Hamburg. Strategiepapier des HSV-Präsidenten wäre ein Satzungsverstoß gewesen. Der Ärger ist groß. Worüber bereits diskutiert wird.
Marcell Jansen wird am Dienstag in der Europa Passage zu sehen sein. Im Rahmen eines PR-Termins für die EM 2024 soll der Präsident des HSV e.V. Lust auf das Turnier machen. Während der Veranstalter von einer „prominenten und fachkundigen Besetzung“ spricht, wäre es einigen Vereinsvertretern lieber gewesen, Jansen hätte seine Teilnahme abgesagt. Nach Abendblatt-Informationen ist dem Ex-Profi von drei Gremienmitgliedern nahegelegt worden, sich öffentlich nicht mehr zu äußern und seine repräsentativen Tätigkeiten zurückzufahren.
Ein Ratschlag mit Eskalationspotenzial, weshalb Jansen entsprechend erbost reagiert haben soll. Hintergrund dieser Forderung ist ein seit Monaten andauernder Streit, den der ehemalige Nationalspieler im Frühjahr mit seinem intern nicht abgesprochenen „Bild“-Interview auslöste, als er vom „fehlenden gegenseitigen Respekt“ auf der Hauptversammlung der HSV Fußball AG gesprochen und den diffamierenden Satz eines Gesellschafters („dir hätte man früher Steine an die Beine gebunden und dich in der Elbe versenkt“) bestätigt hatte.
Seitdem gilt Jansen in der AG und im e.V. als weitgehend isoliert. Innerhalb des Vereins wurde ihm schon mehrfach ein Rücktritt nahegelegt, den der 38-Jährige aber vehement ablehnt.
HSV: Marcell Jansen arbeitet gegen Vereinsstruktur
Stattdessen verfolgt Jansen weiterhin seine eigene Agenda, wie jüngst sein als Strategiepapier angedachtes Schreiben für Hauptsponsor HanseMerkur zeigte. Die Versicherungsgruppe wartet nur noch auf die Zustimmung der Hauptversammlung Ende November, um die Anteile von Ex-Vorstand Thomas Wüstefeld (5,07 Prozent) zu übernehmen.
Jansen wollte vorab mit einer Art Absichtspapier beim neuen Gesellschafter aufschlagen, um seine persönlichen Visionen vorzustellen. Seine Idee scheiterte zwar daran, dass die Vizepräsidenten Michael Papenfuß und Bernd Wehmeyer ihre Unterschrift verweigert hatten. Doch der Inhalt des Schriftstücks sorgt noch immer für mächtig Wirbel beim HSV. Denn neben der vorgesehenen Installation eines Vorstandschefs der AG wollte Jansen auch die Geldgeberkontrollfunktion des Beirats außer Kraft setzen.
Hätte das Präsidium den Plänen geschlossen zugestimmt, wäre das ein Verstoß gegen die Satzung des e.V. gewesen. So heißt es in Paragraf 19, Punkt 3 c: Der Beirat „genehmigt den vom Präsidium aufgestellten Vereinshaushaltsplan“. Doch genau diese Aufgabe wollte Jansen unterbinden. Mit anderen Worten: Der Präsident des HSV arbeitet aus den eigenen Reihen mit einem Strategiepapier gegen die Vereinsstruktur. Jansen selber ließ eine Abendblatt-Anfrage unbeantwortet, als er mit diesen Vorwürfen konfrontiert wurde.
HSV zieht Misstrauensantrag gegen Jansen in Erwägung
Fest steht, dass dieser beispiellose Vorgang das ohnehin schon brodelnde Fass zum Überlaufen gebracht hat. Insbesondere der Beirat ist mächtig verärgert. Das Schriftstück wurde auch auf der zurückliegenden Aufsichtsratssitzung am Montag vor einer Woche thematisiert. Die Resonanz, die der digital zugeschaltete Jansen erfuhr, fiel geschlossen negativ aus. Das Kontrollgremium verfolgt das Ziel, für Ruhe zu sorgen. Jansens Strategiepapier hätte nach Ansicht der Räte dagegen eher das Gegenteil ausgelöst.
Doch auch ohne eine Umsetzung haben die darin festgehaltenen Ideen eine neue Alarmstufe beim HSV ausgelöst. Wie das Abendblatt erfuhr, wird innerhalb des Vereins bereits ein Misstrauensantrag gegen den Präsidenten in Erwägung gezogen. Für den Fall der Fälle müsste das Präsidium eine außerordentliche Mitgliederversammlung beantragen.
Die einzelnen Gremien hoffen zwar geschlossen, dass es so weit gar nicht erst kommt und Jansen seine politischen Machtspiele zurückfährt. Ausschließen will ein solches Szenario allerdings keiner – und handlungsfähig wäre das Präsidium auch ohne Jansen.
Als es zum Misstrauensantrag beim HSV kam
Dass die Gremien grundsätzlich bereit sind, einen Misstrauensantrag zu stellen, zeigt das Beispiel Thomas Schulz aus dem Jahr 2021. Damals hatte sich der Ehrenrat in der Pflicht gesehen, dem ehemaligen Vizepräsidenten das Vertrauen zu entziehen. Das mit allen Gremien abgesprochene Votum wurde als letzter Ausweg eines festgefahrenen Streits zwischen Jansen und seinen beiden Vizes Schulz und Moritz Schaefer gesehen.
Um das Chaos bei einer solchen Wahl zu verhindern und einen Neustart anzugehen, trat nur wenige Wochen später das komplette Präsidium des HSV e.V. zurück. Es folgte die Wahl Jansens sowie seiner Stellvertreter Wehmeyer und Papenfuß, dessen Ärger über einzelne Vorgehensweisen des Präsidenten nach anfänglicher Harmonie zunehmend wächst.
Stammt das Papier gar nicht aus Jansens Feder?
Auch wenn auf der kommenden Präsidiumssitzung Ende November der neue Stand der geplanten Rechtsformänderung von der AG in eine KGaA im Fokus stehen soll, wird an diesem Tag auch der gesamte Vorgang, wie es zu Jansens Strategiepapier gekommen ist, neu aufgearbeitet werden.
Zumal es Zweifel daran gibt, ob der Präsident tatsächlich der Autor des Schreibens ist, wie er selber beteuert. So existiert der Verdacht, Jansen könnte von außen instrumentalisiert worden sein. Anfängliche Gerüchte, Hauptsponsor HanseMerkur könnte dahinterstecken, haben sich zwar glaubhaft nicht bestätigt. Doch die Suche nach einem weiteren Initialzünder des Schriftstücks geht weiter.
HSV-Mitgliederversammlung: Wortbeiträge gegen Jansen?
Ein zusätzliches Problem für Jansen ist der zunehmend auch in der aktiven Fanszene wachsende Widerstand gegen seine Person. Zwar planen die Ultras noch keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie beispielsweise ein Protestbanner bei Heimspielen. Der treueste Teil der Anhängerschaft hat allerdings die Erwartungshaltung, dass die Vereinsgremien den Streit intern regeln – mit dem klaren Ziel, Strategiepapiere dieser Art künftig zu verhindern.
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Es sind allerdings auch andere Stimmen aus Fankreisen zu vernehmen, in denen Jansen als einer der letzten Gegenspieler von Investor Klaus-Michael Kühne als eine Art Hoffnungsfigur gesehen wird, den Traditionsverein vor dem wachsenden Einfluss von Investoren zu schützen.
Und dennoch könnte es für Jansen auf der für den 14. Januar 2024 geplanten Mitgliederversammlung ungemütlich werden. Wie das Abendblatt erfuhr, halten sich auf dem offiziell noch nicht bestätigten Termin mehrere Vereinsvertreter die Option eines Wortbeitrags gegen den Präsidenten offen. Ausschlaggebend hierfür sei die Entwicklung in den kommenden Wochen, heißt es. Jansens öffentliche Termine werden also weiter im Fokus stehen.