Hamburg. Der bisherige HSV-Stammtorhüter saß zuletzt zweimal nur auf der Bank. Wechsel war für Ex-Nationalkeeper „nicht nachvollziehbar“.
Die Szene hatte fast schon symbolischen Charakter. Als die HSV-Profis am Freitagvormittag die Treppen des Volksparkstadions zum Trainingsplatz hinabstiegen, bildeten die Führungsspieler eine Einheit. Eingerahmt von Sechser Jonas Meffert und Innenverteidiger Sebastian Schonlau nahm Keeper Daniel Heuer Fernandes die Stufen, ehe Trainer Steffen Baumgart zur vorletzten Einheit vor dem Heimspiel gegen die SV Elversberg am Sonntag (13.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) bat.
Führungsspieler wollen führen – für Heuer Fernandes könnte der Weg aber dummerweise zum dritten Mal in Folge nur auf die Ersatzbank führen. Rund zwei Wochen ist es her, dass Ex-Trainer Tim Walter den zuvor unumstrittenen Stammtorwart (31) vor dem Heimspiel gegen Hannover 96 (3:4) aus Leistungsgründen auf die Bank gesetzt und den bisherigen Ersatzmann Matheo Raab befördert hatte. Auch am vergangenen Wochenende, als Walter bereits freigestellt war, gewährte Interimscoach Merlin Polzin im Auswärtsspiel bei Hansa Rostock (2:2) dem erst 25 Jahre alten Raab den Vorzug.
HSV News: Adler war vom Torwartwechsel überrascht
„Für mich als Außenstehender war der Torwartwechsel beim HSV total überraschend und nicht nachvollziehbar“, sagt einer, der weiß, wie sich derartige Situationen anfühlen. René Adler sitzt gerade im Auto irgendwo zwischen Hamburg und Mainz, als ihn das Abendblatt auf dem Weg zu einem Geschäftstermin erreicht. Zwischen 2012 und 2017 stand der Ex-Nationaltorhüter im HSV-Tor, wenn er nicht verletzt war, war er fast immer gesetzt. Nur die Trainer Mirko Slomka und Josef Zinnbauer setzten Adler in der Saison 2014/15 zeitweise für Jaroslav Drobny auf die Bank.
„Nach meiner Erfahrung ist ein Wechsel auf dieser besonders sensiblen Position häufig die letzte Patrone eines Trainers, die in gewisser Weise auch von Hilfslosigkeit zeugt“, sagt Adler. So war es in der Saison 2014/15 bei Slomka, der wenige Tage nach dem Torwartwechsel gehen musste. Und so war es nun auch bei Walter, für den ebenfalls drei Tage nach der Raab-Beförderung Schluss war.
Adler wünscht sich Rückendeckung für den Stammkeeper
„Insbesondere in einer Phase, in der es für die gesamte Mannschaft nicht gut läuft, sollte man dem Torhüter trotz vereinzelter Fehler die volle Rückendeckung geben – was übrigens nicht heißen soll, dass auf der Torhüterposition nicht das Leistungsprinzip gilt“, stellt Adler klar.
Auf das Leistungsprinzip setzt auch Baumgart. Seit seinem Amtsantritt am vergangenen Montag machte sich der HSV-Coach einen eigenen Eindruck von den Keepern. Sein Fazit: „Ich habe zwei Torhüter, die auf einem sehr guten Niveau sind.“ Blöd nur, dass nur einer spielen kann. Wer von beiden, ließ Baumgart am Freitag noch offen.
An diesem Sonnabend werde er sich mit Raab und Heuer Fernandes zusammensetzen, um die kommenden Wochen zu besprechen. Im Vorfeld wolle er noch ein Gespräch mit Torwarttrainer Sven Höh führen, einen wöchentlich ausgetragenen Kampf um die Startelf aber vermeiden. „Am schwierigsten ist es für einen Torwart, wenn es einen Eiertanz gibt“, sagt Baumgart.
Heuer Fernandes patzte in dieser Saison mehrfach
Rein statistisch ist Heuer Fernandes in dieser Saison schwächer als in den vergangenen Spielzeiten. Grobe Fehler bei Wehen Wiesbaden (1:1), in Kiel (2:4), auf St. Pauli (2:2) und in Berlin (2:1) führten unmittelbar zu Gegentoren. 68,8 Prozent der Bälle auf sein Tor wehrte der Deutschportugiese in dieser Spielzeit ab, im Vorjahr waren es noch 72,2 Prozent, in der Saison 2021/22 sogar 73,7 Prozent. Raab war zuletzt allerdings auch nicht fehlerfrei, in Rostock hatte er große Probleme mit der Strafraumbeherrschung, eine Szene führte unmittelbar zu einem Gegentor.
Betrachtet man nur das Alter beider Keeper, gehört dem sechs Jahre jüngeren Raab einerseits die Zukunft. Andererseits dürfte der HSV im vergangenen Dezember auch nicht aus Langeweile mit Heuer Fernandes verlängert haben, beide Keeper stehen bis Sommer 2026 unter Vertrag.
Adler rechnet mit Einsatz von Heuer Fernandes
Für René Adler ist die Lage dennoch klar. „Ich persönlich gehe davon aus, dass Heuer Fernandes am Wochenende wieder spielt. Man hat erst im Dezember mit ihm verlängert, also sollte man ihm mit einer vollen Überzeugung jetzt auch wieder das Vertrauen zurückgeben“, sagt der Ex-Profi. „Darüber hinaus ist es auch eine Chance für Steffen Baumgart, den ich als meinungsstarken Trainer sehr schätze, diese Baustelle sofort wieder zu schließen.“
Tatsächlich ist davon auszugehen, dass Baumgart Heuer Fernandes den Vorzug gewährt. Abgesehen davon, dass er beide Keeper sportlich auf einem Niveau verortet, weiß auch Baumgart um die Bedeutung einzelner Führungsspieler. Das wurde erneut am Freitag deutlich, als er sich nach dem Training Zeit für ein längeres Gespräch mit Kapitän Schonlau nahm. „Er wird nicht nur als Spieler, sondern auch als Persönlichkeit wichtig sein“, sagte Baumgart, der Schonlau eine Quasi-Startelfgarantie gab. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Bascho anfangen.“
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Als der Innenverteidiger in den vergangenen Monaten mit Wadenproblemen ausgefallen war, übernahm Heuer Fernandes häufig die finale Ansprache vor dem Anpfiff. „Es ist bekannt, dass Ferro ein Wortführer in der Kabine ist. Meine Interpretation ist deshalb, dass die Mannschaft so einen Torwartwechsel eher stirnrunzelnd auffasst“, vermutet Adler. „Heuer Fernandes ist zuletzt immer vorangegangen, hat der Mannschaft auch nach schwachen Spielen in Interviews immer den Rücken frei gehalten. Umso mehr sollte man ihn als Mannschaft und Trainerteam jetzt auch unterstützen.“
Nach der schwierigen Phase mit Slomka und Zinnbauer war es schließlich Bruno Labbadia, der Adler am Ende der Saison 2014/15 das Vertrauen zurückgab. Die Herausnahme zuvor habe ihn dennoch auch „aus der Komfortzone geholt und gepusht“, erinnert sich Adler. „Und trotzdem war es im Anschluss enorm wichtig, dass sich Bruno Labbadia danach für eine klare Nummer eins entschieden hat. Auf dieser Position braucht es Überzeugung.“ Gut möglich, dass es Heuer Fernandes ähnlich ergehen wird.