Hamburg. Die Mannschaft von Tim Walter kann ihre Qualität häufig nicht abrufen. Welchen Zusammenhang es mit dem Schonlau-Ausfall geben könnte.
Wie sich eine sportliche Krise beim HSV anfühlt, weiß Heiko Hansen aus eigener Erfahrung. Der Leistungspädagoge und Mentalcoach war in der Rückrunde der Bundesligasaison 2014/15 gemeinsam mit seinem Kollegen Christian Spreckels im Volkspark tätig.
In Joe Zinnbauer, Peter Knäbel und Bruno Labbadia erlebte Hansen damals drei verschiedene Trainer, Letzterer wollte ihn trotz des dramatischen Relegationserfolgs in Karlsruhe nicht über die Saison hinaus beschäftigen. „Wir konnten am Ende der Saison die mentale Dynamik in der Mannschaft so verändern, dass es noch zum Klassenerhalt gegen den KSC gereicht hat“, erinnert sich Hansen.
HSV News: Hat das Walter-Team ein Mentalitätsproblem?
Acht Trainer und einen Abstieg später befindet sich der HSV derzeit wieder in einer sportlichen Krise. Die Spiele bei den Aufsteigern SV Elversberg und VfL Osnabrück gingen jeweils mit 1:2 verloren, insbesondere der Auftritt in Osnabrück war erschreckend schwach. Hat der HSV ein Mentalitätsproblem?
Ja, sagt Hansen: „Spiele wie gegen Elversberg und Osnabrück zeigen, dass der HSV nicht bereit für Erfolg ist. Wenn er es wäre, würde er die Spiele genauso intensiv spielen und gewinnen wollen wie gegen Schalke, Hertha und St. Pauli. Niemals darf ich in allen und gerade in solchen Spielen versagen.“
HSV verzichtet auf Mentaltrainer bei den Profis
Einen Mentalcoach gibt es bei den HSV-Profis seit Beginn der Amtszeit von Trainer Tim Walter nicht mehr. Bis Sommer 2021 war noch Martin Daxl, der wahlweise als Reflexions-, Potenzial- oder Mentaltrainer bezeichnet worden war, bei den Profis tätig. Für die Nachwuchsleistungsteams gibt es beim HSV in Frank Weiland derweil noch einen Sportpsychologen als Ansprechpartner.
Der Verein betont jedoch, dass er bei Bedarf auch Mentaltrainer an die Profis vermitteln würde. Einige Spieler arbeiten bereits mit privaten Sportpsychologen zusammen, die häufig auch direkt von den Berateragenturen engagiert sind. „Es ist jeder für sich selbst verantwortlich, dass er seine Leistung optimiert. Es gibt bei uns in der Truppe einige, die das in Anspruch nehmen. Es muss aber jeder für sich entscheiden, ob er den Weg gehen will oder nicht“, sagt Walter.
Wieso der HSV auf einen festen Mentaltrainer für die Profis verzichtet, kann Hansen nicht wirklich nachvollziehen. „Wenn ich als Verein weiß, dass ich ein mentales Problem habe, hole ich mir doch Unterstützung von Leuten, die sich damit auskennen. Wenn es Probleme im athletischen Bereich geben würde, wäre es ja auch unvorstellbar, keinen Athletiktrainer zu beschäftigen, der dauerhaft mit der Mannschaft zusammenarbeitet“, sagt er.
Führungsspieler sind für die Stimmung im Team verantwortlich
Um am Freitag (18.30 Uhr/Sky) im Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf mental wieder da zu sein, werden innerhalb des Teams wieder einige Gespräche geführt. Trainer Walter spiele dafür aber nur eine untergeordnete Rolle, sagt Hansen.
„Für den Großteil der Stimmung in einer Mannschaft ist nicht der Trainer, sondern sind die Führungsspieler verantwortlich. Robert Glatzel, Daniel Heuer Fernandes und Co. müssen innerhalb der Mannschaft jetzt klar vermitteln, dass Spiele wie gegen Osnabrück nicht wieder vorkommen“, sagt der Mentalcoach.
Schonlau fehlt derzeit mit einer Wadenverletzung
Dummerweise ist der wichtigste Führungsspieler, Kapitän Sebastian Schonlau, wieder einmal verletzt. Der Innenverteidiger, der wegen Wadenproblemen bereits die gesamte Sommervorbereitung sowie den Saisonstart verpasst hatte, verletzte sich vor dem Osnabrück-Spiel erneut an der Wade. „Er fällt definitiv dieses Wochenende und wahrscheinlich auch in der folgenden Woche aus. Er hat genau an der gleichen Stelle wieder eine Verletzung, die wieder aufgebrochen ist“, sagte Walter.
Der Trainer weiß, dass sein Kapitän nicht nur spieltaktisch für die Abwehrstabilität verantwortlich ist, sondern auch innerhalb der Kabine mit seinen Worten die Stimmung schärft: „Er ist der Kapitän, jeder lauscht ihm. Er ist immer derjenige, der am meisten vor die Mannschaft tritt mit Ferro, Meffo, Ludo und Bobby (Daniel Heuer Fernandes, Jonas Meffert, Ludovit Reis und Robert Glatzel, d. Red.).“
Mentaltrainer: „Beim HSV ist immer noch zu viel Angst im Spiel“
Doch woran liegt es, dass der HSV insbesondere gegen individuell schwächer besetzte Teams seine Qualität häufig nicht zeigt? „Wir haben die Qualität, aber die Qualität muss auch arbeiten“, sagte Walter. Fehlende Arbeitsbereitschaft also?
Mentalcoach Hansen sieht noch ein anderes Problem. „Beim HSV ist immer noch zu viel Angst im Spiel. Der Verein hat aufgrund der vergangenen Jahre Angst vor dem Versagen. Das prägt die gesamte Stimmung in einem Verein“, sagt der 58-Jährige. „Der HSV muss dringend daran arbeiten, mehr Mut und Lust auf den Erfolg zu haben. Um diese Stimmung zu ändern, benötigt der HSV Leute, die das können und wollen. Vielleicht ist Tim Walter an einem Austausch darüber interessiert.“
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Wie der HSV-Coach zum Verlieren steht, machte er noch mal am Mittwoch deutlich. „Katastrophe“, sagte Walter. „Ich hasse es zu verlieren. Ich hasse es einfach.“ Hansen, dem die Lust auf den Sieg wichtiger als die Sorge vor der Niederlage ist, dürfte diese Aussagen kritisch sehen. Walter sagte aber auch: „Wenn die Jungs verlieren, muss es wehtun, weil gewinnen soooo schön ist.“ Geht doch.
Wehgetan dürfte nach dem Osnabrück-Spiel auch die scharfe Kritik („bodenlos schlecht“) von Walter, der nun jedoch betonte: „Ich bin der Papa dieser Mannschaft und das werde ich auch immer bleiben.“ Allzu lang sollte die sportliche Krise dafür aber besser nicht mehr andauern...