Hamburg. Darmstadt, der HSV und Heidenheim haben schon jetzt so viele Punkte gesammelt wie kein anderes Spitzentrio der 2. Liga.

Am Montag ist es so richtig kalt an der Ostsee. Drei Grad zeigt das Thermometer an, ehe sich Dirk Bremser mit seinen Hunden in Scharbeutz auf den Weg machen will. „Der Aufstiegskampf in der Zweiten Liga macht einem ja warme Gedanken“, sagt der frühere Assistenztrainer von Dieter Hecking beim HSV, als ihn das Abendblatt am Telefon erwischt. „So einen Spitzendreikampf auf Augenhöhe hat man ja fast noch nie erlebt“, sagt der heutige Co-Trainer von Holstein Kiel.

Das Wort „fast“ hätte sich Bremser sparen können. Denn tatsächlich hat man so einen Spitzendreikampf auf Augenhöhe seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel in der Saison 1995/96 nicht erlebt. Addiert man die Punkteausbeute der drei Top-Mannschaften Darmstadt (49 Punkte), HSV (48 Punkte) und Heidenheim (46 Punkte), kommt man nach Adam Riese auf den Spitzenwert von 143 Punkten.

Ähnlich viele hat es seit der Einführung der Relegation 2008/09 nur in der Saison 2012/13 gegeben, als Hertha BSC (52), Eintracht Braunschweig (51) und der 1. FC Kaiserslautern (39) mit 142 Zählern insgesamt einen Punkt weniger sammelten als das aktuelle Spitzentrio. „Die Ausbeute von Darmstadt, dem HSV und Heidenheim ist beeindruckend und Ausdruck von insgesamt sehr guter Arbeit, die dort geleistet wird“, sagt Bremser.

Ex-HSV-Coach beeindruckt von Spitzentrio

Dirk Bremser ist so etwas wie der perfekte Kronzeuge, um den historischen Dreikampf an der Spitze zu verhandeln. Der 57-Jährige kennt den HSV bestens durch seine Zeit als Co-Trainer in der Saison 2019/20 – und er weiß aus jener Zeit, wie schwer Darmstadt und Heidenheim grundsätzlich zu bezwingen sind. Mit dem HSV reichte es gegen Darmstadt lediglich zu zwei Unentschieden, gegen Heidenheim verloren die Hamburger sogar zweimal.

Doch Bremser weiß eben auch, wie man trotzdem Mittel und Wege in dieser Saison gegen die Top-Teams findet. Mit Kiel spielte er 1:1 gegen Darmstadt in der Hinrunde, gegen Heidenheim siegte Holstein sogar 3:1.

„Man muss aber den Hut vor den Dreien ziehen“, sagt Bremser. „Alle drei Teams wirken sehr stabil, erlauben sich kaum Schwächen und können auch mit kleineren Rückschlägen gut umgehen.“ Das einzige Problem des Trios: Ein Club wird am Saisonende in den sauren Apfel beißen und nach einer mutmaßlich herausragenden Saison in der Relegation antreten müssen.

Glaubt man Bremser, wird das aber nicht der HSV sein. „Der Aufstieg geht diesmal nur über den HSV. Da bin ich mir zu 100 Prozent sicher. Die Hamburger werden Meister, dahinter wird es spannend“, sagt der Wahl-Schleswig-Holsteiner, der sich nicht festlegen will, ob Darmstadt oder Heidenheim hinter dem HSV die Nase vorn haben werden.

HSV-Rivalen rüsten wirtschaftlich auf

Den Vater des Darmstädter Erfolgs kennt Bremser jedenfalls schon seit 20 Jahren. Zwei Dekaden ist es bereits her, dass Lilien-Sportchef Carsten Wehlmann unter Bremser und Hecking beim VfB Lübeck das Tor hütete. „Es ist schon stark, wie er immer wieder einen tollen Kader zusammenstellt, obwohl Darmstadt oft die besten Spieler weggekauft werden“, sagt Bremser. „Und weil der Club wirtschaftlich in den vergangenen Jahren so gut gearbeitet hat, konnten sie sich auch im Winter einen Transfer wie den von Filip Stojilkovic leisten. Das war eine klare Ansage an die Zweitligakonkurrenz.“

Zwei Millionen Euro hat Wehlmann an den FC Sion für Darmstadts Rekordtransfer ausgegeben, der nach seiner Einwechslung auch direkt gegen den HSV zum 1:1-Endstand getroffen hat.

„So ein Transfer wäre in Darmstadt wahrscheinlich vor ein paar Jahren noch nicht möglich gewesen. Aber auch in Heidenheim kann man mittlerweile problemlos im Konzert der Zweitliga-Größen mitspielen“, sagt Bremser und verweist auf die Transfers von Jan-Niklas Beste (von Werder Bremen) und Tim Kleindienst, der im vergangenen Jahr für beeindruckende 3,5 Millionen Euro vom KAA Gent zurückgeholt wurde und derzeit mit 15 Treffern die Torschützenliste der Zweiten Liga anführt.

Aufstiegstrio um HSV setzt sich ab

Obwohl gerade einmal 61,9 Prozent der Top Drei nach dem 23. Spieltag auch als Top Drei nach dem 34. Spieltag ins Ziel gegangen sind, ist sich Bremser sicher, dass am aktuellen Spitzentrio nicht mehr gerüttelt wird. „Die drei Teams vorne lassen sich das nicht mehr nehmen“, sagt der Coach, der daran erinnert, dass die viertplatzierten Paderborner bereits sieben Punkte Abstand auf Rang drei haben.

Allerdings bringt der hochklassige Dreikampf um den Aufstieg den Beteiligten nur wenig, wenn man am Ende „nur“ Dritter wird. Denn obwohl bislang 67 Punkte eine Garantie für den direkten Aufstieg waren, könnte diese Marke diesmal fallen. „Wir wollen direkt aufsteigen und Platz drei so weit entfernt halten wie möglich“, sagt deswegen auch HSV-Stürmer Robert Glatzel, der mit 14 Saisontreffern in der Torjägerliste nur einen Rang hinter Heidenheims Kleindienst zu finden ist.

HSV will Relegation vermeiden

Das Schreckgespenst des Trio infernale heißt Relegation. Seit der Wiedereinführung dieser Play-offs um den Aufstieg hat es der Zweitligadritte bislang nur dreimal (Nürnberg/2009, Düsseldorf/2012 und Union Berlin/2019) geschafft, sich gegen den Drittletzten der Bundesliga in Hin- und Rückspiel durchzusetzen. Und in dieser Saison droht dem Zweitligist mit potenziellen Bundesligagegnern wie 1899 Hoffenheim, Schalke 04, Stuttgart oder Hertha BSC ein echtes Erstligaschwergewicht.

Kurios: Ausgerechnet Bremser und seine Kieler könnten das Zünglein an der Waage sein. Erst empfängt der HSV Holstein (18. März), ehe Heidenheim (am 23. April) und Darmstadt (30. April) in den letzten beiden Aprilwochenenden gegen die Kieler ranmüssen.

Bremsers Präferenz ist klar: „Ich finde, dass es der HSV in dieser Saison einfach verdient hat.“ Hamburg habe unter Trainer Tim Walter eine klare und attraktive Spielidee, Ruhe im sportlichen Bereich und lasse sich auch von nicht-sportlichen Dingen wie zum Beispiel im Fahrerfluchtfall von Jean-Luc Dompé nicht aus dem Konzept bringen. „Der HSV ist dran“, sagt Bremser, ehe er selbst dran ist. Die Hunde wollen schließlich raus.