Hamburg. Der FC St. Pauli und der HSV thronen nach zehn Spieltagen an der Spitze der Zweiten Liga. Das Stadtderby wirft seine Schatten voraus.
Wenn Daniel Heuer Fernandes am Montag etwas genauer auf die Tabelle der Zweiten Liga geguckt hat, wird er sich vielleicht ein klein wenig geärgert haben, dass er am Sonnabend gegen Greuther Fürth einen Elfmeter gehalten hat. So endete das Spiel für den HSV zwar mit 2:0, der Spieltag aber mit einer Tordifferenz von 19:10. Eine Steilvorlage für Fans des FC St. Pauli von 1910. Ganz im Ernst ärgerte sich der HSV-Torhüter aber darüber, dass seine Offensivkollegen zahlreiche Möglichkeiten vergaben, um nicht mit dem Gründungsdatum, sondern mit der Tordifferenz des Stadtrivalen gleichzuziehen. „Die Chancenausbeute geht noch besser“, sagte Heuer Fernandes.
So bleibt der HSV auch nach dem zehnten Spieltag in Liga zwei auf Platz zwei hinter Spitzenreiter St. Pauli, konnte aber zumindest den Punkterückstand aufholen. Mit jeweils 20 Punkten liegen die beiden Hamburger Clubs aktuell auf den zwei Aufstiegsplätzen. Heuer Fernandes kann sich mit diesem Tabellenbild zwar nicht anfreunden, wie er vor zwei Wochen im Abendblatt-Podcast sagte („Wir wollen ganz oben stehen“). Für viele Hamburger wäre ein Doppelaufstieg in die Bundesliga aber durchaus erstrebenswert.
FC St. Pauli und HSV: Maybach in Eimsbüttel zeigt Spiele beider Clubs
Zum Beispiel für zahlreiche Bars und Restaurants der Stadt, in denen die Spiele beider Vereine übertragen werden. Eines davon ist das Maybach in Eimsbüttel. „St. Pauli und der HSV machen gerade richtig Spaß“, sagt Christian Möhlenhof. Der 61-Jährige ist der Wirt des Lokals und zeigt dort jede Woche sowohl die Spiele des HSV als auch des FC St. Pauli. Am kommenden Sonnabend können Gäste dort am Mittag zunächst das Heimspiel des Kiezclubs gegen den Karlsruher SC verfolgen. Am Abend läuft auf den Bildschirmen das Topspiel zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und HSV. Möhlenhof hofft, dass die beiden Hamburger Clubs sich an der Tabellenspitze halten. „Hamburg ohne Bundesliga – das geht doch gar nicht“, sagt der gebürtige Hamburger.
Kaum einer kann so glaubhaft für beide Vereine halten wie Möhlenhof. Einerseits ist er HSV-Fan, spielte Anfang der 1990er-Jahre selbst für die sechsten Herren des HSV zusammen mit dem heutigen Stadionchef Kurt Krägel und dem Unternehmer und HSV-Partner Eugen Block. Andererseits hat er seit mehreren Jahrzehnten eine Dauerkarte am Millerntor. Retter Christian steht auf seinem Saisonticket, weil er 2006 an unterschiedlichen Aktionen zur Unterstützung des angeschlagenen Vereins teilgenommen hatte.
Dürfte er sich einen Club in der Bundesliga aussuchen, würde er allerdings den HSV nehmen. „Der HSV hat den Aufstieg dringender nötig. Für St. Pauli wäre die Bundesliga immer nur ein Abenteuer“, sagt Möhlenhof. Er könnte sich sogar damit anfreunden, wenn beide Vereine auch in dieser Saison die Klasse halten. „Lieber erfolgreich in der Zweiten Liga als erfolglos in der Bundesliga. Und Bayern München gegen den HSV müsste ich im Moment nicht unbedingt haben.“
Am 1. Dezember kommt es zum nächsten Stadtderby
Am 1. Dezember wird sein Laden wieder aus allen Nähten platzen, wenn St. Pauli den HSV am Millerntor zum nächsten Stadtderby empfängt. Schon jetzt ist klar, dass es ein Spitzenspiel wird, in dem es für beide Clubs um Punkte für den Aufstieg geht. Und schon jetzt wirft das Duell seine Schatten voraus. HSV-Trainer Tim Walter ließ sich bereits vor zwei Wochen zu einer Spitze gegen St. Pauli hinreißen. „Wir sind schon noch ein bisschen größer und haben mehr Tradition“, sagte Walter.
Auch nach dem Sieg gegen Fürth wurden die HSV-Spieler zum Stadtnachbarn befragt. „Es ist mir egal, was St. Pauli macht. Wenn wir unser Ding machen, bin ich mir sicher, dass es gut wird“, sagte Dennis Hadzikadunic. „Es ist schön, dass St. Pauli auch oben steht. Das bedeutet, dass es um viel gehen wird, wenn wir dort spielen“, meinte Immanuel Pherai. Und Jonas Meffert sagte: „St. Pauli spielt einen sehr attraktiven, sehr guten Fußball. Die werden bis zum Ende oben mit dabei sein. Und ich gehe davon aus, dass wir das auch werden.“
HSV und St. Pauli an der Spitze gab es nur in Saison 2018/19
Seit drei Spieltagen stehen St. Pauli und der HSV nun schon auf den beiden Aufstiegsplätzen der Zweiten Liga. Das ist ein Novum in der Geschichte der zwei Vereine. Nur einmal gab es nach dem zwölften Spieltag der Saison 2018/19 die Konstellation mit dem HSV auf Platz eins und St. Pauli direkt dahinter. Am Ende der Saison landeten die beiden auf Rang vier (HSV) und neun (St. Pauli).
Viele Experten sind sich sicher, dass es in dieser Saison besser laufen wird. Fußballerisch werden St. Pauli und der HSV derzeit von fast allen gegnerischen Trainern als die besten Mannschaften der Liga bezeichnet. Das sieht auch Maybach-Wirt Möhlenhof so: „Der HSV spielt attraktiven Fußball, aber St. Pauli hat auch eine geile Truppe.“ Bei Spielen den HSV sei in seiner Bar in der Regel etwas mehr los, obwohl in der Ecke des Stadtteils mehr Fans von St. Pauli wohnen. Im Herzstück von Eimsbüttel mit der Postleitzahl 20255 lebten zuletzt 232 Anhänger von St. Pauli und 191 HSV-Fans. In beide Himmelsrichtungen zu den Stadien ändert sich das Verhältnis dann aber deutlich.
Vier Nordclubs führen nach zehn Spieltagen die Zweite Liga an
Spielen die Clubs das Derby gegeneinander, ist die Zahl der Gäste im Maybach aber gemischt, sagt Möhlenhof. Die Stimmung unter den Besuchern sei entspannt. „Hier gibt es keinen Hass“, sagt der Wirt, der seit 35 Jahren in seinem Lokal arbeitet und seit genauso langer Zeit beiden Vereinen die Daumen drückt. Gelingt in dieser Saison nun erstmals in der Geschichte ein gemeinsamer Aufstieg?
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Eine komfortable Tabellensituation ist es für St. Pauli und den HSV aktuell nicht. Das Hoch über Hamburg könnte sich schnell zu einem Hoch im Norden ausweiten. Mit Holstein Kiel (19 Punkte) und Hannover 96 (18) haben die Hamburger Clubs zwei weitere Nordvereine als Verfolger, die gute Chancen haben, in dieser Saison bis zum Ende um den Aufstieg mitzuspielen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat in jedem Fall gezeigt, dass es bis zum Ende der Spielzeit spannend bleibt. „Als HSV-Fan ist man ja Drama gewöhnt“, sagt Möhlenhof, der erst vor wenigen Monaten in seiner Kneipe das HSV-Drama in Sandhausen verfolgt hat, als der Aufstiegstraum der Hamburger erst in der Heidenheimer Nachspielzeit platzte.
Wie gut für Menschen wie Möhlenhof, wenn sie noch für einen zweiten Verein halten, der in dieser Saison genauso gute Aufstiegschancen hat...