Hamburg. Nach seiner Roten Karte in Karlsruhe im März kommt es zur brisante Rückkehr. Die Geschichte einer Rivalität, die vor zwei Jahren begann.
Tim Walter war gerade auf dem Weg in die Kabine, als die Karlsruher Zuschauer ein allseits bekanntes Häme-Lied anstimmten. „Nie mehr Erste Liga, HSV“, schallte es durch das Wildparkstadion, nachdem der KSC die Hamburger soeben mit 4:2 besiegt hatte und Walter die letzten Minuten des Spiels nach einer Roten Karte außerhalb des Innenraums verfolgen musste.
Walter aber hatte im Interview mit dem NDR wenig später einen Konter parat. „Diejenigen, die sagen ,HSV, immer Zweite Liga‘, die wissen nicht, dass wir nächstes Jahr in der Ersten Liga spielen.“
Rund fünf Monate ist dieser 12. März her. Am Sonntag (13.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) kommt es nun zur Neuauflage im fertig gestellten BBBank Wildpark zwischen dem KSC und dem HSV. Die Hamburger, das hat jeder mitbekommen, spielen noch immer in der Zweiten Liga, und Tim Walter ist noch immer Trainer des HSV. Eigentlich wollte der 47-Jährige in dieser Saison nicht wieder in seine Heimat nach Karlsruhe reisen. Zumindest nicht zu einem Ligaspiel.
Walter arbeitete neun Jahre lang in Karlsruhe
Doch die Partie im März und die anschließende Sperre Walters beim Heimspiel gegen Holstein Kiel (0:0) haben am Ende dazu beigetragen, dass es nun in der Zweiten Liga zu Walters erneuter Rückkehr kommt zu dem Club, bei dem er zwischen 2006 und 2015 neun Jahre lang im Nachwuchs als Trainer arbeitete. Für den Badener ergibt sich durch das ungewollte Wiedersehen aber auch eine Chance. Er kann zeigen, dass er aus seinem Fehler gelernt hat.
Am Freitag war Walter auf der Pressekonferenz bereits auf die entsprechenden Fragen vorbereitet, als es um die Vorgeschichten mit dem KSC ging. „Es ist für mich immer eine emotionale Geschichte“, sagte der Trainer über die Rückkehr, die in der Regel auch sein Vater und sein bester Freund im Stadion verfolgen. „Ich habe lange für diesen Verein gearbeitet. Es ist normal, dass es emotional wird, wenn man zurückkehrt. In dem Moment war meine Emotionalität, die meine größte Stärke ist, meine größte Schwäche. Das weiß ich“, sagte Walter mit einer Portion Reue über die Rote Karte im März, als er sich von den Zuschauern und der Karlsruher Trainerbank zu einer verbalen Entgleisung hatte provozieren lassen.
Walter war enttäuscht vom Karlsruher Publikum
Tatsächlich soll der langjährige Karlsruher aber auch sehr enttäuscht darüber gewesen sein, dass er von seinem ehemaligen Publikum phasenweise übel beschimpft wurde. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Walter nicht ganz unschuldig daran war, dass die seit der Relegation 2015 ohnehin schon andauernde Rivalität zwischen dem KSC und dem HSV in den vergangenen Duellen immer wieder hochkochte.
Wie das Abendblatt erfuhr, war es eine Szene bei Walters erster Rückkehr im November 2021 (1:1), mit der die Streitigkeiten zwischen den Trainerbänken begannen. Nach einem Foul am damaligen KSC-Stürmer Philipp Hofmann soll Walter aufs Feld zu seiner Mannschaft gerufen haben, den Ball nicht ins Aus zu spielen. Eine Unsportlichkeit, die vor allem Karlsruhes Co-Trainer Zlatan Bajramovic in Rage brachte. Walter sah in der zweiten Halbzeit zudem eine Gelbe Karte.
Auch im März geriet Bajramovic, 2014 Co-Trainer unter Mirko Slomka beim HSV, mit der Hamburger Bank aneinander. Bevor Walter von Schiedsrichter Sascha Stegemann die Rote Karte bekam, hatte ein KSC-Spieler den HSV-Trainer bei seiner Auswechslung mit einer Geste provoziert. Die Emotionen kochten hoch. „Ich glaube, dass das im März ein Ticken zu viel war“, sagte KSC-Trainer Christian Eichner zu Wochenbeginn im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“.
Eichner und Walter werden wohl keine Freunde mehr
Eichner und Walter verbindet zwar eine jeweils lange Zeit beim KSC, doch miteinander zu tun hatten sie in ihren Karlsruher Jahren nicht. Freunde werden sie in diesem Leben wohl auch nicht mehr. Doch zumindest wollen sie sich nun wieder mit Respekt begegnen. „Tim will seine Gemeinschaft schützen wie eine Familie. Wenn da jemand eintreten will, schützt er die Gruppe“, sagte Eichner über den an der Seitenlinie oft wilden Walter, der bei Schiedsrichtern und gegnerischen Trainern nicht gerade der Beliebteste ist.
„Jeder hat seine eigene Art, an der Linie unterwegs zu sein. Wir sind auch keine Kinder von Traurigkeit, lassen uns nichts gefallen. In unserem Stadion versuchen wir unseren Heimvorteil zunutze zu machen. Entscheidend ist, dass man sich am Ende die Hand gibt“, sagte Eichner. Die gleichen Worte wählte Walter am Freitag.
Walter soll Handschlag ausgewichen sein
Doch genau das soll beim bislang letzten Treffen in Karlsruhe nicht passiert sein, als Walter dem üblichen Handschlag mit Eichner aus dem Weg gegangen sein soll. Das Ganze ist Vergangenheit. Walter will nun zeigen, dass er gelernt hat. „Es geht darum, dass man gut miteinander umgeht. Wenn das meine Lehren sind aus anderen Spielen, dann kann das so weitergehen. Ich versuche so lieb und nett zu sein, wie ich zu Hause bin“, sagte der „liebe, nette Herr Walter“, wie ihn Pressesprecher Philipp Langer am Freitag taufte.
Dass sich am Sonntag in Karlsruhe plötzlich alle lieb haben, ist aber genauso unwahrscheinlich wie die Spekulation, dass Walter seine Spielidee in dieser Saison neu erfindet und wie gegen Schalke ab sofort nur noch mit langen Bällen spielen lässt. Dennoch wird das Spiel in Karlsruhe nicht nur emotional, sondern auch taktisch eine Reifeprüfung für Walter.
Im März überrannte der KSC den HSV
Im März hatte Eichner gegen die Hamburger Notabwehr – damals wie heute fehlte der verletzte Kapitän Sebastian Schonlau – den HSV mit seiner Taktik überrumpelt. Während Walter an seinem spielerischen Aufbau festhielt, überrannte der KSC den HSV in der ersten Halbzeit und hätte sogar noch höher führen können als 3:0.
Auch am Sonntag wird Walter weiter an seiner Grundidee festhalten. Der Trainer will aber wie schon gegen Schalke beweisen, dass er sich in einzelnen Spielphasen an den Gegner anpassen kann. Walters neue Wortwahl machte am Freitag zumindest schon einmal deutlich, dass er seinen fußballerischen Ansatz weiterentwickelt hat. „Unsere DNA steht. Wir haben klare Ideen, aber meine Spieler entscheiden, welche Zutaten sie anwenden. Wenn das lange Bälle sind, ist das doch schön“, sagte der Trainer.
- Die neue Variabilität des HSV hat auch Schattenseiten
- Die besondere Verbindung zwischen Ramos und ManCity-Profi
- Endlosschleife Pyro-Strafe: Was passiert mit dem Geld?
Welche Zutaten der HSV am Sonntag bei den als Geheimfavorit um den Aufstieg gehandelten Karlsruhern braucht, ist klar: Zweikampfbereitschaft, Gier und Kompromisslosigkeit. Erst danach werden die spielerischen Lösungen wichtig sein. Auch deshalb haben die beiden Innenverteidiger Stephan Ambrosius und Guilherme Ramos trotz der Rückkehr von Neuzugang Dennis Hadzikadunic gute Chancen, am Sonntag wieder gemeinsam im Abwehrzentrum zu verteidigen.
33.000 Zuschauer werden am Sonntag im neuen und ausverkauften Wildparkstadion für eine Atmosphäre sorgen, die sowohl Tim Walter als auch Christian Eichner auf eine Probe stellt. Einig sind sich aber alle: Noch so einen Tag wie im März wird es nicht noch einmal geben.