Hamburg. Die Allianzen beim HSV bröckeln. In der Diskussion um Tim Walter könnte der Aufsichtsrat nun Druck auf den Vorstand ausüben.

Vor ziemlich genau einem Jahr konnte Tim Walter eine entspannte Vorweihnachtszeit verbringen. Wegen der Weltmeisterschaft in Katar ruhte der Fußball in der Bundesliga und in der Zweiten Liga. Und auch um seine Zukunft in Hamburg musste sich Walter keine Sorgen machen. Der Vorstand, zu diesem Zeitpunkt nur durch Jonas Boldt besetzt, war sich bereits klar darüber, mit dem Trainer des HSV vorzeitig zu verlängern.

Dass es trotzdem noch einen Monat dauern sollte mit der offiziellen Verkündung, hatte einen speziellen Grund: Hinter den Kulissen herrschte ein innenpolitischer Kampf um die Vormachtstellung im Volkspark. Dabei ging es auch um Boldts eigene Zukunft. Mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Marcell Jansen hatte er im Kontrollgremium einen großen Kritiker gegen sich. Kurz vor Weihnachten entschied sich das Gremium trotzdem, mit Boldt bis 2025 zu verlängern. Und dieser verlängerte erst danach mit Walter. Der Sportvorstand hatte die offene Zukunft des bei den Fans beliebten Trainers geschickt für sich genutzt.

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Ein Jahr später hat sich beim HSV in der Theorie nicht viel verändert. Walter ist noch da, Boldt ebenso, und der Club ist immer noch Zweitligist. Jansen ist zwar nicht mehr Aufsichtschef, aber immer noch Mitglied des siebenköpfigen Gremiums und zudem nach wie vor HSV-Präsident. Und auch die gegenseitige Geringschätzung von Jansen und Boldt ist bis heute geblieben. Also alles beim Alten?

Lage im Volkspark spitzt sich zu

Mitnichten. Kurz vor der Hauptversammlung der HSV Fußball AG am Mittwoch spitzt sich die Lage im Volkspark zu. Vieles deutet daraufhin, dass Boldt in der Vorweihnachtszeit 2023 – anders als vor einem Jahr – unter Zugzwang gerät und die Stimmung nicht mehr für sich und Walter nutzen kann. Boldt wird den Gesellschaftern und den Aufsichtsräten am Mittwoch den sportlichen Bericht präsentieren. Nach Abendblatt-Informationen erwarten den 41-Jährigen dann deutliche Nachfragen zu seinen Plänen in der Trainerfrage. Möglicherweise wird es sogar Forderungen geben, sich spätestens nach dem Ende der Hinrunde am Sonnabend beim 1. FC Nürnberg (13 Uhr) von Walter zu trennen.

Wie Boldt darauf reagieren wird, ist offen. Klar aber ist: Die Allianz zwischen dem Sportvorstand und dem Trainer, die seit April 2022 immer stärker wurde, könnte bröckeln. Schließlich geht es auch um Boldts eigene Position. Der Manager hat einen bis 2025 laufenden Vertrag und steht intern nicht zur Disposition. Vor der Saison hat der Aufsichtsrat nach Abendblatt-Informationen den klaren Beschluss gefasst, mit dem Vorstandsduo Boldt und Eric Huwer (Finanzen) das gesamte Geschäftsjahr zu bestreiten. Walter dagegen wurde im Aufsichtsrat schon vor der Saison kritisch gesehen.

Boldt wird Walter schützen, solange es geht

Für Boldt ist klar, dass er Trainer Walter so lange den Rücken stärken wird wie möglich. Klar ist aber auch, dass er nicht aus reiner Nibelungentreue an Walter festhalten wird. Das gute Verhältnis zwischen den beiden wird auch zukünftig weiterhin bestehen bleiben, sollte Boldt irgendwann zum Entschluss kommen, sich für einen Trainerwechsel zu entscheiden. „Wir haben ein sehr enges Verhältnis und können uns viele Dinge sagen“, sagte Boldt vor wenigen Wochen bei „Sky90“ über Walter und ergänzte: „Das Schöne ist, dass man ihm es auch sehr direkt sagen kann und merkt, dass er sich entwickeln möchte.“

Dass Boldt trotz zweier verpasster Aufstiege mit Walter in die neue Saison gegangen ist, liegt in erster Linie an der Qualität des Trainers in der Führung der Mannschaft. Die Führungsspieler stehen zwar noch immer mehrheitlich hinter Walter. Doch das Vertrauen, dass es der 48-Jährige im dritten Anlauf schafft, ist rund um den HSV erheblich gesunken. Ein weiteres Verfehlen des Saisonziels kann sich auch Boldt nicht leisten.

Papenfuß rückt in den Fokus

In den Fokus rückt in dieser Gemengelage vor allem der Aufsichtsratsvorsitzende Michael Papenfuß. Bis vor einem Jahr stand der 69-Jährige, der gleichzeitig Vizepräsident des HSV e.V. ist, noch eng an der Seite von Präsident Jansen. Am Montag saßen die beiden gemeinsam bei einer Pressekonferenz des Vereins zur Übernahme der Eishockeyhalle im Volkspark (siehe Seite 16). Doch das Vertrauensverhältnis der beiden Funktionäre gilt mittlerweile als belastet.

Jansen steht intern seit Monaten in der Kritik, hat bislang aber jegliche Ratschläge zum Rücktritt ignoriert. Ob Papenfuß ihn zu diesem Schritt bewegen kann, dürfte sich zeitnah zeigen. Einen Abwahlantrag gegen Jansen wird es auf der Mitgliederversammlung am 14. Januar – anders als im Januar dieses Jahres – in jedem Fall nicht geben.

Anteilsverkauf von Wüstefeld an HanseMerkur wird vollzogen

Nach den Irrungen und Wirrungen rund um Ex-Vorstand Thomas Wüstefeld, dessen Anteilsverkauf an die HanseMerkur Versicherungsgruppe am Mittwoch von der Hauptversammlung offiziell verabschiedet wird, sind die vereinspolitischen Folgen beim HSV noch immer zu spüren. Während Wüstefeld vom Vorstand zwischenzeitlich zur unerwünschten Person im Volksparkstadion erklärt wurde, hat sich Jansen nie vom umstrittenen Noch-Gesellschafter distanziert. Dadurch ist ein Misstrauen gegenüber dem Präsidenten entstanden, das zuletzt auch der neue Anteilseigner HanseMerkur zu spüren bekam, da die Kommunikation mit dem Hamburger Versicherungsunternehmen vor allem über Jansen lief.

Die Hauptversammlung könnte nun dazu beitragen, dass sich die Allianzen innerhalb der HSV-Gremien neu ordnen. Wirtschaftlich ist der Club so gut aufgestellt wie lange nicht. Der positive Jahresabschluss mit einem Gewinn von 7,8 Millionen Euro wird am Mittwoch verabschiedet. Ziel muss es nun sein, dass mit Beginn des neuen Jahres und der 2024 bevorstehenden Abstimmung über eine Rechtsformänderung die vereinspolitischen Störungen behoben werden, damit der Club nicht weiter gelähmt wird und der Fokus auf den Sport gelegt werden kann.

Wer den HSV kennt, der weiß aber auch, dass das wohl weiterhin nur ein frommer Weihnachtswunsch bleibt.