Hamburg. Nach der Paderborn-Niederlage hagelt es Kritik an Trainer Walter und Vorstand Boldt, doch es gibt auch Unterstützung für die Führung.

Das Schicksal des HSV und das von Trainer Tim Walter bewegt die Leserinnen und Leser des Abendblatts. Selten erreichte die Sportredaktion so viele Zuschriften und Leserbriefe wie in der Woche nach der 1:2-Heimniederlage der Hamburger gegen den SC Paderborn.

Dabei richtet sich die Kritik nicht nur an den Cheftrainer des HSV, auch Sportvorstand Jonas Boldt und die Spieler sehen sich Vorwürfen ausgesetzt. Ein Leser wittert hinter der sportlichen Situation gar eine Geschäftsidee. Andere hingegen stehen noch immer hinter Walter und Boldt und sehen die Trainer-Kritik als übertrieben.

HSV-Trainer Tim Walter: Muss Jonas Boldt jetzt handeln?

Ein Kommentar des Abendblatts nach dem Spiel gegen Paderborn, der dritten sieglosen Pflichtspielpartie in Folge, trägt den Titel der „Tim-Walter-Fußball hat in Hamburg keine Zukunft“. Das sieht offenbar auch Abendblatt-Leser Rolf Ulatowski so. In seiner Zuschrift kritisiert er vor allem Trainer Tim Walter und nimmt Sportvorstand Jonas Boldt in die Pflicht zu handeln.

Mit Bezug auf das im Elfmeterschießen verlorene DFB-Pokalachtelfinale gegen Hertha BSC Berlin schreibt er: „Jeder Amateurtrainer im Fußball hätte spätestens in der zweiten Halbzeit reagiert, um die Freiräume des Berliner Spielers Fabian Reese einzuengen, aber ‚Papa‘ Tim Walter hatte wohl mehr mit sich oder seiner Wasserflasche zu tun als mit der Analyse des Spiels.“ Flügelspieler Fabian Reese hatte die ersten beiden Tore der Hertha selbst erzielt und das 3:3 in der Verlängerung vorbereitet.

Anschließend fordert Leser Rolf Ulatowski: „Um den Aufstieg in die Bundesliga nicht erneut zu verpassen, wäre es an der Zeit, dass der Vorstand die Kritik an dem Trainer und dessen selbstherrlicher Art intensiviert und aufhört, Walter permanent den Rücken zu stärken.“

Auch HSV-Sportvorstand Jonas Boldt erntet deutliche Kritik

Doch nicht nur Walter, auch HSV-Sportvorstand Jonas Boldt wird bei den Abendblatt-Lesern kritisch gesehen. So spricht Dirk Petersmeier von einer Stagnation des HSV-Spielsystems und prangert die fehlende Qualität im HSV-Kader, vor allem in der Defensive, an.

Petersmeier schreibt: „Der ‚Übungsleiter‘ des HSV ist nach wie vor weder Willens, das Spielsystem auf die Möglichkeiten des Teams abzustimmen, noch in der Lage, seine jungen Spieler zu entwickeln oder während des Spiels personelle Notwendigkeiten zu erkennen und zu handeln.“ Dann wird der Leser richtig deutlich: „Bezeichnend realitätsfern ist auch die Arroganz, mit der Tim Walter dem Trainer von St. Pauli vor dem Derby jovial attestiert, einen ‚für dessen Alter guten Job zu machen‘ und sich damit über diesen stellt. Peinlich, unvorbildlich, Herr Walter!“

Dann geht Petersmeier auf Jonas Boldt ein. „Dem HSV mangelt es seit Jahren an zweitligareifen Spielern in der Abwehr. Damit demotiviert Jonas Boldt nicht nur die wettbewerbsfähigen Teile der Rothosen, er gefährdet langfristig den Verbleib von entwicklungsfähigen Spielern und Leistungsträgern.“ Sein Fazit lautet: „Programmierte Zweitklassigkeit!“ Wolle der HSV diesen Pfad verlassen, sei unverzügliches und gemeinsames Handeln aller relevanten Verantwortlichen zum Neustart bei Teamentwicklung und Management notwendig.

HSV in der Krise: Ist die sportliche Leitung hauptverantwortlich?

Abendblatt-Leser Raymond Buchholz fragt sich indes, warum in einer solchen Krisensituation meist nur über den Trainer gesprochen wird. Die Hauptverantwortlichen säßen doch schließlich über dem Trainer. Buchholz fragt: „Was, außer einem totalen Scheitern, sollte denn bitte Herrn Boldt attestiert werden? Die gesamte Einkaufspolitik beim HSV ist schlecht“, schreibt der Leser.

Jüngstes Beispiel sei Abwehrspieler Guilherme Ramos. „Er kommt mit den zweitschlechtesten Werten aus Bielefeld und soll sich und den HSV weiterentwickeln – eine einzige Katastrophe. Wieso hat bis dato ohnehin nicht mal irgendjemand die Befähigung seitens Herrn Boldt, ein solch wichtiges Amt zu übernehmen, hinterfragt?“, schreibt Buchholz, bevor er die komplette HSV-Führungsebene kritisiert: „Die Personen, die über Herrn Boldt sitzen, können allesamt nichts. Ständig geht es um Einzelinteressen. Sportliche und wirtschaftliche Weiterentwicklung? Fehlanzeige.“

Dann widmet sich der Leser dem sportlichen Geschehen und den Spielern, an dessen Stelle er Bakery Jatta als Beispiel spielerischer Stagnation und fehlender Qualität („seine Schüsschen, seine fehlende Ballannahme, seine unglaublich schlechten Flankenbälle“) nennt, bevor er zu seinem vernichtenden Urteil kommt: Der Verein sei auf ganzer Linie Mittelklasse. „Der HSV wird auch in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht aufsteigen, ohne an der ganz großen Schraube zu drehen: Boldt und Walter müssen zeitgleich weg, und 30 bis 40 Prozent der Spieler müssen gehen. Genau wie große Teile des Aufsichtsrates.“

Ist der Druck, beim HSV zu spielen, das große Problem?

Fragt man Geert Harzmann, ist auch er der Meinung, dass Tim Walter gehen muss. Die Mutter allen Übels sei aber nicht der Trainer. Schließlich sind vor ihm bereits Hannes Wolf, Dieter Hecking und Daniel Thioune allesamt am Wiederaufstieg gescheitert.

Vielmehr sieht Harzmann den Grund für das „notorische Scheitern“ der letzten Jahre mittlerweile als DNA des Vereins. „Ich habe den Eindruck, dass sich beim HSV in den letzten rund 20 Jahren eine Aura des Scheiterns eingenistet hat. Im Grunde weiß man bereits zum Saisonbeginn, dass am Ende immer in den entscheiden Momenten versagt wird. Nur die Art des Scheiterns ist offen.“

Hinzu käme das offensichtliche Problem mit dem Druck, dem die Spieler beim HSV nicht gewachsen seien. „Dennis Aogo bezeichnete das HSV-Trikot als bleischwer. Nicolai Müller sprach von einem ‚unmenschlichen Druck‘ in Hamburg, Sonny Kittel äußerte sich ähnlich. Offensichtlich kommen die Spieler, egal welcher Generation, nicht mit dem Schatten der Legenden Seeler, Magath, Hrubesch oder Happel, der Bürde der glanzvollen Vereinsgeschichte und der enormen Erwartungshaltung im gesamten Umfeld zurecht“, schreibt Harzmann in seinem Leserbrief.

Ist Felix Magath die Lösung der HSV-Probleme?

Wie aber könnte nun die Lösung der HSV-Misere aussehen? Sie heißt Felix Magath – zumindest, wenn man Rainer Koppke fragt. Auch er schrieb in seiner Zuschrift an das Abendblatt von einem „offensichtlich überforderten Sportvorstand und Sport-Direktor“ und der „qualitativen Fehleinschätzung des Teams mit Regionalliga-Abwehr und Ballbesitz-Fußball ohne Bewegung.“

Er habe laut eigenen Aussagen schon vor der Saison prophezeit, dass der HSV mit Tim Walter definitiv in die siebte Zweitliga-Saison gehen würde. „Der einzige Trainer, der den HSV in die Erste Liga hieven könnte, wäre Felix Magath. Aber Felix ist unbequem, nicht pflegeleicht. So wie fast alle, die Erfolg haben. Aber so einer passt nicht zum HSV, wie aus Kreisen des Aufsichtsrates zu hören war“, schreibt Koppke dem Abendblatt.

Wird die sportliche Krise des HSV überbewertet?

Kurt Napientek äußert sich in seiner Zuschrift anders als die meisten Leser. Er glaubt an Walter und an Boldt und kritisiert stattdessen den medialen Umgang des Abendblatts mit dem HSV, die Schiedsrichterleistungen und spricht von Pech. „Sowohl das Pokalspiel in Berlin, als auch das Ligaspiel gegen Paderborn hätten gewonnen werden können“, schreibt er. „In beiden Spielen war der Gegner nun wirklich nicht besser. Hinzu kommt auch Pech.“

Miro Muheim (25) sah in der 79. Minute eine umstrittene Rote Karte.
Miro Muheim (25) sah in der 79. Minute eine umstrittene Rote Karte. © DPA Images | Marcus Brandt

Das Abwehrproblem beim HSV sei auf die Liste der verletzten Spieler zurückzuführen, wie der Leser schreibt. Hinzu käme eine insgesamt bescheidene Schiedsrichterleistung von Christian Dingert am vergangenen Sonnabend gegen Paderborn, als Miro Muheim nur wenigen Minuten nach dem Paderborner Platzverweis ebenfalls die Rote Karte sah. Eine durchaus zweifelhafte Entscheidung.

Zuspruch bekommt der Leser von Frederik Braun, dem Gründer des Miniatur Wunderlandes. Bei Facebook kommentierte er: „Wir haben eine seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesene Unterstützung der Fans. Leistungsträger, die wirklich gute Angebote von anderen Vereinen in höheren Ligen hatten, haben sich an den HSV gebunden. Und jetzt wird mal wieder diese leidige Trainer-Diskussion gestartet. Es war so viel Pech in den letzten Spielen dabei, und das wird gerne mal wieder unter den Tisch gekehrt. Mich nervt das nur noch! Ich bin ganz klar pro Walter/Boldt und kann diese Hire-and-Fire-Mentalität der Hamburger Medien und einiger ‚Edel Fans‘ einfach nicht mehr ertragen!“

Walter, Boldt und die HSV-Misere: Nur eine Geschäftsidee?

Die vielleicht außergewöhnlichste Zuschrift, die die Sportredaktion erreichte, kam von Martin Wucherpfennig. Denn der Abendblatt-Leser geht (mit einer guten Prise Ironie versehen) bei den vergeblichen Aufstiegsversuchen tatsächlich von einer Methode des HSV aus.

Er schreibt: „Die Geschäftsidee von Jonas Boldt ist simpel: Man redet jedes Jahr vom Aufstieg, lockt damit die Zuschauer ins Stadion, nimmt Erstliga-Preise und verpflichtet einen Trainer, der bei Fans und Spielern gute Laune verbreitet. Damit die Rechnung aber über viele Jahre aufgeht, muss ein Spielsystem her, dass gut genug für die oberen Plätze der Zweiten Liga ist, aber nicht für höhere Aufgaben taugt.“

In seiner Analyse schreibt Wucherpfennig weiter: „Dazu stellt man eine Mannschaft zusammen, die mental und sportlich nicht in der Lage ist, eine gesamte Saison auf konstant hohem Niveau zu spielen. Bisher ist diese ‚Operation zweite Liga‘ (besser vor vollem Haus in der Zweiten Liga um den Aufstieg spielen als vor leeren Rängen um den Abstieg in der Ersten Liga) aufgegangen. Fragt sich nur, wann die Fans die Geduld verlieren und diese Geschäftsidee durchschauen.“

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So unterschiedlich die Meinungen der Abendblatt-Leser auch sind, die Ausgangslage ist eindeutiger. In der am Mittwoch stattfindenden Hauptversammlung der HSV Fußball AG wird Jonas Boldt den Gesellschaftern und den Aufsichtsräten den sportlichen Bericht präsentieren. Nach Abendblatt-Informationen erwarten den 41-Jährigen dann deutliche Nachfragen zu seinen Plänen in der Trainerfrage. Möglicherweise wird es sogar Forderungen geben, sich spätestens nach dem Ende der Hinrunde am Sonnabend beim 1. FC Nürnberg (13 Uhr) von Walter zu trennen.