Hamburg. Prozess gegen den HSV-Profi steigt Anfang Dezember am Internationalen Sportgerichtshof. Nada und Wada bleiben siegesgewiss.
In knapp zwei Monaten hat das lange Warten für Mario Vuskovic ein Ende. Dann erhofft sich der HSV-Profi Klarheit vom Internationalen Sportgerichtshof (Cas), der seinen Doping-Fall voraussichtlich zwischen dem 6. und 8. Dezember in Lausanne neu verhandelt.
Eine Bestätigung des Termins steht zwar noch aus, weil die Verfügbarkeit aller Zeugen koordiniert werden muss. Doch die drei Tage sind bereits von allen Verfahrensparteien geblockt.
Die höchste Instanz im Sportrecht hat vorerst zwei Verhandlungstage angesetzt. Es ist aber nicht auszuschließen, dass bis zu einem Urteil noch ein weiterer Termin gefunden werden muss.
Mario Vuskovic: Vier Jahre Sperre oder Freispruch
Ein halbes Jahr nachdem das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) Vuskovic wegen eines positiven Epo-Tests für zwei Jahre gesperrt hat, hofft der weiterhin seine Unschuld beteuernde Abwehrspieler auf einen Freispruch. Die vom Doping des HSV-Spielers überzeugte Nationale Antidoping-Agentur (Nada) und die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) pochen dagegen auf die im Regelwerk vorgesehene Vierjahressperre. Als vierte Partei ist zudem der DFB-Kontrollausschuss in Berufung gegen das Urteil des hauseigenen Sportgerichts gegangen.
Anders als DFB-Richter Stephan Oberholz, dem sowohl in seinem Urteil als auch in der Begründung sowie der Verfahrensführung juristische Fehler unterlaufen waren, wird der mit Dopingfällen vertraute Cas nicht von den Antidoping-Richtlinien des Verbands abweichen. Diese sehen nur zwei Möglichkeiten für den Ausgang des Verfahrens vor: Entweder Vuskovic wird freigesprochen, woraufhin er sofort wieder beim HSV trainieren und in Pflichtspielen zum Einsatz kommen dürfte. Oder er wird rückwirkend für vier Jahre bis November 2026 aus dem Verkehr gezogen.
Für den Kroaten, der vor seinem positiven Epo-Test kurz vor der Berufung in die A-Nationalmannschaft seines Landes stand, geht es also um nicht weniger als die Fortsetzung seiner Karriere.
Neues Doping-Gutachten entlastet Vuskovic
Um das Gericht von seiner Unschuld zu überzeugen, hat Vuskovic ein Ass im Ärmel. Nach Abendblatt-Informationen soll ein neues Gutachten des Proteinchemikers David Chen aus Vancouver (Kanada) beweisen, dass der HSV-Profi bei einer Trainingskontrolle im September 2022 falsch-positiv auf Epo getestet wurde. Der Professor von der staatlichen University of British Columbia wird nach Lausanne eingeflogen, um vor Ort als Zeuge seine neuen Erkenntnisse zu erläutern.
Chen, der für die Verhandlungen vor dem DFB-Sportgericht bereits drei Gutachten über mutmaßliche Fehler im Analyseverfahren der Nada geschrieben hatte, erfährt für seine Kritik namhafte Unterstützung. In dem Ende August beim Cas eingereichten umfangreichen Schriftsatz der Verteidigung tauchen gleich mehrere neue Gutachten internationaler Wissenschaftler auf. Sie alle verfolgen die Kernbotschaft, dass der 21-Jährige zu Unrecht wegen Dopings überführt wurde.
Bei der Nada und Wada, deren Glaubwürdigkeit im Falle einer Prozessniederlage auf dem Spiel stünde, sollen die Argumente der Verteidigung jedoch nur „ein müdes Lächeln“ auslösen. Nach Abendblatt-Informationen nehmen die Antidoping-Agenturen Vuskovics Wissenschaftler nicht ernst und sprechen ihnen die nötige Kompetenz ab. Nun ist es die Aufgabe der Cas-Richter zu entscheiden, wer die überzeugenderen Argumente auf den Tisch legen kann.
Neuer Star-Anwalt aus Split für Vuskovic
Im Vergleich zu den Verhandlungen vor dem Sportgericht wurde Vuskovics Team zum Teil neu aufgestellt. So gehört der Hormonforscher Lorenz Hofbauer (Dresden), der in Frankfurt als Zeuge digital zugeschaltet war, Oberholz mit seinen Argumenten allerdings nicht überzeugen konnte, nicht mehr dem engeren Kreis der Wissenschaftler an. Folgerichtig hat er auch kein neues Gutachten erstellt.
Gleiches gilt für den Leipziger Biomathematiker Markus Scholz sowie den Mainzer Fachberater Perikles Simon, dessen Auftritt vor Gericht sich eher negativ für Vuskovic ausgewirkt hatte. Der Norweger Jon Nissen-Meyer (Oslo) steht dagegen weiterhin in beratender Funktion zur Verfügung, vor dem Cas aussagen wird er aber nicht.
Darüber hinaus setzt die Verteidigung jetzt auf das Gutachter-Netzwerk des US-Star-Anwalts Paul Green, der die Ausarbeitung des Schriftsatzes federführend übernommen hat. Wie das Abendblatt erfuhr, hat Vuskovic zudem Tomislav Kasalo angeheuert – einen wie Green mit reichlich Cas-Erfahrung ausgestatteten kroatischen Anwalt aus Split, der Heimatstadt des Fußballers.
Reporter bei Vuskovic-Prozess ausgeschlossen?
Noch offen ist, ob Journalisten bei dem Prozess in Lausanne zugelassen werden. Verhandlungen vor dem Cas sind von Hause aus nicht öffentlich. Es sei denn, alle Verfahrensparteien stimmen zu.
Nach Abendblatt-Informationen werden Vuskovics Anwälte einen entsprechenden Antrag stellen, um für Transparenz in der Öffentlichkeit zu sorgen. Ein Vorhaben, dem der DFB-Kontrollausschuss mit ziemlicher Sicherheit keine Steine in den Weg legen wird. Blieben noch die Nada und Wada, deren Haltung unklar ist.
Wie Vuskovics Anwälte vorgehen
Neutrale Beobachter würden dem hochkomplexen Verfahren zweifellos guttun. Da es für den Nachweis der verbotenen Dopingsubstanz Epo keine Grenzwerte gibt, werden Bilder positiver und negativer Proben verglichen. Erschwerend hinzu kommt, dass die Labore das von jedem Menschen in unterschiedlichen Mengen produzierte körpereigene Epo auseinanderhalten müssen.
Dieses sogenannte Sar-Page-Verfahren, zu dem es keine adäquate Alternative gibt, ist schon mehrfach von internationalen Wissenschaftlern kritisiert worden. Einer der Vorwürfe lautet, es sei bei der zu testenden Urinmenge (Protein) nicht standardisiert.
Auch Epo-Forscher der Wada wie Sven Voss, der Vuskovics A- und B-Probe im sächsischen Kreischa untersucht hat, wünschen sich längst neue Methoden. Die Glaubwürdigkeit des Sar-Page-Verfahrens anzufechten, wird daher einen Schwerpunkt in der Verteidigungsstrategie des HSV-Profis einnehmen.
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Mario Vuskovic setzt auf Doping-Gutachten
Experten erwarten eine harte wissenschaftliche Auseinandersetzung vor dem Cas. Vuskovic hofft, dass sein Expertenteam diesmal Gehör findet und Wissenschaftler beider Seiten vor Gericht befragt werden. Das war in Frankfurt nur bedingt der Fall, als DFB-Richter Oberholz mehrfach die Fragen der Verteidigung nicht zuließ, einen unvollständigen Fragebogen des kanadischen Wada-Gutachters Jean-Francois Naud (Québec) akzeptierte und sogar betonte, eine „wissenschaftliche Schlacht vermeiden“ zu wollen.
Dabei können nur die Wissenschaftler erklären, warum der positive Epo-Test von Vuskovic seine Berechtigung hat oder eben nicht.
Der Cas muss zudem entscheiden, ob er die beiden vom HSV-Profi bestandenen Lügendetektortests zulässt – wenngleich diese eher eine untergeordnete Rolle einnähmen. Vuskovics größte Hoffnung hat dagegen einen Namen: David Chen.
Die Chronologie im Dopingfall Vuskovic
- 16. September 2022: Vuskovic gibt bei einer Trainingskontrolle eine Urinprobe ab, die auf Epo getestet wird.
- 10. November 2022: Die Wasserschutzpolizei und die Staatsanwaltschaft durchsuchen Vuskovics Spind und seine Wohnung. Mehrere elektronische Geräte (u.a. Handy und Laptop) sowie Kleidung werden beschlagnahmt, belastbare Beweise werden dabei nicht gefunden.
- 3. Februar 2022: Erste von drei Verhandlungen vor dem DFB-Sportgericht: Der Dopingkontrolleur lagerte die Urinprobe drei Tage in seinem privaten Kühlschrank. Zudem lieferte der DHL-Kurier die Probe erst weitere 24 Stunden später beim Labor in Kreischa ab.
- 17. März 2023: Vuskovic weint vor Gericht. Die Wada verhindert eine vom Sportgericht beschlossene C-Probe.
- 30. März: Der DFB weicht vom Regelwerk ab und sperrt Vuskovic zwei (statt vier) Jahre.