Hamburg. Trotz vier verpasster Aufstiege darf der Sportvorstand beim HSV bleiben. Eine Analyse seiner Arbeit.
Vier Jahre ist es her, dass Jonas Boldt zum ersten Mal auf dem Pressepodium im Volksparkstadion Platz nahm. Der damals 37 Jahre alte Manager, weißes Hemd, dunkelblaues Sakko, Dreitagebart, wurde offiziell als Nachfolger von Ralf Becker vorgestellt. Neben ihm saß der Aufsichtsratsvorsitzende Max-Arnold Köttgen und begründete die Entscheidung.
„Wir haben unsere sportlichen Ziele verfehlt“, sagte Köttgen über den Wechsel zu Boldt, der beim HSV einen Zweijahresvertrag unterschrieb. „Wenn die zwei Jahre eintreffen, ist das schon mal ein großer Erfolg.“ Ein Schmunzler, den Boldt durchaus ernst meinte, schließlich war der langjährige Leverkusener zu diesem Zeitpunkt bereits der achte Sportchef in acht Jahren, den der HSV präsentierte.
Vier Jahre später hat sich im Volkspark vieles verändert. Nur zwei Konstanten sind geblieben. Erstens: Der HSV hat vier weitere Male in Folge seine sportlichen Ziele verfehlt und ist noch immer Zweitligist. Und zweitens: Jonas Boldt ist noch immer Sportvorstand des HSV. So manch einer fragt sich: Warum eigentlich? Und wie fällt die Bilanz des mittlerweile 41-Jährigen nach vier Jahren im Volkspark aus?
Ex-Aufsichtsratschef lobt die Arbeit von Boldt beim HSV
Max-Arnold Köttgen, der sich 2019 nach einem durch Bernd Hoffmann initiierten Treffen für Boldt entschied, arbeitete nur ein Jahr mit dem Sportvorstand zusammen. Weil der damalige Vorstandschef Hoffmann einen Vorstandsmachtkampf gegen Boldt und Frank Wettstein verlor, trat Köttgen als Aufsichtsratschef zurück. Zuvor hatte er gegen die Entlassung von Hoffmann gestimmt. Boldt hatte sich auf die Seite von Wettstein gestellt. Trotzdem sagt Köttgen auch nach dem vierten verpassten Aufstieg im Gespräch mit dem Abendblatt: „In der jetzigen Situation, in der wieder Kapital zur Verfügung steht, ist Jonas Boldt genau der Richtige.“
Köttgen konnte sich zwölf Monate lang ein Bild von Boldts Arbeit machen. Es war das Jahr unter Trainer Dieter Hecking, in dem der HSV zahlreiche Turbulenzen erlebte. Die Identitätsdebatte um Bakery Jatta, der Beginn der Corona-Pandemie, der Riss im Vorstand und schließlich das 1:5 gegen Sandhausen am letzten Spieltag sorgten für Untergangsstimmung.
Der Transfer von Douglas Santos verfolgt Boldt bis heute
Mit Hoffmann hatte sich Boldt im Zuge des Verkaufs von Douglas Santos an Zenit St. Petersburg schon früh überworfen. Der Transfer brachte dem HSV zwar die Zweitliga-Rekordsumme von mittlerweile 14 Millionen Euro, sorgte aber auch für ein noch immer laufendes Gerichtsverfahren, da der Spielervermittler Marcus Haase eine Millionenprovision verlangt.
Boldt hat diesen Streit bislang ebenso schadlos überstanden wie die vielen Machtkämpfe, die auch nach Hoffmanns Aus folgen sollten. Boldt gegen Marcell Jansen, Boldt gegen Michael Mutzel, Boldt gegen Thomas Wüstefeld. Am Ende setzte sich stets der Sportvorstand durch. Boldt bewegt sich als Stratege in der Vereinspolitik so klug wie kaum ein Manager vor ihm. Wenn er spürt, dass ein Mitarbeiter ihm nicht mehr folgt, lässt er ihn fallen.
Boldt gelingt es dabei immer wieder, Kritiker etwa im Aufsichtsrat von seinem Weg zu überzeugen. Das erinnert auch Köttgen: „Er ist meinungsstark und konsequent in seiner Einschätzung. Er ist keiner, der seine Position aufgibt, wenn es Gegenwind gibt. Damit gelingt es ihm, andere zu überzeugen und mitzunehmen.“
Wie aber sieht es mit der Bilanz aus, mit der man Boldts Arbeit messen kann? Vier Nichtaufstiege nacheinander stehen auf der Seite des Misserfolgs. Demgegenüber steht ein Transferüberschuss von 21 Millionen Euro. Nur sieben Clubs haben im deutschen Profifußball in dieser Zeit ein besseres Ergebnis erzielt. In seinen vier Jahren hat Boldt 42 Spieler verpflichtet. 26 Millionen Euro hat er dafür an Ablösesummen gezahlt. Zwölf Spieler holte er auf Leihbasis, zehn Spieler ablösefrei. 60 Spieler verließen den Club in dieser Zeit.
Ramos ist der elfte ablösefreie Neuzugang von Boldt
Neuzugang Nummer 43 verpflichtete Boldt am Donnerstag. Mit dem Portugiesen Guilherme Ramos sicherte sich der HSV einen neuen Innenverteidiger. Der 25-Jährige kommt von Arminia Bielefeld und hat im Volkspark einen Vertrag bis 2026 unterschrieben. Durch den Abstieg der Arminia war der Abwehrspieler, der vor zwei Jahren für 1,2 Millionen Euro vom portugiesischen Club CD Feirense nach Bielefeld kam, ablösefrei zu haben.
Mit diesen Transfers setzt Boldt trotz der neuen Vereinbarung mit Klaus-Michael Kühne seine Strategie fort, die vorhandenen Mittel vernünftig anzulegen. Das ist ihm mit ablösefreien Transfers wie denen von Amadou Onana, Sebastian Schonlau oder Ludovit Reis, dessen Ausstiegsklausel am Donnerstag erlosch, gelungen. Mit anderen aber nicht.
Ewerton und Amaechi waren Boldts größte Fehleinkäufe
Insbesondere in seiner ersten Transferperiode leistete sich Boldt mit Ewerton (2 Millionen Euro) und Xavier Amaechi (2,5) zwei teure Fehlgriffe. Zwei Strategiewechsel in den folgenden Jahren sorgten zudem dafür, dass der HSV für die Abfindungen von acht Spielern eine Millionensumme verlor. Zudem zahlte der HSV in Boldts Amtszeit Beraterprovisionen auf Bundesliganiveau. 2,3 Millionen Euro waren es alleine im Geschäftsjahr 2022/23.
Überzeugen konnte Boldt dafür bei anderen Vertragsverhandlungen wie zuletzt mit Kühne oder Adidas. Der Ausrüster hat im Zuge der Vertragsverlängerung seine Bezüge sogar erhöht, nachdem Boldt bei Adidas-CEO Björn Gulden persönlich vorstellig wurde. „Jonas Boldt ist in der Branche sehr gut vernetzt. Entscheidend ist, dass er ein sportliches, aber auch kommerzielles Gespür hat. Diese Kombination ist bei ihm sehr gut ausgeprägt“, sagt Ex-Kontrollchef Köttgen.
Boldts bislang wohl größter Coup war die Verpflichtung von Horst Hrubesch als Nachwuchsdirektor. Zudem hat er es geschafft, mit Tim Walter einen kontinuierlichen Weg zu gehen. Dass ein Trainer beim HSV in sein drittes Jahr geht, hat es zuletzt im Jahr 2000 mit Frank Pagelsdorf gegeben – auch wenn es über diese Entscheidung geteilte Meinungen gibt.
Mitarbeiterzahl beim HSV noch immer auf Erstliganiveau
Nicht gelungen ist es Boldt in seinen vier Jahren, die für Zweitligaverhältnisse noch immer große Zahl an Mitarbeitern zu verschlanken. Ex-Vorstand Wüstefeld verbrannte sich bei dem Versuch, den Kostenapparat zu senken. Insbesondere die Zahl an externen Dienstleistungsverträgen versuchte Wüstefeld zu reduzieren – und verärgerte damit vor allem Boldt.
Auf der Geschäftsstelle genießt Boldt ein hohes Ansehen. Nach vier Jahren hat er nun mit Finanzvorstand Eric Huwer die Konstellation gefunden, die er angestrebt hat. Und an der er sich messen lassen muss. Während in der Fußballszene über die Kombination aus Boldt und Walter aufgrund der Außendarstellung nicht sonderlich positiv gesprochen wird, geht die Meinung über das Vorstandsduo Boldt und Huwer in die andere Richtung. „Ich halte Jonas und Eric menschlich und fachlich für ein passendes Team für den HSV“, sagt auch Ex-Kontrollchef Köttgen.
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Auch der aktuelle Aufsichtsrat ist davon überzeugt, den Weg mit Boldt fortzusetzen. Der Sportvorstand bekommt nun seine fünfte Chance, die sportlichen Ziele zu erreichen. Die Ansichten, ob das eine Chance zu viel ist, gehen durchaus auseinander. Einig sind sich aber fast alle, dass es Boldts letzte Chance sein könnte.