Nürnberg/Hamburg. Der Sportvorstand lässt die Zukunft von Trainer Tim Walter offen. Doch seine Entscheidung wird erschwert.
Am Montagabend tagt in Düsseldorf mal wieder der Ältestenrat von Jonas Boldt. Zu diesem Stammtisch gehören neben dem Sportvorstand des HSV auch DFB-Direktor Rudi Völler (63), Ex-Manager Michael Reschke (66), sowie die Trainer Peter Hermann (71), Erich Rutemöller (78), Michael Skibbe (58) und Friedhelm Funkel (70). Ob Boldt angesichts der Personalentscheidungen in dieser Woche dabei sein kann, ist noch unklar. Klar ist aber, dass der 41-Jährige bei einer Teilnahme ein Gespräch mit Funkel führen und ihn womöglich auch um Rat fragen würde, wie er in Hamburg in der Personalie Tim Walter entscheiden sollte.
Dieser Austausch wäre allerdings auch der einzige zwischen Boldt und Funkel in der Woche vor Weihnachten. Der erfahrene Trainer, zuletzt 2021 Retter des 1. FC Köln, wurde am Wochenende bereits öffentlich als Nachfolger von Walter gehandelt. Das Gerücht ist aber nicht sonderlich heiß. Boldt selbst dementierte Gespräche mit Funkel und auch mit André Breitenreiter. „Ich kann sagen, dass das nicht der Fall ist.“
Boldt ist unzufrieden mit der sportlichen Entwicklung
Trotzdem werden die Diskussionen um die Zukunft von Walter, der beim HSV bis Saisonende unter Vertrag steht, weitergehen. Boldt hatte am Sonnabend nach dem 2:0 (0:0)-Sieg im letzten Spiel des Jahres beim 1. FC Nürnberg selbst dazu beigetragen, dass über eine Ablösung von Walter nach zweieinhalb Jahren spekuliert werden darf. Auf mehrfache Nachfrage ließ Boldt die Zukunft von Walter offen. Zwar betonte der Manager, dass er die Trainerdiskussion nicht eröffnet habe. Gleichzeitig machte er deutlich, dass er mit der sportlichen Entwicklung unter Walter in den vergangenen Wochen unzufrieden ist.
„Klar gefällt es mir nicht, dass wir jetzt Dritter sind mit nur 31 Punkten, vor allem nach so einem Start“, sagte Boldt angesichts des fast perfekten Saisonbeginns mit 13 Punkten nach fünf Spielen und der Schwächephase in den vergangenen sechs Wochen. „Mit 31 Punkten hast du ein paar Punkte liegen lassen, aber auch darauf werden wir es nicht herunterbrechen, sondern schauen, was die Gründe dafür sind. Wo haben wir uns verbessert? Wie können wir uns weiter verbessern?“
Nachdem sich Boldt in den vergangenen zweieinhalb Jahren immer schützend vor Walter gestellt hat, äußerte er nun erstmals Zweifel, insbesondere an der Defensivausrichtung in einzelnen Spielphasen. „Man muss gucken, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder vom Weg abgekommen sind und was wir brauchen, um unser Ziel endlich mal zu erreichen.“ Die Ungeduld ist bei Boldt offenbar gewachsen, nachdem der HSV in den vergangenen Wochen immer wieder die gleichen Fehler gemacht hat und die zwischenzeitliche Weiterentwicklung der Defensive in die falsche Richtung geht.
Druck aus dem Aufsichtsrat ist größer geworden
In Nürnberg spielte der HSV zwar schon das siebte Mal zu null, doch mit etwas mehr Qualität im Abschluss hätte Nürnberg mehrfach in Führung gehen können. Die Hamburger boten dem FCN so viele Räume für Konter an, dass selbst Torwart Carl Klaus überrascht war. Dreimal rettete das Aluminium für den HSV, ehe Robert Glatzel (80.) und Jean-Luc Dompé (90.+7) mit ihrer individuellen Qualität die Partie für den HSV entschieden.
Spielverläufe wie diese hat es unter Walter schon häufig gegeben. Oft ging es gut, zu oft aber auch nicht. Und das dürfte die Zweifel nun auch bei Boldt vergrößert haben, ob es im sechsten Anlauf gelingt mit dem Aufstieg. Der Druck aus dem Aufsichtsrat war zuletzt nach der 1:2-Niederlage gegen Paderborn gestiegen.
Mannschaft kam im Tortue zum Weihnachtsessen zusammen
Was Boldt die Entscheidung erschwert: Zwischen den Spielern und dem Trainer stimmt es nach wie vor. Das zeigte das Spiel in Nürnberg. Nachdem die Mannschaft mit einer Chartermaschine noch am frühen Abend zurück nach Hamburg flog, traf sich das Team zum Weihnachtsessen im Edel-Restaurant Tortue. Anschließend verabschiedeten sich die Spieler bis Anfang Januar in die Winterpause.
Was die Partie in Nürnberg erneut verdeutlichte: Dem HSV ist die Stabilität abhandengekommen. „Es ging etwas zu viel hin und her. Wir wollen dominanter sein und mehr Kontrolle haben“, sagte Kapitän Sebastian Schonlau, der nach einer persönlich unbefriedigenden Hinrunde seinem Team die Note 3+ gab. „Es wäre mehr möglich und wir haben uns auch mehr ausgemalt, das steht fest“, sagte Schonlau, der nicht von einem Sieg für Walter sprechen wollte. „Das war nicht unser Fokus. Es musste keiner zu ihm gehen und ihn in den Arm nehmen.“
Walter glaubt an Zukunft in Hamburg
Walter selbst sprach nach dem Sieg in Nürnberg bereits von der Rückrunde. Ob er dann noch Trainer des HSV ist, darf aber bezweifelt werden. Im Laufe der Woche trifft sich Boldt mit dem 48-Jährigen zur Hinrundenanalyse. Anschließend will der Vorstand eine Entscheidung treffen. „Wir versuchen, das alles in Ruhe vor Weihnachten zu machen. Wenn aber noch Gespräche geführt werden müssen, vielleicht auch mit weiteren Menschen aus dem HSV-Umfeld, dann werden wir uns die Zeit nehmen“, sagte Boldt.
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Bis dahin wird weiter über mögliche Nachfolger spekuliert werden. Stefan Kuntz (61) könnte ein potenzieller Kandidat sein. Der ehemalige Nationaltrainer der Türkei hatte zuletzt mit Boldt Kontakt, als Torwarttrainer Sven Höh im Herbst bei der Türkei ausgeholfen hatte. Kuntz und Boldt schätzen sich. Doch das gilt auch für andere Trainer.
Und noch heißt der Chefcoach des HSV Tim Walter. Wer dessen Weg in Hamburg und das Spiel in Nürnberg verfolgt hat, sollte ihn nie zu früh abschreiben.