Hamburg. Etwas mehr als zweieinhalb Jahre war Tim Walter Trainer beim HSV. Wovon seine Amtszeit geprägt war und was sein Verdienst ist.
Auf eines konnte sich Tim Walter bis zuletzt immer verlassen. Die Moral seiner Mannschaft, sie war stets intakt. Auch bei der jüngsten Heimniederlage gegen Hannover 96 (3:4) kämpfte sich der HSV nach einem 0:2 und 1:3 zurück, ehe der K.o. in der achten Minute der Nachspielzeit folgte. Walter tat sich nach der wilden Achterbahnfahrt der Gefühle „schwer“, die Partie zu analysieren.
„Was aber bleibt, ist die Mentalität der Jungs, so wie wir zurückkommen“, ergänzte der Trainer, der damit das größte Verdienst seiner etwas mehr als zweieinhalbjährigen Amtszeit beschrieb. Es ist ihm gelungen, eine Einheit zu formen, mit der sich ein Großteil der Fans identifizieren konnte. Obwohl sportlicher Erfolg seit Jahren ausbleibt, war plötzlich wieder eine Euphorie in der Stadt zu spüren.
Doch dieses Qualitätsmerkmal reichte den Verantwortlichen um Sportvorstand Jonas Boldt in dieser Saison nicht mehr aus. Walter sollte den nächsten Schritt vollziehen, der Mannschaft mehr Stabilität vermitteln, ihr eine gefestigte Struktur verleihen. „Mehr Ergebnis, weniger Erlebnis“, lautete das im Sommer ausgegebene Motto, an dem der am Montag beurlaubte 48-Jährige nach 103 Pflichtspielen scheitern sollte.
Tim Walter beim HSV: Jede Menge Emotionen
Walter geriet zuletzt in Erklärungsnot, als ihm in seinen Analysen häufig nur noch ein Argument übrig blieb: der Verweis auf die Comebackqualitäten seiner Mannschaft. Eine Erklärung, warum der HSV in sechs von 21 Saisonspielen mit zwei Toren zurücklag, blieb der Coach dagegen schuldig. Nach dem Hannover-Spiel rückte auch Boldt erstmals öffentlich von Walters Narrativ ab. „Wir kommen zwar zurück, aber zur Mentalität gehört auch dazu, sich cleverer in bestimmten Situationen zu verhalten“, monierte der HSV-Sportvorstand, für den der Aufstieg über allem steht.
Doch genau dieses Ziel geriet mit Walters riskanter Spielweise zunehmend in Gefahr. Für die Rückrunde forderte Boldt weniger Spektakel und taktische Anpassungen anstelle des Hurrafußballs ein. Was folgte, waren zwei Heimniederlagen gegen Karlsruhe und Hannover mit insgesamt acht Gegentoren. Eine Bilanz, die Boldt zum Handeln zwang.
Walters Amtszeit war geprägt von Toren und Gegentoren, begeisternden Auftritten wie dem 4:3-Sieg vor einem Jahr im Stadtderby gegen St. Pauli und vor allem: vielen Emotionen.
Als der HSV unter Walter fast aufstieg
Für immer unvergessen bleibt der Fast-Aufstieg vor sieben Monaten, als der Stadionsprecher dem HSV bereits zur Bundesligarückkehr gratuliert hatte und die ohne Handyempfang nicht ausreichend informierten Fans den Platz stürmten. Dabei wurde parallel in Regensburg noch gespielt und Konkurrent Heidenheim verdrängte den HSV durch zwei späte Tore in der elfminütigen Nachspielzeit von einem Aufstiegsplatz.
Nur vier Tage nach diesem schweren Schicksalsschlag traten die Hamburger in der Relegation gegen Erstligist VfB Stuttgart an. Eine Aufgabe, die sich selbst für Walters mental starke, aber taktisch nicht ausreichend auf die schnellen Schwaben vorbereitete Mannschaft als zu groß erwies.
Bei Sonny Kittels Führungstor im Rückspiel erlebte der Volkspark einen der lautesten Torjubel seiner Geschichte. Plötzlich glaubte ein ganzes Stadion wieder an den Aufstieg, doch am Ende erwies sich das 0:3 aus dem Hinspiel als zu große Hypothek und der HSV versank im Tal der Tränen, so wie schon ein Jahr zuvor bei der verlorenen Relegation gegen Hertha BSC.
HSV fehlte unter Walter die Konstanz
Und so bleiben in Verbindung mit Walter auch die vielen Rückschläge, die der HSV immer wieder verarbeiten musste. „Meine Mannschaft und ich haben gefühlt alles erlebt, was im Fußball passieren kann“, sagte der Trainer vor knapp einem Monat dem Abendblatt. Dazu gehören auch der Dopingfall Mario Vuskovic sowie das DFB-Pokal-Halbfinale im eigenen Stadion gegen Freiburg (1:3).
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Um endlich auch den Aufstieg in dieser Aufzählung erwähnen zu können, gab Walter vor der Saison Verantwortung an seine Co-Trainer ab und passte seine Spielidee an. Dass der HSV bereits siebenmal zu null spielte, ist ein Beleg dafür. Allerdings mangelte es Walter an Konstanz.
Seine Mannschaft verfiel situativ in alte Muster, indem die defensive Absicherung nach Ballverlusten fehlte oder Aufholjagden keinen Ertrag brachten, weil ein möglicher Punktgewinn im All-In-Modus verspielt wurde. Als jüngstes Beispiel dient das Hannover-Spiel.
Schonlaus Fehlen wurde Walter zum Verhängnis
Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass Walter nahezu die gesamte Saison ohne seinen Schlüsselspieler im Spielaufbau, Kapitän Sebastian Schonlau, auskommen musste. Ohne den Abwehrchef wirkt das Gesamtgefüge zu labil, es fehlt oftmals an Ordnung und Struktur.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Walter es versäumte, seine Herangehensweise für eine Mannschaft ohne Schonlau anzupassen. Schon nach der Vuskovic-Sperre wich der HSV-Coach in der Rückrunde 2022/23 nicht von seiner Idee ab, obwohl Vertreter Jonas David den Kroaten qualitativ nicht ersetzen konnte. Es ist einer der Gründe, warum der Aufstieg verspielt wurde.
In dieser Saison sollten wahlweise Dennis Hadzikadunic, Guilherme Ramos oder Stephan Ambrosius Schonlaus Rolle ausfüllen, obwohl sie mit dem komplexen Spielaufbau Walters fremdelten und ihnen Fehler unterliefen, die zur allgemeinen Verunsicherung beitrugen. Und so ging auch dieser Plan nicht auf.