Hamburg. Der HSV-Trainer sucht nach der Pleite in Osnabrück die Schuld bei den Spielern. Wie die Verantwortlichen über Walter denken.
Jonas Boldt war schwer angefressen. Der HSV hatte am Freitagabend beim VfL Osnabrück mit 1:2 verloren und die Tabellenführung verpasst. Der Sportvorstand der Hamburger regte sich an der Bremer Brücke aber vor allem über die Art und Weise der Niederlage auf.
„Ohne Zweikämpfe und Körperkontakt kann man kein Fußballspiel gewinnen. Wir waren beschissen, das muss man so deutlich sagen“, schimpfte Boldt. Lediglich Torwart Daniel Heuer Fernandes präsentierte sich in Normalform an diesem 29. November 2019. Fast vier Jahre ist dieses Spiel nun schon her.
HSV-Niederlage: Osnabrück lief drei Kilometer mehr als die Hamburger
Wahrscheinlich hätte Boldt am Freitagabend die gleichen Sätze gesagt nach dem erneuten 1:2 bei Aufsteiger Osnabrück. Doch der Sportvorstand sagte lieber nichts, obwohl er wieder richtig sauer war. Vor allem über die Art und Weise, die sogar noch schlimmer war als vor vier Jahren. 19:19 lautete die Torschussstatistik 2019, passenderweise liefen beide Mannschaften 119 Kilometer.
Das sah diesmal anders aus. 17:8 lautete das Torschussverhältnis für den bisherigen Tabellenletzten Osnabrück, der eine Woche zuvor noch mit 0:7 in Hannover verloren und bis dahin in sechs Spielen erst einen Punkt geholt hatte. 121 Kilometer lief der VfL, drei mehr als der HSV. Es war das wohl schlechteste Spiel unter Walter. Das sah auch der Trainer selbst so.
Walter schickt seine Mannschaft zum Straflauf in den Volkspark
Zur Strafe mussten die schlaffen HSV-Profis am Sonnabendmorgen nachholen, was sie am Freitagabend versäumt hatten: Laufen. Lange laufen. Fast eine Stunde lang ging es für die Mannschaft durch den Volkspark. Lediglich Kapitän Sebastian Schonlau war wegen seiner Wadenprobleme nicht dabei.
Mit dem üblichen Auslaufen am Tag danach hatte der Waldlauf allerdings wenig zu tun. Trainer Tim Walter wollte nicht durchgehen lassen, dass seine Mannschaft eine Woche nach dem 1:2 bei Aufsteiger SV Elversberg beim nächsten Aufsteiger aus Osnabrück keinerlei Reaktion gezeigt hatte.
Thema Aufsteiger: Erinnerungen an die vergangene Saison
Als „bodenlos“ bezeichnete Walter die Leistung seiner Mannschaft, die ihn mit der erneuten Enttäuschung selbst unter Druck gesetzt hatte. Denn wie schon in der vergangenen Saison, als der HSV gegen die Aufsteiger Kaiserslautern (1:1, 0:2) und Magdeburg (2:3, 2:3) den eigenen Aufstieg verspielt hatte, verloren die Hamburger nun erneut gegen zwei Clubs, die in der vergangenen Saison noch in der Dritten Liga spielten und denen nicht einmal die Hälfte des Etats zur Verfügung steht wie dem HSV.
Auch Walter muss sich daher unbequeme Fragen gefallen lassen, die er nach dem Spiel in Osnabrück noch abgebügelt hatte. „Wir waren einfach schlecht. Was anderes gibt es heute nicht zu sagen“, antwortete der genervte Trainer bei Sky auf die Nachfragen zu der Nichtleistung seiner Mannschaft, für die er selbst verantwortlich ist.
Trainerwechsel steht beim HSV nicht zur Debatte
Sorgen um seinen Job muss sich Walter aber nicht machen. Nach Abendblatt-Informationen steht ein Trainerwechsel nicht zur Debatte. Allerdings fordern die Verantwortlichen im Heimspiel gegen Tabellenführer Fortuna Düsseldorf am Freitag die Reaktion, die eigentlich schon in Osnabrück erwartet wurde.
Was Walter intern zugutegehalten wird: Das Spiel am vergangenen Freitag war das erste in seiner Amtszeit, in dem der HSV über die gesamte Spielzeit enttäuschte. Bislang war es in seinen zweieinhalb Jahren zumindest so, dass seine Mannschaft innerhalb einer Partie noch ein anderes Gesicht gezeigt hat, auch wenn das Team sich schon oft vor allem in der ersten Halbzeit defensiv ähnlich chaotisch präsentiert hatte wie in Osnabrück.
Walter trifft erneut auf Vorgänger Thioune
Doch am Freitagabend gab es auch in der zweiten Halbzeit kein Aufbäumen, keine Druck- und keine Schlussphase, in der es noch einmal gefährlich wurde. „Es geht darum, sein Herz auf dem Platz zu lassen. Wir waren nicht die Mannschaft, die ich kenne“, sagte Walter, der sich auch selbstkritisch äußerte. „Heute war ich wahrscheinlich auch nicht präsent genug“, sagte der Trainer, der am Freitag aber wieder an der Seitenlinie steht, wenn er zum dritten Mal auf seinen Vorgänger Daniel Thioune trifft.
Bislang blieb der HSV unter Walter gegen Düsseldorf ungeschlagen. Ausgerechnet Thioune war es, der vor vier Jahren mit Osnabrück den HSV geärgert hatte. Der damalige HSV-Trainer Dieter Hecking konnte auch das Rückspiel gegen Osnabrück nicht gewinnen. Zudem blamierte sich Hecking im Hinspiel bei Aufsteiger Wehen Wiesbaden, als der HSV in Überzahl beim Tabellenletzten in der Nachspielzeit noch den Sieg verschenkte. Am Ende stolperte Hecking in Hamburg vor allem gegen die kleinen Gegner.
Genauso erging es Thioune selbst, der 2020 Heckings Nachfolger wurde und das Problem gegen die Aufsteiger ebenfalls nicht in den Griff bekam. In Erinnerung blieb vor allem die 2:3-Niederlage am 22. Spieltag beim Aufsteiger und abgeschlagenen Tabellenletzten Würzburger Kickers, als der HSV zwischenzeitlich mit 0:3 zurücklag. Von diesem Rückschlag erholte sich Thioune in Hamburg nicht mehr.
Felix Magath ist kein Thema für den Trainerposten beim HSV
Boldt entschied sich daher im Sommer 2021 für Tim Walter. Dieser sollte mit seiner Energie dafür sorgen, dass die Einstellungsprobleme gegen vermeintlich schwächere Gegner der Vergangenheit angehören. Und tatsächlich schaffte es der 47-Jährige, die wankelmütige HSV-Mannschaft widerstandsfähiger zu machen.
Nun aber scheint auch Walter an den gleichen Problemen zu verzweifeln wie seine Vorgänger. Wie so oft in den vergangenen Jahren schleicht sich beim HSV nach einem guten Saisonstart eine Selbstzufriedenheit ein.
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Manch ein Fan wünscht sich daher einen Trainertypen wie Felix Magath, der für ein anderes Reizklima innerhalb des Clubs sorgen würde. Unter Jonas Boldt wird ein Trainer Magath beim HSV aber nicht infrage kommen. Boldt setzt stattdessen weiterhin auf Kontinuität.
Gleichzeitig weiß der Manager auch, dass die Geduld mit Walter irgendwann aufgebraucht ist, wenn der Trainer die wiederkehrenden Probleme nicht lösen kann. Gut möglich, dass Walter daher zunächst Veränderungen in der Mannschaft vornimmt.
Im Volksparkstadion gegen Düsseldorf, da sind sich fast alle sicher, wird der HSV am Freitag wieder ein anderes Gesicht zeigen. Entscheidend für die Entwicklung in den kommenden Wochen wird das Spiel danach sein. 7. Oktober, Wiesbaden, auswärts, Aufsteiger. Noch so ein Auftritt wie in Elversberg und Osnabrück könnte für Walter das Ende beim HSV bedeuten. Und die nächste Bruchlandung im Aufstiegskampf.