Hamburg. Mehr als 35 Spieler aus Hamburger Amateurclubs haben es seit 2017 in den Profibereich geschafft. Wie die Vereine von der Ausbildung profitieren.

Die Bühne war groß. 57.000 Fans fieberten im Volksparkstadion mit, als der HSV am 28. Juli den FC Schalke 04 zum Zweitligaauftakt empfing. Es lief die vierte Minute der Nachspielzeit, als Nicolas Oliveira den Platz betrat und kurz darauf das Tor zum 5:3-Endstand für den HSV bejubeln durfte. Sieben Tage zuvor hatte der 19-Jährige seinen ersten Profivertrag unterschrieben. Nach Abpfiff gratulierte Trainer Tim Walter dem freudestrahlenden Jungprofi zu seinem ersten Spiel.

HSV-Profi Oliveira feierte Debüt – ETV profitiert

„Es war natürlich etwas Besonderes, ihn da spielen zu sehen“, sagt Jasper Hölscher, der die Partie mit einigen von Oliveiras ehemaligen Mitspielern im Fernsehen verfolgte. Sieben Jahre lang hatte Oliveira beim Eimsbütteler TV gespielt, ehe er 2018 in die U 15 des HSV gewechselt war. „Ich habe ihn das erste Mal trainiert, als er sechs Jahre alt war“, erinnert sich Hölscher, der mittlerweile Sportlicher Leiter beim ETV ist – und sich über das Debüt deshalb gleich doppelt freuen darf.

Der Kurzeinsatz von Oliveira beschert dem Amateurverein, der mit seiner ersten Herrenmannschaft in der Regionalliga Nord spielt, eine Summe von rund 35.000 Euro. Denn: Im deutschen Profifußball werden Amateurvereine für die Ausbildung späterer Erst- und Zweitligaspieler nach klaren Regeln entschädigt.

DFL entschädigt Vereine nach klarem Konzept

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) honoriert alle Vereine unterhalb der 3. Liga, die einen Profispieler zwischen dessen sechsten und 21. Geburtstag ausgebildet haben. Für den Zeitraum vom siebten bis zum zwölften Lebensjahr erhalten die Vereine nachträglich eine Summe von 4200 Euro pro Saison. Für weitere Spielzeiten bis zum 21. Geburtstag gibt es jeweils 5.400 Euro.

Zur Saison 2017/18 war das Konzept reformiert worden, um Amateurvereine besser zu fördern. Bis dahin wurden nur die fünf zurückliegenden Jahre ab Wirksamkeit des ersten Profivertrages berücksichtigt. 35 Spieler, die in Hamburger Amateurvereinen ausgebildet worden sind, haben seitdem ihr Profidebüt in der Ersten oder Zweiten Liga gegeben.

Niendorfer TSV erhielt 30.000 Euro für Elias Saad

Einer der Hauptprofiteure dieser Reform ist der Niendorfer TSV, dessen 48 Teams umfassende Nachwuchsabteilung eine der erfolgreichsten in Hamburg ist. Vor Kurzem erhielt der Verein rund 30.000 Euro – für das Debüt von Elias Saad (23). Der heutige Profi des FC St. Pauli hat sechs Jahre in Niendorf gespielt. „Wir legen die kompletten Einnahmen aus Ausbildungsentschädigungen zurück und verwenden sie ausschließlich für größere Infrastrukturprojekte unser Leistungsmannschaften im Jugendbereich“, sagt Kai-Uwe Hesse, Leistungskoordinator des Niendorfer TSV und hauptberuflich Sportjournalist.

Antonio Tikvic (19) spielt künftig für den italienischen Erstligisten Udinese Calcio.
Antonio Tikvic (19) spielt künftig für den italienischen Erstligisten Udinese Calcio. © Imago

Einen Betrag von mehreren Tausend Euro wird der Verein auch für die Ausbildung von Antonio Tikvic erhalten. Der kroatische U-21-Nationalspieler hatte im Juli an der Asientour des FC Bayern München teilgenommen. Am letzten Tag der Transferperiode wechselte der 19-Jährige für rund 650.000 Euro zum italienischen Erstligisten Udinese Calcio.

Justin Njinmah stammt ebenfalls aus der ETV-Jugend

Weil Tikvic in der C-Jugend ein Jahr in Niendorf gespielt hat, dürfen die Vereinsverantwortlichen auf einen Anteil an der Ablösesumme hoffen. Vor seiner Saison in Niendorf war Tikvic beim FC St. Pauli aktiv, hatte dort aber keine Perspektive mehr gehabt. Es war nicht das erste Mal, dass ein Spieler in Niendorf einen vermeintlichen Schritt zurückmacht, um dann zwei nach vorne zu gehen. Fabian Nürnberger etwa spielte bis zur U 16 beim HSV, ehe er über Eintracht Norderstedt nach Niendorf kam. Mittlerweile läuft er für den SV Darmstadt 98 in der Bundesliga auf. Als der heute 24-Jährige in der Saison 2019/20 sein Zweitligadebüt für den 1. FC Nürnberg gab, erhielten Niendorf und Norderstedt eine Zahlung von der DFL.

Werder-Profi Justin Njinmah (22) spielte sieben Jahre lang beim ETV.
Werder-Profi Justin Njinmah (22) spielte sieben Jahre lang beim ETV. © Imago

„Für uns ist diese Reform super“, sagt auch Hölscher. Eine ähnlich hohe Summe wie für Oliveira wird der ETV für die Ausbildung von Justin Njinmah, der von der U 12 bis zur U 19 in Eimsbüttel gespielt hat, erhalten. Vor der Länderspielpause erzielte der Profi von Werder Bremen sein erstes Bundesligator. Sein Debüt hatte der 22-Jährige bereits vergangenes Jahr für Borussia Dortmund gegeben. Damals war er aber offiziell Spieler der U 23. „Da hatten wir Pech“, sagt Hölscher.

Niendorfer TSV erhält 50.000 Euro bei Einsatz von Tom Sanne

Voraussetzung für die Auszahlung ist, dass der Spieler zum Zeitpunkt seines Einsatzes einen gültigen Lizenzspielervertrag besitzt. Zum April soll diese Regelung aufgehoben werden. Der Niendorfer TSV muss beispielsweise weiter auf eine Prämie für HSV-Spieler Tom Sanne, der trotz zweier Einsätze erst im Sommer einen Profivertrag unterschrieben hat, warten.

Zehn Jahre hat der 19-Jährige in Niendorf gespielt, rund 50.000 Euro stünden dem NTSV zu. „Das wäre die höchste Summe, die wir jemals für einen Spieler bekommen haben“, sagt Hesse. Ähnlich ergeht es dem SC Nienstedten, der von 2016 bis 2018 Tom Rothe (18) ausgebildet hat. Der Linksverteidiger, der zurzeit an Holstein Kiel verliehen ist, spielte für Borussia Dortmund schon in der Bundesliga und in der Champions League, war damals aber noch kein Lizenzspieler.

„Der Zeitaufwand der vielen Ehrenamtlichen lässt sich ohnehin nicht finanziell aufwiegen“, sagt Tim Ehlers, der beim SC Nienstedten den Bereich Talentförderung verantwortet. „Wenn Jungs wie Tom uns weiter regelmäßig besuchen, bedeutet das vermutlich mehr als die reine finanzielle Unterstützung.“

NTSV kaufte sich zwei Neuerbusse durch Talentförderung

Beim ETV sind die Einnahmen aus der Talentförderung mittlerweile ein Teil der Budgetplanung. Zugute kommt dem Verein zudem, dass künftig auch Wechsel von Spielern in Leistungszentren honoriert werden sollen. Vergangene Saison seien 25 ETV-Spieler zu Proficlubs gewechselt, berichtet Hölscher: „Wir wollen das Geld eins zu eins in die Entwicklung unserer Talente und Trainer stecken.“

Ein Kostenfaktor sind auch die Auswärtsfahrten. Der Niendorfer TSV konnte dank seiner Talentförderung vorsorgen. „Wir haben zwei Neunerbusse angeschafft, mit denen unsere Mannschaften zu überregionalen Auswärtsspielen fahren“, erzählt Hesse. Die Busse haben 106.000 Euro gekostet.

Beim ETV sollen Spieler wie Oliveira ein Vorbild für viele weitere Talente sein. Die Ausbildungsentschädigungen sind dabei eine sinnvolle Hilfe. Denn ob Profi- oder Amateurvereine: Am Ende profitiert der gesamte deutsche Fußball.