine KGaA eine Dreiviertelmehrheit benötigt wird.

Und obwohl es innerhalb des Clubs einen großen Konsens darüber gibt, dass die Rechtsformänderung genau der richtige Schritt ist, könnten drei Niederlagen in Serie für einen massiven Vertrauensentzug der Mitglieder sorgen.

Bis zu 50 Millionen Euro stehen auf dem Spiel

Dabei geht es um viel Geld. Zum einen ist da das Darlehen von 30 Millionen Euro von Geldgeber Klaus-Michael Kühne, das bei einer geglückten Umwandlung automatisch in Anteile umgewandelt werden würde. Zudem sind da auch noch die 20 Millionen Euro von Kühne und drei solventen Hamburgern (darunter auch Ex-Aufsichtsrat Felix Goedhart), die für die Stadionmodernisierung gebraucht wurden und die optional in Anteile gewandelt werden könnten. Unterm Strich stehen also bis zu 50 Millionen Euro bei der Rechtsformänderung auf dem Spiel. Geld, das zum einen für die Entschuldung des Clubs benötigt wird. Und zum anderen den Spielraum für den Fall liefern soll, dass der HSV doch aufsteigt und auch in die Mannschaft investieren müsste.

Auch Baumgart ist die große Bedeutung der Mitgliederversammlung bewusst. „Wenn man Trainer eines so großen Vereins ist, dann kann man sich gewissen Dingen nicht entziehen. Dann muss man sich mit gewissen Prozessen auseinandersetzen“, beantwortete der Coach am Freitagmittag die Abendblatt-Frage. „Wenn man sich anderthalb Jahre lang mit diesem Prozess beschäftigt und jeder seine Meinung kundgetan hat, dann sollte dieser Prozess nun zu einem guten Abschluss kommen.“

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Und dann erlaubte sich Baumgart noch einen großen Vergleich: So habe man ja gesehen, wie ein ähnlicher Prozess scheitern konnte, weil nicht alle Beteiligten abgeholt worden seien, sagte Baumgart, der zwar den gescheiterten Investorendeal der DFL nicht explizit in den Mund genommen hatte, genau diesen aber gemeint haben dürfte. „Bei uns ist das ein Prozess, den alle begleitet haben. Deswegen gehe ich auch davon aus, dass es ein positives Ergebnis geben wird.“

Zunächst ist dafür aber ein positives Ergebnis auf dem Rasen nötig. Und das wird auch gegen Wiesbaden alles andere als einfach. Die Aufsteiger sind die Betonanrührexperten der Liga, haben nach dem FC St. Pauli die zweitbeste Defensive.

HSV: Baumgart muss auf Van der Brempt verzichten

„Sie verteidigen sehr konsequent, sehr klar. Wir müssen die Chancen, die wir bekommen, nutzen“, sagt Baumgart, der am Sonntag wieder auf den zuletzt angeschlagenen Linksverteidiger Miro Muheim zurückgreifen kann. Dafür wird Rechtsverteidiger Ignace Van der Brempt mit muskulären Problemen noch etwas länger ausfallen.

Ein großes Problem, das Baumgart gar nicht kleinreden will. Doch Muheim hin, Van der Brempt her – der Trainer hat einen großen Traum: Make HSV great again.

  • Voraussichtliche Aufstellungen: HSV: Raab – Mikelbrencis, Hadzikadunic, Schonlau, Muheim – Meffert – Pherai, Benes – Jatta, Glatzel, Königsdörffer.
  • Wiesbaden: Stritzel – Mockenhaupt, Mathisen, Vukotic – Fechner – Goppel, Heußer, Kade, Günther – Prtajin, Kovacevic..