Kitzbühel. Die im Rollstuhl sitzenden Zwillinge sind bei jedem Trainingslager, Heim- und Auswärtsspiel dabei. Emotionale Bindung zu Mickel.
Als die HSV-Profis am Freitag das Koasastadion betraten, waren Marcel und André Fricke (27) schon da. Glücklich blickten die beiden Fans jedem Einzelnen entgegen, sogar Gänsehaut kam auf. Tage wie diese sind noch immer etwas Besonderes im Leben der Zwillinge, die seit ihrer Geburt im Rollstuhl sitzen. Dabei sind sie seit dem Trainingslager 2017 in Längenfeld (Österreich) zu Allesfahrern geworden.
Egal, wie weit von ihrem Lübecker Wohnort entfernt der HSV spielt, oder wo sich der Club im Sommer auf die Saison vorbereitet: die Frickes sind dabei. „Ich freue mich über jeden Tag im Trainingslager und jedes HSV-Spiel wie am ersten Tag“, sagt Marcel dem Abendblatt.
HSV-Fans mit emotioaler Bindund zu Mickel
In Tirol haben sie sich zusammen mit ihrer Mutter Susanne eine barrierefreie Wohnung in Oberndorf gemietet, die genau zwischen dem Mannschaftshotel Kitzhof und dem Trainingsplatz in St. Johann liegt. Nach jeder Einheit unterhalten sich Marcel und André mit dem Trainerteam oder einzelnen Spielern. Einer, der in diesen Momenten fast immer an ihrer Seite ist: Tom Mickel.
Der Torhüter hat ein emotionales Verhältnis zu den Frickes aufgebaut. Als er gefragt wird, ob er an dem Gespräch mit dem Abendblatt teilnehmen möchte, sagt er sofort zu. „Tommy öffnet uns die Türen beim HSV“, erzählt André. „Beim Fanabend hat sich Tim Walter zwischen uns gesetzt, um zu schnacken. Die Gespräche mit der Mannschaft geben uns einfach total viel zurück.“
Nach sechs Trainingslagern gewinnen neutrale Beobachter manchmal den Eindruck, dass die Frickes zum HSV dazugehören. Die Frage, wo sie ihren Ehrentag am 28. September verbringen, stellt sich für sie daher nicht. „Da wir am 29. September in Düsseldorf spielen, werden wir unseren Geburtstag wahrscheinlich auf Reisen verbringen“, sagt André, der die Fahrten akribisch organisiert.
Was den HSV-Zwillingen das Trainingslager bedeutet
Eine Planung, die seit 2018 einfacher geworden ist. Denn seit der ersten Zweitligasaison der Hamburger besitzen die Zwillinge eine Auswärtsdauerkarte. Zu Anfangszeiten wurden sie jährlich 20.000 Kilometer von ihren Eltern für die Spiele des HSV durch ganz Deutschland gefahren. Inzwischen sei die Distanz auf 50.000 Kilometer pro Jahr angewachsen.
„Wir knacken jetzt die 300.000 Kilometer. Wahrscheinlich brauchen wir bald ein neues Auto“, sagt André, der damit allerdings auch ein Problem anspricht. Denn das Auto ist mit einer Rollstuhlrampe barrierefrei umgebaut worden. Es soll deshalb noch so lange wie möglich im Einsatz sein, damit die Frickes nicht das letzte Mal nach Österreich gefahren wurden.
„Für mich ist das Trainingslager immer wieder etwas Besonderes“, sagt André über die Highlights seiner vielen HSV-Reisen. „Auch wenn ich mich jetzt anhöre wie ein Fanboy, aber so dicht kommt man sonst nie an die Spieler heran.“
HSV-Zwillinge schmeicheln Mickel
Damit gehören sie zu dem engen Kreis von 150 Anhängern, die in Kitzbühel dabei sind. „Es ist beeindruckend, was unsere Fans auf sich nehmen und mit welcher Energie sie eine Vorfreude auf die Saison entwickeln“, sagt Mickel, der seine Wertschätzung an die Neuzugänge übertragen will. „Für die neuen Spieler ist es wichtig zu sehen, wer unsere treuen Fans sind. Wer kann besser repräsentieren, was den HSV auszeichnet, als diese beiden Jungs?“, fragt der Torwart rhetorisch.
Ein Kompliment, das er prompt zurückbekommt. „Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich mir Bilder von Tommy vor Augen führe, wie er bei unseren Toren abgeht. Obwohl er 90 Minuten auf der Bank sitzt, verbraucht er genauso viele Kalorien wie die Stammspieler“, schwärmt Marcel. Sein Bruder ergänzt: „Tommy ist ein Granatentyp.“ Eine Aussage, die Mickel fast peinlich berührt. Sein Gesicht gewinnt jedenfalls an roter Farbe, er fühlt sich geschmeichelt.
Rollstuhlfahrer bald auf Nordtribüne?
Plötzlich kommt es zu einem Rollentausch. Mickel stellt jetzt die Fragen. Er überlegt lange, guckt hilfesuchend seinen Pressesprecher an, der ihn auf diese Situation nicht vorbereitet hatte, und spricht schließlich ein emotionales Thema an.
„Werdet ihr zu den ersten Rollifahrern auf der Nordtribüne gehören, wenn dafür Kapazitäten geschaffen werden?“, fragt der 34-Jährige. „Wenn es wirklich dazu kommen sollte, sehr gern. Bautechnisch finde ich die bisherigen Ideen sehr interessant“, antwortet Marcel.
Fricke-Zwillinge sind heimliche Stars beim HSV
Es ist eine lose Idee, die bislang noch keinen Zeitplan oder ein finales Konzept hat. Sie steht auch nicht im Zusammenhang mit der EM-bedingten Erweiterung der Rollstuhlplätze von 40 auf 130. Ein Prozess, in den die Frickes aktiv involviert sind.
„Wir werden hin und wieder gefragt, die Neuerungen zu testen“, sagt André, der fast schon beiläufig erwähnt, dass sich auch die Deutsche Fußball Liga ihren Rat einhole. Als der Abendblatt-Reporter die Frickes daraufhin als „Stars“ bezeichnet, dementieren die Zwillinge bescheiden. „Wir sind ganz normale Fans“, versucht Marcel, das Thema kleinzureden, doch Mickel widerspricht. „Doch, das ist genau das richtige Wort für euch. Ihr seid Stars.“
HSV-Zwillinge werden bei ihren Eltern emotional
André und Marcel gehen nicht nur zu den Profis. Auch bei der U 21 und der dritten Mannschaft des HSV sowie den Frauen schauen die Mitglieder des Fanclubs OFC Hafensänger regelmäßig vorbei. Möglich ist all das nur dank der Unterstützung ihrer Eltern Susanne und Uwe. „
Es gibt gar nicht die richtigen Worte, um zu beschreiben, was sie uns alles ermöglichen. Wenn ich an meine Eltern denke, bin ich emotional gerührt“, sagt André, der tiefe Dankbarkeit empfinde. „Unsere Eltern sind meistens zwölf bis 13 Stunden mit uns unterwegs. Einen Betreuer für diese Dauer könnten wir uns gar nicht leisten. Wir genießen das Hier und Jetzt, es erfüllt uns mit Stolz.“
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HSV-Zwillinge begeistern auch Boldt
Mit ihrer positiven Art bringen die Zwillinge die Anwesenden regelmäßig zum Lachen. Während des rund 40-minütigen Gesprächs hören HSV-Mitarbeiter angeregt zu. Sportvorstand Jonas Boldt schaut zwischendurch vorbei, als André gerade über seinen Aufstiegstraum philosophiert, der länger als nur fünf Minuten wie in Sandhausen anhalten soll. „Über mehrere Jahre“, ruft Boldt dazwischen und löst Freude bei den Frickes aus.
Bleibt die Frage, was aus ihnen wird, wenn Mickel seine Karriere beendet? „Dann schiebt uns Tommy auf die Nordtribüne“, scherzt André und blickt zu Mickel, der die Vorlage aufnimmt. „Das ist ein guter Deal. Euch lasse ich doch nicht alleine.“