Hamburg. Erstmals seit einem Jahr spielt der HSV zweimal in Folge zu Null. Was ein Treffen zwischen Walter und Schonlau damit zu tun hat.
Es ist schon eine Zeit lang her, doch Sebastian Schonlau hatte das Datum am Sonntag noch genau im Kopf. „Zweimal in Folge zu null, das gab es zuletzt vor einem Jahr“, sagte der Kapitän des HSV am Tag nach dem 1:0 (0:0)-Sieg bei Hannover 96. Tatsächlich ist es genau ein Jahr her, dass die Hamburger letztmals in zwei Spielen hintereinander ohne Gegentor blieben (2:0 in Nürnberg, 1:0 gegen Karlsruhe). Gleich sechsmal an den ersten neun Spieltagen hielt der HSV die Null – und hatte gemessen an den Gegentoren zu diesem Zeitpunkt wie schon in der Saison zuvor die beste Abwehr.
Das 1:0 in Hannover trotz 37 Minuten in Unterzahl war nach dem 3:0 gegen Hertha BSC nun die ersehnte Rückkehr der defensiven Stabilität – und das ohne Abwehrchef Schonlau, der nach seiner Wadenverletzung das erste Mal wieder auf der Bank saß und in der kommenden Woche gegen den Tabellenzweiten Hansa Rostock in die Startelf zurückkehren könnte, weil Guilherme Ramos in Hannover nach einer Notbremse die Rote Karte sah (53.) und vom DFB-Sportgericht voraussichtlich zwei Spiele gesperrt wird.
Schafft es Schonlau in die Startelf gegen Rostock?
Ob es Schonlau schafft, bis zum Hansa-Heimspiel wieder fit zu sein, entscheidet sich im Laufe der Woche. „Ich habe noch nicht mit dem Trainer gesprochen. Dass ich spielen und dem Team helfen will, steht außer Frage“, sagte der 29-Jährige, der vor einer Woche seinen Vertrag bis 2026 verlängert hat. „Ich will diese Woche erst mal gut trainieren. Dass die Fitness in dieser Woche noch nicht bei 100 Prozent sein wird, ist normal. Ich glaube, man kann aber auch Spiele spielen, wenn man nicht bei 100 Prozent ist.“
Doch Schonlau ist nicht nur auf dem Platz, sondern auch abseits dessen wichtig für Tim Walter. Der Trainer verriet erst kürzlich in einem „11 Freunde“-Beitrag, dass er Schonlau nach dem verpassten Aufstieg noch mehr Verantwortung übertragen habe. Die beiden sprachen in der Sommerpause auch über mögliche Veränderungen in der Spielphilosophie, wie Schonlau am Sonntag verriet. „Wir haben darüber geredet, wie wir uns verbessern können. Man sieht, dass viele Jungs Verantwortung übernehmen und in verschiedenen Spielsituationen entscheiden, Dinge anzupassen, wenn unser Plan nicht so gut funktioniert. Das ist ganz wichtig, das ist unser nächster Schritt.“
Heuer Fernandes entscheidet nunselbst über Chipbälle
Und diesen nächsten Schritt ging der HSV in Hannover. Die Mannschaft von Trainer Stefan Leitl machte in der mit 49.000 Zuschauern ausverkauften HDI-Arena – darunter rund 20.000 HSV-Fans – eigentlich ein richtig gutes Spiel, stellte die Hamburger vor allem durch das frühere HSV-Talent Derrick Köhn vor viele Probleme. Doch die Defensive des HSV verteidigte alles weg, wie man in der Fußballsprache sagt. „Wir hatten eine Geilheit, dieses Spiel zu gewinnen“, sagte Torhüter Daniel Heuer Fernandes, der sich naturgemäß besonders freute, erneut zu Null gespielt zu haben.
Der Torwart ist einer der Spieler, die Schonlau meinte, als er von neuen Verantwortungsträgern sprach. Heuer Fernandes spielte wie schon am ersten Spieltag gegen Schalke viele Chipbälle auf die Außen oder die Achter, wenn Hannover 96 presste. Vorbei sind offenbar die Zeiten, in denen der HSV auf Zwang sein mutiges Aufbauspiel durchdrücken wollte. „Heute ging es um mehr als unsere Spielidee. Heute ging es viel ums Verteidigen. Man hat gesehen, dass das die Basis ist für unser Spiel. Wir hatten eine bessere Balance“, sagte Heuer Fernandes. „Auf die Defensivstärke können wir aufbauen.“
Das Tor des HSV als Qualitätsindiz für die Offensive
Zumal der HSV so viel Qualität in der Offensive hat, dass auch in Unterzahl gegen eine Mannschaft wie Hannover Torchancen entstehen. Eine davon nutzte Bakery Jatta zum Siegtreffer, als er aus 17 Metern wie schon gegen Hertha zum 1:0 traf (69.). Diesmal mit rechts. Ein Tor über fünf Stationen, bei dem der HSV seine ganze Klasse zeigte. In der Entstehung durch Jonas Meffert, in der Fortführung durch Robert Glatzel und in der Vorbereitung durch Ludovit Reis. Drei Führungsspieler, die auch in dieser Saison das System des HSV prägen werden. „Wir sind eine perfekt aufeinander abgestimmte Mannschaft“, sagte Reis nach dem Sieg.
Allerdings gehört auch zur Wahrheit, dass der HSV nicht sein bestes Spiel gemacht hatte. „Es war eigentlich ein Unentschieden-Spiel“, gab auch Meffert zu. Doch die Hamburger verdienten sich den Sieg durch eine geschlossene Defensivleistung. Der verstärkte Fokus auf eine konsequente Zweikampfführung trägt erste Früchte. Die vielen Gegentore in der Rückrunde und zu Saisonbeginn waren ein Thema in der Mannschaft. „Es tut schon gut, zweimal zu Null zu spielen, das kann ich so ehrlich sagen“, sagte Meffert.
Rückt Ambrosius als Ramos-Ersatz in die Mannschaft?
Ein weiterer Reifeschritt war nach dem Platzverweis des bis dahin bärenstarken Ramos zu beobachten. Anders als etwa vor einem Jahr beim 0:3 am Millerntor gegen den FC St. Pauli spielte der HSV in Unterzahl mit einer zusätzlichen Absicherung. Damals war Schonlau wegen einer Notbremse vom Platz geflogen, doch die Hamburger spielten zu zehnt weiter munter auf Sieg. Nach der Niederlage musste Trainer Walter viel Kritik einstecken. Aus der er aber offenbar gelernt hat.
In Hannover war es auch der eingewechselte Stephan Ambrosius, der die Stabilität aufrecht erhielt. Der Verteidiger könnte nun gegen Rostock in die Startelf rutschen, sollte Schonlau noch Zeit brauchen. Ambrosius sorgt dafür, dass sich in dieser Saison keiner mehr Sorgen machen muss, wenn der Kapitän mal fehlt. „Es war sehr seriös und kontrolliert“, sagte Schonlau. Zwei Attribute, die man eigentlich nicht mit Walters Spielstil verbindet.
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Sollte die Lern- und Entwicklungskurve weiter nach oben zeigen, dürfen sich die Fans berechtigte Hoffnungen machen, dass es in dieser Saison mit dem Aufstieg klappt. „Wir wollen den Verein wieder richtig groß machen. Noch größer, als er eh schon ist“, sagte Schonlau. Der neue Spaß am Verteidigen könnte diesen Prozess in jedem Fall beschleunigen.