Hamburg. Wie der HSV-Trainer taktisch flexibler und defensiv kompakter agieren kann und welche Aufgaben es für die Offensive gibt.

Der pädagogische Effekt von Hausaufgaben gilt als umstritten. Einige Forscher hegen öffentliche Zweifel, ob Hausaufgaben tatsächlich eine leistungssteigernde Wirkung haben. Und dennoch wird auch Tim Walter in der spielfreien Zeit nicht darum herumkommen. Der HSV-Trainer hat den Auftrag seiner Chefs Jonas Boldt (Vorstand) und Claus Costa (Profifußballdirektor) erhalten, die Mannschaft für die Rückrunde defensiv stabiler und taktisch flexibler aufzustellen. Oder vereinfacht gesagt: Walter soll erarbeiten, wie er den eigenen Erwartungen hinterherhinkenden HSV besser machen kann.

Die Umsetzung seiner Hausaufgaben soll bereits zum Trainingsauftakt am 2. Januar sichtbar werden. Boldt und Costa haben sich mit Walter auf einen Plan verständigt, der „konkrete Veränderungen“ vorsieht, wie es in einer Clubmitteilung kurz vor Weihnachten hieß, nachdem Walters Verbleib beschlossen worden war. Die Verantwortlichen erwarten, dass der Coach die Alltagsabläufe „leistungsfördernder“ gestaltet.

Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, dass die sportliche Führung wie ein Rektor in die tägliche Arbeit des Fußballlehrers eingreift. Andererseits sind Änderungen notwendig, damit der vor der Saison merklich aufgebesserte Kader an sein Leistungsmaximum geführt wird.

HSV: Was Tim Walter defensiv verbessern muss

Walters Hausaufgabe ist es nun, seinen Spielstil gerade für die Auswärtsspiele mit Lösungen zu erweitern, wie seine Mannschaft weniger Gegentore kassieren soll. Insbesondere die mangelnde Absicherung nach Ballverlusten oder einem verlorenen Zweikampf, wie es seit Walters Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren situativ zu beobachten ist, wurde im Verlauf der Hinrunde zum Problem.

Optimiert werden muss die Rückwärtsbewegung der zentralen Mittelfeldmänner sowie der Außenbahnspieler. Bis auf Bakery Jatta sind die offensiven Flügel zu selten bereit, defensiv an ihre Grenzen zu gehen.

Ein weiterer Ansatz dürfte die gelegentlich fehlende Kompaktheit sein. So sah sich der HSV gerade dann Torchancen ausgesetzt, wenn die Abwehrkette und das Mittelfeld zu weit auseinander standen, wodurch dem Gegner zu viel Raum in den Zwischenräumen gewährt wurde.

Reagiert Walter zu spät auf Probleme?

Doch nicht nur die Defensivleistung steht auf dem Prüfstand. Weil die Leistungen in der Hinrunde oftmals schwankten, soll Walter erarbeiten, wie seine Mannschaft über die kompletten 90 Minuten dominant auftreten kann. In den meisten Spielen agierte der HSV nur eine Halbzeit souverän und ließ sich in bestimmten Phasen der Partie überraschen.

Ausschlaggebend hierfür waren meistens taktische Umstellungen des Gegners. So fehlte es im Spielaufbau der Hamburger insbesondere dann an Lösungen, wenn sie ab Höhe der Mittellinie von zwei kompakt stehenden Dreier-Blöcken angelaufen wurden – so wie bei den Niederlagen in Kiel (2:4), Osnabrück (1:2) und Elversberg (1:2).

Dank der individuellen Qualität der Offensive reichten die wellenartigen Auftritte des HSV immer noch für neun Siege und damit einen mehr als beim zweitplatzierten Stadtrivalen FC St. Pauli. Sich allein darauf zu verlassen, dass diese Ausbeute anhält, wäre allerdings zu kurz gedacht. Viel wichtiger ist dagegen zu analysieren, warum dem HSV die Konstanz während einer Partie abhandenkommt. Liegt es daran, dass Walter die Probleme zwar erkennt, häufig aber zu spät reagiert, nämlich erst nach einer Halbzeit?

Wenn Walters HSV-Umstellungen fruchten

Im Derby war genau das der Fall, als der Trainer den auf der Außenbahn glücklosen Immanuel Pherai erst für den zweiten Durchgang ins Zentrum beorderte. Von seiner Lieblingsposition kommend erzielte der Niederländer das 2:2 nach einem 0:2-Rückstand – und der HSV erkämpfte sich einen Punkt. Auch in Kaiserslautern (3:3 nach 1:3) führten Walters Umstellungen zum Punktgewinn.

Aus der Vergangenheit gibt es weitere Beispiele, die eine Sache eint: Der HSV lag jedes Mal bereits mit zwei Toren zurück, ehe personell und taktisch reagiert wurde. Ungeachtet dessen, dass Hausaufgaben häufig Unzufriedenheit stiften, muss Walter eine Antwort auf die Frage nach dem Warum finden.

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Tim Walter muss HSV-Flügel besser machen

Auffällig ist zudem, dass dem Offensivspiel die Zielstrebigkeit abhandenkommt, wenn die Flügel lahmen. Weil die offensiven Außenbahnen von großer Bedeutung in Walters System sind, war vor der Saison Levin Öztunali als zusätzliche Alternative verpflichtet worden. Doch der frühere Jugendspieler des HSV ist mit seiner geringen Bindung zum Spiel und einer Bilanz von null Toren und null Vorlagen das größte Hinrundenrätsel im Volkspark. Walters Aufgabe ist es, dem Neuzugang Selbstvertrauen zu vermitteln, um ihn an seine Normalform heranzuführen.

Gleiches gilt für Ransford Königsdörffer, der sich nach acht Toren in seiner Debütsaison plötzlich in einer Formkrise befindet (null Treffer, zwei Assists). Eine der wichtigsten Offensiv-Aufgaben des Coaches ist es allerdings, Jean-Luc Dompé in die körperliche Fitness zu bringen, dass er seine Qualitäten als Unterschiedsspieler konstant ausspielen kann.

„Wir haben noch Luft nach oben“, sagte Tim Walter vor Kurzem über seine To-do-Liste. „Fokussiert, mit klarem Plan und neuer Energie werden wir in die Wintervorbereitung und vor allem in die zweite Halbserie gehen.“ Wie genau das auf dem Platz aussehen soll, hängt nun auch vom Ergebnis von Walters Hausaufgaben ab. Können diese etwa doch eine leistungssteigernde Wirkung entfalten?