Hamburg. HSV gegen Magdeburg ist auch das Duell Walter gegen Titz. Eine Taktikanalyse, die tiefer geht als eine Abwehr stehen kann.

Am Sonnabend wird Christian Pöhlmann alleine auf seiner Couch sitzen, um beim im TV laufenden Heimspiel des HSV gegen den 1. FC Magdeburg (20.30 Uhr/Sky, Sport1 und im Liveticker bei abendblatt.de) nicht abgelenkt zu werden. Während der Partie wird der 29 Jahre alte studierte Betriebswirt immer wieder sein Handy zücken, um sich mit Julian Berce (27) bei WhatsApp auszutauschen. Denn die beiden Statistiknerds aus Kulmbach (Bayern) haben einen speziellen Blickwinkel auf den Fußball. Sie analysieren taktische Feinheiten auf Basis von Daten, verarbeiten ihr Wissen und verdienen damit hauptberuflich ihre Brötchen.

Mit ihrer im April 2022 gegründeten Firma „ballorientiert“ haben die seit ihrer Kindheit befreundeten Twens nicht weniger vor als neue „Maßstäbe in der Fußballanalyse“ zu setzen, wie es auf ihrer gleichnamigen Webseite heißt. Zu ihren Kunden zählen bereits TV-Rechteinhaber der Bundesliga und Tageszeitungen.

Ihre Arbeit ist so beliebt, weil die beiden Fußballliebhaber tiefgründige Analysen anbieten. Ein Vorteil gegenüber herkömmlichen Datenanbietern, die meistens nur eine Flut an Statistiken präsentieren, ohne diese in den Kontext zu setzen.

HSV-Taktik von Walter gegen Titz' im Vergleich

Solche Firmen hat auch „ballorientiert“ abonniert, um schon während eines Spiels mit einer Vielfalt an Zahlen beliefert zu werden. „Wir filtern unsere Daten, verarbeiten sowie interpretieren sie und liefern eine vollumfängliche Analyse“, erklärt Pöhlmann im Gespräch mit dem Abendblatt, für das er einen Taktikvergleich der offensiv ausgeprägten Spielideen von HSV-Trainer Walter und seinem Magdeburger Amtskollegen Christian Titz erstellt hat.

Gleich zu Beginn seiner zweiseitigen Analyse geht Pöhlmann derart in die Tiefe, dass selbst Spezialisten erstaunt die Augenbrauen hochziehen. Die Sachsen-Anhalter verschieben ihr 3-4-3-System im Ballbesitz in ein 4-3-2-1. Dabei positionieren sich die beiden Schienenspieler auf den Flügeln sehr hoch, während die Außenstürmer nach innen ziehen, um die Halbräume zu besetzen. Dadurch überlade Magdeburg das Zentrum, lautet seine Schlussfolgerung.

HSV, aufgepasst: Das sind Magdeburgs Schwächen

Weil den Gästen dadurch aber zugleich die Kompaktheit fehle, bestreiten sie in der Defensive überdurchschnittlich viele Eins-gegen-eins-Duelle. Eine Beobachtung, die dem HSV zugutekommen könnte, da Walter bevorzugt über die Flügel angreifen lässt. Bereits fünf Treffer haben die Hamburger nach erfolgreichen Dribblings erzielt (zweitbester Wert der Liga), Magdeburg kassierte auf diese Weise dagegen schon drei Gegentore (zweitschwächster Wert).

Zudem erweist sich Magdeburgs große Stärke, mit schnellen Passkombinationen und vielen Dribblings Torchancen zu kreieren, häufig als Achillesferse. Durch individuelle Fehler im Spielaufbau kassierte der Club bereits sechs Gegentore. Eine Schwäche, von der der HSV, der die zweitmeisten hohen Balleroberungen der Liga verzeichnet, profitieren will. Als weiteres effektives Mittel könnten sich Distanzschüsse erweisen. Magdeburgs nach Ballverlusten oftmals unbesetzter Rückraum führte bereits zu vier Gegentoren. Dem gegenüber stehen sechs Tore aus der Distanz für den HSV.

Elfadli ist Titz' Herzstück

Schlüsselspieler der Magdeburger ist nicht etwa Topscorer Baris Atik oder Toptorschütze Luca Schuler, sondern Defensivspieler Daniel Elfadli. Der defensive Mittelfeldspieler, der sich bei eigenem Ballbesitz für den Spielaufbau häufig zwischen beide Innenverteidiger schiebt, hat die drittbeste Defensivquote der Liga, indem er viele Pässe proaktiv abfängt und unheimlich präsent im Zweikampf ist.

Mit diesen Eigenschaften ist er für die Stabilität der Mannschaft von immenser Bedeutung ist, da die Offensivspieler bei gegnerischem Ballbesitz durchgehend hoch anlaufen. In der Folge hat Magdeburg bereits vier Tore nach Balleroberungen erzielt. Zum Vergleich: der HSV kommt auf zwei.

Elfadlis Qualitäten hatten sich im Sommer bis nach Hamburg herumgesprochen. Wie berichtet, war der 26-Jährige der Wunschspieler, um in Konkurrenz mit Jonas Meffert zu treten. Doch Magdeburg rückte partout nicht von seiner Ablöseforderung von einer Million Euro ab, die der HSV nicht zu zahlen bereit war. Am Ende eines zähen Pokers verpflichteten die Hanseaten Lukasz Poreba.

HSV hat Stärken im Gegenpressing

Auch ohne Elfadli agiert der HSV erfolgreich im Zurückerobern des Spielgeräts nach Ballverlusten, auch Gegenpressing genannt. Durch intensives Anlaufen haben Mannschaften gegen Hamburg im Schnitt vier Prozent weniger Ballbesitz als sie es gewohnt sind. Es ist der zweitbeste Wert der Liga. Erfolgreicher ist lediglich Magdeburg mit beachtlichen neun Prozent.

Das aktive Gegenpressing, das Gegner häufig zu langen Bällen zwingt, ist einer der Gründe, warum beide Teams ligaweit über den meisten Ballbesitz verfügen. Auch in dieser Statistik führt Magdeburg (63) vor dem HSV (59).

Entgegen der eigenen Spielphilosophie agierte der damalige Zweitligaaufsteiger in der vergangenen Saison allerdings passiver gegen den HSV. Titz überließ den Hamburgern mehr Ballbesitz, seine Mannschaft kam zu Hause nur auf 44 Prozent, im Volksparkstadion sogar nur auf ungewohnte 34 Prozent. Müssen sich die Hamburger etwa erneut auf ein Geduldsspiel gegen einen tiefer stehenden Gegner einstellen? „Vielleicht weichen sie auch diesmal von ihrer Philosophie ab“, sagt Walter, der diese Statistik ebenfalls kennt.

HSV-Abwehr von Walter als Problemzone

Seine hoch stehende Defensivreihe könnte damit wie schon in den jüngsten Auswärtsspielen zum Risikofaktor werden. Magdeburgs technisch veranlagten Offensivmänner Atik, Jason Ceka und Silas Gnaka wissen, die sich bietenden Räume im Rücken der Abwehr zu bespielen. Mit 29 erfolgreichen Schnittstellenpässe führen sie auch in dieser Wertung die Liga an, dahinter folgt Hamburg mit 21.

Ob diese Stärke auch gegen den HSV zu sehen sein wird? „Wir sind keine HSV-Fans, aber der Club packt uns immer wieder. Wir sind Fans des Fußballs von Tim Walter und schauen den HSV häufiger im Einzelspielmodus im TV“, sagt Pöhlmann, der genau hinsehen wird, wie sehr der Spielverlauf am Sonnabend von seiner Analyse abweicht.