Hamburg. HSV hat viele Jugendnationalspieler. Warum sie bei den Profis noch keine Rolle spielen und was sich daran bald ändern könnte.
Am Mittwoch durfte Tom Sanne Champions League spielen. Der Stürmer des HSV jubelte immer wieder lautstark. Allerdings nur beim Fußballtennis mit der U21. An der Seite von Physiotherapeut Thorben Emke spielte sich Sanne bis auf Platz eins vor, den sein Trainer Pit Reimers als Champions-League-Court bezeichnet hatte. Beim Training der Profis nebenan im Volkspark fehlte Sanne dagegen, obwohl er seit Juli einen Profivertrag besitzt und Trainer Tim Walter in der Länderspielpause in der Regel einige Talente zu den Einheiten einlädt.
In dieser Woche ist alles anders beim HSV. Kein Testspiel, keine Talente bei den Profis. Walter will in einer kleinen Gruppe trainieren. Dazu kommt, dass neben sieben Nationalspielern der Profis so viele HSV-Talente wie lange nicht mit ihren Nationalteams unterwegs sind.
Nicolas Oliveira (19) mit der deutschen U20, Hannes Hermann (18) und Lukas Bornschein (18) mit der U19, Bilal Yalcinkaya (17) und Davis Rath (17) mit der U18, Otto Stange (16) und Kilian Machado (16/auf Abruf) mit der U17 und Finn Barkowsky (15) mit der deutschen U16.
HSV-Talente haben es schwer bei Walter
Viele Perspektivspieler mit viel Potenzial, die in Zukunft beim HSV noch eine Rolle spielen könnten. Aktuell eint sie aber eines: Keiner von ihnen kommt für Walter infrage, mehr als mal einen Minuteneinsatz zu bekommen wie Oliveira beim Saisonauftakt gegen Schalke 04 oder Omar Megeed zu seinem 18. Geburtstag gegen Hertha BSC.
Anders als in den vergangenen zwei Jahren unter Walter gibt es derzeit kein Eigengewächs, das auf regelmäßige Einsatzzeiten bei den Profis kommt. Anssi Suhonen ist verletzt, Jonas David verliehen und Stephan Ambrosius nur Reservist.
Und Sanne, dessen Stern vor einem Jahr mit einem Tor gegen Magdeburg im ersten Spiel bei den Profis aufging, soll zunächst weiterhin in der Regionalligamannschaft spielen und trainieren. Weil Walter auch im Training in Spielformen nur zwei Mittelstürmer benötigt und die Plätze durch Robert Glatzel und Andras Nemeth besetzt sind, soll Sanne sich lieber in der U21 entfalten.
HSV-Talent Sanne plötzlich außen vor
Dabei hat der 19-Jährige einen großen Fan im eigenen Verein: Horst Hrubesch. Der Nachwuchsdirektor sagte am Wochenende bei einem Talk in Dollern über Sanne: „Das ist so ein ähnlicher Typ wie Ailton. Klein und schnell und macht auch noch Kopfballtore. Er lacht immer und setzt sich gegen riesige Hünen durch. Er erinnert mich manchmal an Uwe Seeler.“
Vor einem Jahr in Fürth bekam Sanne beim Spiel in Fürth 15 Minuten Spielzeit. Seitdem wartet er auf seinen nächsten Einsatz. Auch beim Wiedersehen mit Fürth in einer Woche wird er nicht dabei sein. In seinen zweieinhalb Jahren hat Trainer Tim Walter zwar mehreren HSV-Talenten zum Debüt verholfen. Zu mehr als einem Kurzeinsatz reichte es anschließend aber weder bei Bent Andresen, Valon Zumberi noch bei Megeed.
Und auch Elijah Krahn (20) hat bei den Profis kaum noch eine Chance, seit der HSV als Backup für Jonas Meffert den Polen Lukasz Poreba geholt hat. Zu wenig für einen Club, der pro Jahr acht Millionen Euro in sein Nachwuchsleistungszentrum investiert.
Zwei HSV-Talente sind dicht dran
Am dichtesten dran dürfte neben Oliveira aktuell Bilal Yalcinkaya sein. Walter mag den 17 Jahre jungen Dribbler aus der U19 und lässt diesen – anders als Sanne – seit vier Wochen regelmäßig bei den Profis mittrainieren.
Da es talentierte Offensivspieler anders als Defensivspieler in der Regel leichter haben, auf Spielzeit zu kommen, darf Yalcinkaya hoffen, der nächste Profidebütant der Ära Walter zu sein. In der U19 ist der zentrale Mittelfeldspieler, der aktuell erstmals mit der deutschen U-18-Auswahl unterwegs ist, an 38 Prozent aller Tore beteiligt.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der U-19-Jahrgang aktuell nicht der stärkste ist, den der HSV in den vergangenen Jahren hatte. Das betrifft genauso den deutschen Jahrgang der A-Junioren insgesamt. Bis auf Hoffenheims Tom Bischof kommt kein Spieler der deutschen U19 derzeit regelmäßig in seinem Proficlub zum Einsatz. Die fehlenden Toptalente beim HSV sind daher nur ein Abbild im deutschen Nachwuchsfußball insgesamt. Deswegen hat der Deutsche Fußball-Bund mit Hannes Wolf einen neuen Direktor für Talente und Training installiert.
HSV-Talente ohne Chance? Was Walter bewegt
Was Wolf in den Nachwuchsligen kritisiert, betrifft auch den HSV bei den Profis: Für die Trainer geht es um ihren eigenen Job. Daher sind Ergebnisse wichtiger als die Entwicklung der Talente. Walter hat beim HSV einen klaren Auftrag: Er muss den Club zurück in die Bundesliga führen, ansonsten dürfte sein drittes Jahr sein letztes sein beim HSV. Unter diesem Druck ist es verständlich, dass der Chefcoach im Zweifel lieber Moritz Heyer als Alternative für Miro Muheim aufstellt – und nicht den jungen Oliveira.
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In der vergangenen Saison war Walter noch mutiger, als er unter anderem Krahn beim Spiel in Magdeburg für den verletzten Meffert als alleinigen Sechser vor die Abwehr stellte. Allerdings verlor der HSV mit 2:3 und verspielte wichtige Punkte im Kampf um den Aufstieg.
Vielleicht wird sich Walter aber auch an sein erstes Jahr beim HSV erinnern. Da entdeckte er selbst den jungen Faride Alidou in der eigenen U21 und ließ ihn regelmäßig bei den Profis spielen. Dieser stürmt heute, im Gegensatz zum HSV, mit dem 1. FC Köln in der Bundesliga. Einen schnellen Flügelstürmer, der sich wenig Gedanken macht, könnte Walter aktuell in jedem Fall gut gebrauchen.