Hamburg. HSV kassiert beim 3:4 gegen Hannover die dritte Heimpleite in Folge. Für Debatten sorgen auch die grenzüberschreitenden Fanproteste.
Erst war es Torwart Ron-Robert Zieler, der sich auf den Weg zum Gästeblock machte, danach folgte auch die restliche Mannschaft von Hannover 96 ihrem Kapitän. Während die aktiven Fanszenen in den vergangenen Wochen noch mit Tennisbällen und Schokotalern gegen den geplanten Investoreneinstieg bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) protestiert hatten, überschritten die Anhänger der Niedersachsen am Freitagabend eine Grenze.
Auf drei großen Plakaten waren neben 96-Boss und -Geldgeber Martin Kind auch Alexander Dibelius und Stephen Schwarzman mit einem roten Fadenkreuz auf ihrem Gesicht abgebildet. Dibelius und Schwarzman sind die Geschäftsführer von CVC Capital Partners und der Blackstone Group, den letzten beiden verbliebenen Bietern für das Investorenmodell der DFL.
Fanproteste sorgen bei HSV-Spiel fast für Abbruch
Das Spiel war zu diesem Zeitpunkt bereits zum zweiten Mal unterbrochen, die Teams von Schiedsrichter Sören Storks in die Kabinen geschickt worden. Kurz vor Wiederanpfiff der zweiten Hälfte hatten HSV-Fans bereits mehrere Fahrradschlösser an den Torpfosten befestigt, die nur mithelfe einer Flex wieder beseitigt werden konnten. „Wenn ihr weiter Aktionen startet, wird das Spiel nicht wieder angepfiffen. Es droht der Abbruch des Spiels“, drohte ein Stadionsprecher. Die Stadionuhr war bei 59:10 Minuten gestoppt, erst nach mehr als 30 Minuten ging es weiter.
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Der Sport war bereits längst in den Hintergrund getreten. Und obwohl sich auch nach dem Schlusspfiff, als der HSV beim 3:4 (1:3) die dritte Heimpleite in Folge kassierte, viele Gespräche um den bisherigen Höhepunkt (oder Tiefpunkt) der Fanproteste drehten, dürfte in den kommenden Tagen auch über das Sportliche geredet werden. Nicht nur unter den Fans, sondern auch in der HSV-Chefetage. Denn Trainer Tim Walter gelingt es seit Monaten nicht, seiner Mannschaft defensive Stabilität zu vermitteln.
„Wir haben heute generell in allen Bereichen zu viele Fehler gemacht. Die Gegentore fallen zu einfach, auch offensiv vergeben wir unsere Chancen leichtfertig, weil wir zu hektisch spielen. Ein gebrauchter Tag", sagte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt.
Walter beorderte Ersatzkeeper Raab ins Tor
Da half auch nicht, dass der 48-Jährige Keeper Matheo Raab erstmals in dieser Zweitligasaison in die Startelf beorderte. Der 25-Jährige hatte zuvor nur im DFB-Pokal Pflichtspielpraxis sammeln dürfen.
Doch weil sich der erfahrene Daniel Heuer Fernandes (31) in den vergangenen Wochen immer wieder kleinere und größere Patzer erlaubt hatte, handelte Walter. „Es geht darum, dass Ferro in letzter Zeit nicht an sein Leistungspeak gekommen ist“, erklärte der Trainer seine Entscheidung vor dem Spiel. „Matze macht es seit Wochen und Monaten herausragend, so auch im Pokal. Für Heuer Fernandes ist es möglicherweise Pech, dass er Matze im Nacken hat. Für uns ist es eine glückliche Situation. Ich bin mit beiden Torhütern sehr zufrieden. Matze hat es heute verdient zu spielen.“
Hannover musste auf Köhn und Halstenberg verzichten
Bei Hannover fehlten wie erwartet in Derrick Köhn und Marcel Halstenberg zwei wichtige Spieler, die zuletzt die linke Hälfte der Viererkette gebildet hatten. Während Halstenberg Rot-gesperrt fehlte, war Köhn bereits am Donnerstagabend für knapp dreieinhalb Millionen Euro zu Galatasaray Istanbul gewechselt.
Auf dem Platz war von diesen personellen Problemen aber nichts zu sehen. Die Gäste liefen die Hamburger Viererkette sofort hoch an, nur selten gelang es dem HSV, mit geordnetem Passspiel in die 96-Hälfte vorzudringen. Hannover wirkte reifer und strukturierter, holte direkt mehrere Ecken raus. Eine davon nutzte dann 96-Stürmer Nicolo Tresoldi, der Jonas Meffert entwischte und zum 0:1 einköpfte (11.).
Nur zehn Minuten später musste der chancen- und schuldlose Raab erneut hinter sich greifen, als der Ex-Hamburger Louis Schaub im Strafraum auf Sebastian Ernst durchsteckte und HSV-Innenverteidiger Ramos dessen flache Hineingabe ins eigene Tor grätschte (21.).
Drei Gegentore nach rund 30 Minuten
Als Laszlo Benes nach einer Miro-Muheim-Flanke auf 1:2 verkürzte (24.), keimte kurz Hoffnung auf. Die Betonung liegt auf kurz. Denn in der 32. Minute wurde die pomadige HSV-Abwehr erneut ausgehebelt, als Tresoldi nach einem überragenden Chipball völlig frei vor Raab auftauchte. Der Keeper parierte erst noch stark, den Abpraller verwandelte der Ex-Hamburger Schaub dann aber völlig trocken.
Kurz nach der Pause war es der eingewechselte Innenverteidiger Dennis Hadzikadunic, der die Hamburger Fans unter den 57.000 Zuschauern im ausverkauften Volkspark wieder aufweckte. Sein Kopfballtreffer vom 2:3 (47.) war erst das zweite Tor nach einer Ecke für den HSV in dieser Saison. Danach folgte die geschmacklose Plakataktion, in deren Folge Hannover zunächst näher am vierten Tor als der HSV am Ausgleich war.
Zwei Platzverweise in der Schlussphase
In der Schlussphase warfen die Hamburger noch mal alles nach vorne, scheiterten zunächst aber in Person von Robert Glatzel (69.) und Jean-Luc Dompé (80.) aus aussichtsreichen Positionen.
Doch dieser spektakuläre Fußballabend war noch längst nicht vorbei. Nach einer schnell ausgeführten Ecke köpfte Glatzel zum 3:3 (86.) ein. Eckentor Nummer drei in dieser Saison, geht doch. Nur zwei Minuten später sah Flankengeber Benes nach einem Hinweis des Videoassisten allerdings Rot (88.). Der HSV-Profi hatte Hannovers Enzo Leopold von hinten umgegrätscht.
Für die Schluss-Pointe sorgte dann Hannover in der achten Minute der Nachspielzeit. Erneut stimmte die defensive Aufteilung beim HSV nicht, nach einer Flanke schob der völlig blanke Ernst zum 3:4 ein. In der 15. Minute der Nachspielzeit sah dann auch noch Hadzikadunic Gelb-Rot. Als Storks das denkwürdige Spiel beendete, gab es gellende Pfiffe.
Boldt: "Herangehensweise hinterfragen"
„Zwei Minuten nach dem Abpfiff werde ich mich bestimmt nicht dazu äußern. Die Herangehensweise, wie wir arbeiten, müssen wir grundsätzlich hinterfragen. Natürlich spielt ein Trainer dabei eine ganz, ganz wichtige Rolle, aber ich lasse mich direkt nach dem Spiel nicht locken“, sagte Sportvorstand Boldt.
„Wir haben vor der Winterpause bewusst gesagt, dass wir Dinge verbessern wollen. Auswärts haben wir es hinbekommen, hier im Volkspark nicht. Das müssen wir schleunigst ändern. Vielleicht haben wir es auswärts besser hinbekommen, weil wir weniger Hurrafußball gespielt haben. Gegen Hannover haben wir spektakular mit offenem Visier gespielt, aber das ist nicht das Ziel, das wir haben. Wir wollen die Spiele schon gewinnen.“
Neben der Frage, wie es mit Walter weitergeht, werden auch die Fanproteste weiterhin Thema bleiben. „Einhergehend mit dem Recht der Mitsprache müssen wir uns alle der Verantwortung stellen, sich intensiv auch mit kritischen Themen auseinanderzusetzen“, hieß es von DFL am Donnerstag in einem Statement, allerdings auch: „Nicht jeder Austausch kann garantieren, dass alle Gesprächspartner im Anschluss einer Meinung sind.“
Kein Ende der Fanproteste in Sicht
Die aktiven Fanszenen reagierte mit Ablehnung „Das jetzige Dialog-Angebot ist kein Umdenken. Es ist ein Feigenblatt. Denn es enthält kein Angebot für Verhandlungen“, teilten verschiedene Fan-Organisationen gemeinsam mit.
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„Protest, der nicht wehtut, ist kein Protest. Jetzt tut es ein bisschen weh, aber auch im übertragenen Sinne. Denn es wird ein Fußballspiel unterbrochen. Es wird niemand verletzt, niemandem wehgetan, niemandem geschadet“, sagte Thomas Kessen, Sprecher des Fan-Dachverbandes „Unsere Kurve“. Das änderte sich am Freitag mit den Fadenkreuz-Plakaten.
Die Aufstellungen:
- HSV: Raab – Van der Brempt, Ramos, Ambrosius (46. Hadzikadunic), Muheim – Meffert – Pherai, Benes – Jatta, Glatzel (90.+4 Nemeth), Dompé (90.+4 Reis).
- Hannover: Zieler – Muroya, Neumann, Arrey-Mbi, Dehm – F. Kunze - Leopold, Schaub – Ernst – Nielsen, Tresoldi.
- Tor: 0:1 Tresoldi (11.), 0:2 Ramos (ET/21.), 1:2 Benes (24.), 1:3 Schaub (32.), 2:3 Hadzikadunic (47.), 3:3 Glatzel (86.), 3:4 Ernst (90.+8).
- Schiedsrichter: Sören Storks (Ramsdorf).
- Rote Karte: Benes (grobes Foulspiel/88.).
- Gelb-Rot: Hadzikadunic (90.+15).
- Zuschauer: 57.000 (ausverkauft).