Hamburg. Banner des umstrittenen Fanclubs nach Ansage des HSV nicht zu sehen. Club fördert Fan-Debatten über die Einhaltung von Werten.
Bei Heimspielen hat Cornelius Göbel seinen Platz auf der Osttribüne des Volksparkstadions. Von dort aus genießt der „Direktor Fans, Kultur und Identität“ beim HSV den besten Blick auf die Nordtribüne, wo die aktive Fanszene die Unterstützung der Mannschaft organisiert, sowie den Gästeblock. Gemeinsam mit seinem Team von sieben Fanbeauftragten sei Göbel während der 90 Minuten permanent unterwegs, wie er im Abendblatt-Podcast HSV – wir müssen reden erzählt.
Bei den Partien gegen Hertha BSC (3:0) und Fortuna Düsseldorf (1:0) musste er sich mit einer komplexen Thematik auseinandersetzen, die seitdem eine emotional geführte Debatte ausgelöst hat. Eine schwarze Fahne des in den 1980er-Jahren als rechtsradikal geltenden Fanclubs „Die Löwen“ hatte das riesige Banner der HSV-Supporters auf der Nordtribüne überdeckt. Eine offensichtliche Provokation, auch wenn „Die Löwen“ diese Interpretation als „Blödsinn“ abgestempelt haben.
Bei einem Gespräch im Volksparkstadion wurde den Mitgliedern des Fanclubs ein Banner-Verbot auferlegt. Daraufhin war die schwarze Flagge beim jüngsten Heimspiel gegen Greuther Fürth (2:0) nicht mehr zu sehen. „Die Personen, mit denen wir sprachen, haben unsere unmissverständliche Erwartungshaltung verstanden“, sagt Göbel, neben dem weitere Fanbeauftragte, der Supporters Club sowie der Ehrenrat an dem Treffen teilnahmen.
HSV-Problem mit „Löwen“: Der Ursprung
Der Vorfall erhielt auch deshalb eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeiten, weil die damaligen Hooligans der „Löwen“ als verantwortlich für den Tod von Bremens Fan Adrian Maleika († 16) gelten, der 1982 bei einer Schlägerei zwischen HSV- und Werder-Bremen-Fans vor dem Volksparkstadion ums Leben gekommen war. Er gilt als das erste Todesopfer von Fangewalt in der Bundesliga.
Anlässlich seines 40. Todestages errichtete der HSV vor einem Jahr eine Gedenktafel, um „an ein Schicksal zu erinnern, das außerordentlich dramatisch ist und in der Form auch nie wieder passieren darf“, sagt Göbel, für den dieses Projekt beim HSV eine „neue Zeitrechnung eingeläutet“ habe, „grundsätzlich zu erinnern“.
Auch wenn die Schuldfrage am Tod Maleikas vor Gericht nie geklärt wurde und nur einer der acht Angeklagten ein Teilgeständnis abgelegt hatte, wäre es für Göbel „zynisch, das Banner der ,Löwen‘ zu akzeptieren, wenn ein paar Meter weiter die Gedenktafel für Adrian Maleika steht“. Bis heute haben sich die Mitglieder des Fanclubs nicht klar von der rechtsradikalen Ideologie ihrer Vorgängergeneration distanziert, einen Zusammenhang mit dem Tod Maleikas verleugnen sie. Es ist eine Haltung, die der HSV scharf kritisiert.
HSV-Fan fordern „Löwen“-Aus – warum das nicht geht
Einigen Fans geht das Banner-Verbot deshalb nicht weit genug. In einer von mehr als 2200 Personen unterschriebenen Petition fordern Teile der Anhängerschaft das Aus der „Löwen“ im Volkspark. Göbel habe zwar Verständnis für diese Erwartungshaltung, „rein rechtlich“ sei sie aber nicht umsetzbar. Der HSV habe vor einigen Jahren die Stadionordnung und die Vereinssatzung um einen Antidiskriminierungsparagrafen erweitert. Damit sei die Grundlage für Stadionverbote, die maximal fünf Jahre gelten, sowie Vereinsausschlussverfahren gelegt worden.
Zugleich, betont Göbel, schütze diese Regelung vor Willkür. „Ohne einen akuten Vorfall können wir kein Stadionverbot aussprechen.“ Von seinem Hausrecht könne der HSV ebenfalls nicht Gebrauch machen, da „Die Löwen“ keine kriminelle Vereinigung bilden und ihre schwarze Fahne keine gegen die Stadionordnung verstoßenden Elemente beinhaltet.
HSV etabliert Projekte zur Aufarbeitung der rechten Historie
Die Gründungsmitglieder der „Löwen“ stammen aus einer dunklen Zeit, in der sich Rassismus sowie gewalttätige Auseinandersetzungen durch Hooligans in deutschen Stadien ausgebreitet hatten. Durch mehrere Generationswechsel der Ultraszene beim HSV wurden die unerwünschten Problemstifter stetig aus dem Volkspark verdrängt. Mit seiner Ausstellung „Ins rechte Licht gerückt“ habe sich der HSV systematisch mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt, „die im höchsten Maße problematisch ist“, sagt Göbel.
Auch „Die Löwen“, „die das Gewaltmonopol im Umfeld des HSV“ besaßen, sind Teil der Aufarbeitung. „Sich dieser Vergangenheit zu stellen ist sehr wichtig, um daraus eine Haltung abzuleiten und diese auch einzufordern“, sagt Göbel. „Das ist auch unsere Pflicht. Als sehr sichtbarer Player sind wir uns unserer Verantwortung für die Gesellschaft bewusst.“
Durch die Gründung des Netzwerks Erinnerungsarbeit, bei dem HSV-Mitarbeiter sowie -Fans an werteorientierten Projekten arbeiten, hat der Club eine Diskussionskultur geschaffen, bei der es unterschiedliche Meinungen geben kann, wie das Beispiel der „Löwen“ zeigt.
„Wir wollen diese aktiv geführten Debatten und sind sehr froh darüber, dass wir in unserer Anhängerschaft so eine klare Werteorientierung haben“, bekräftigt Göbel, der ein offenes Ohr für eine kritische Begleitung vonseiten der Fans habe. „Genau dafür haben wir unsere Maßnahmen mit der dazugehörigen Aufarbeitung installiert. Wir wollen als Verein daran wachsen.“
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Rassismus? HSV hat Anlaufstelle
Wenn es während eines Spiels zu rassistischen oder sexuellen Vorfällen kommen sollte, können sich Betroffene und Zeugen an den „Ankerplatz“ direkt hinter dem Block 23 A auf der Nordtribüne wenden. Durch gemeldete Fälle seien schon mehrfach Stadionverbote verhängt worden. „Die Anlaufstelle ist etabliert, wir haben eine gut funktionierende Meldekette“, sagt Göbel, auch wenn es, wie bei jeder Großveranstaltung, immer noch eine „hohe Dunkelziffer an Vorfällen“ gebe.
Solche klaren Verfehlungen seien den „Löwen“ durch das bloße Zeigen ihrer Fahne nicht nachweisbar. Wie aber geht es nun weiter mit der bei einigen Fans unerwünschten Gruppierung, die aus einem losen Zusammenschluss aus bis zu 20 einzeln ins Stadion gehenden Mitgliedern bestehen soll?
Göbel betont, dass „die Löwen“ in dem Gespräch mit dem HSV keinen Freibrief erhalten hätten. „Wir beobachten die Situation weiterhin sehr, sehr genau“, sagt der studierte Sozialpädagoge. Von der Osttribüne aus wird er künftig verstärkt auf eine schwarze Fahne achten.