Hamburg. Der frühere HSV-Profi und heutige DFB-U-18-Trainer kritisiert die Abwehrarbeit in Deutschland – und freut sich aufs Duell seiner Ex-Clubs.
Ein wenig ärgert sich Heiko Westermann schon. Gerne würde er es sich am Sonntag in seinem Haus bei Düsseldorf auf der Couch gemütlich machen und das Duell seiner Ex-Clubs HSV und Arminia Bielefeld entspannt vor dem Fernseher genießen. Aber Westermann hat Termine. In England.
Am Sonnabend ist er beim Premier-League-Spiel zwischen Aston Villa und Arsenal London, am Sonntag schaut er sich das Frauenländerspiel zwischen England und Frankreich im Wembley an. Und dazwischen: Termine, Termine, Termine. Zum Beispiel mit Ex-Nationalmannschaftskollege Per Mertesacker, der bei Arsenal für den Nachwuchs verantwortlich ist. Für Westermann bedeutet das: drei Tage mit zahlreichen Meetings auf der Insel – oder in anderen Worten: DFB-Trainer-Alltag.
Ex-HSV-Profi Westermann kritisiert Verteidiger-Generation
Westermann lächelt. „Es gibt wahrscheinlich Schlimmeres, als ein paar Tage beruflich in London zu sein“, sagt er in der neusten Aufzeichnung des Abendblatt-Podcasts „HSV – wir müssen reden“. Seit seinem Karriereende 2018 als Spieler arbeitet der 39-Jährige beim Deutschen Fußball-Bund als Trainer.
Der frühere Innenverteidiger ist Co-Trainer bei der U18, unterstützt die Frauenauswahl als Scout und kümmert sich bei Deutschlands Nachwuchsstars vor allem um die Defensive. „In Deutschland gibt es seit Jahren ein Abwehrproblem“, sagt Westermann, der hart mit seiner Nachfolgegeneration ins Gericht geht. „Fußball ist gar nicht so kompliziert. Aber wir wissen nicht mehr, wie man mit der ganzen Mannschaft das eigene Tor verteidigt. In der Bundesliga wird extrem schlecht verteidigt.“
Westermann schätzt Abwehrarbeit des HSV
Bei dieser offensiv formulierten Fundamentalkritik an der Defensive überrascht es, dass Westermann ausgerechnet die Abwehrarbeit seines Ex-Clubs HSV sehr schätzt. „Besonders als früherer Innenverteidiger finde ich den Fußball, den Trainer Tim Walter spielen lässt, spannend.“
Acht Jahre ist es bereits her, dass Westermann den HSV verlassen hat. Der Franke ließ seine Karriere im Ausland bei Betis Sevilla, Ajax Amsterdam und bei Austria Wien ausklingen. Den Kontakt nach Hamburg hat er aber nie verloren.
Als sich Jean-Luc Dompé und William Mikelbrencis in der vergangenen Woche ein mutmaßlich illegales Autorennen lieferten, Dompés Auto anschließend in die Bushaltestelle krachte und die beiden noch Fahrerflucht begingen, erfuhr Westermann von all dem nicht aus der Zeitung, sondern erhielt direkt einen Anruf aus Hamburg.
Westermann: HSV-Fußball funktioniert auch in Bundesliga
Alle zwei bis drei Monate sei er im Volkspark, das nächste Mal am 4. März beim Heimspiel des HSV gegen den 1. FC Nürnberg. Westermann trifft sich gerne mit Ex-Kollege Marcell Jansen, Sportvorstand Jonas Boldt, Nachwuchschef Horst Hrubesch oder U-19-Trainer Oliver Kirch. „Natürlich bin ich noch immer interessiert an der Entwicklung des HSV“, sagt Westermann, der sich diesmal wirklich sicher ist, dass der HSV endlich aufsteigen wird. Einer der Gründe, die den früheren Abwehrmann zuversichtlich machen: Trainer Walter.
„Ich denke, dass sein Fußball auch in der Bundesliga funktionieren wird“, sagt Westermann, der nicht immer eine Liebesbeziehung mit dem HSV-Fußball hatte. „Die defensive Spielweise in meiner Zeit hat mich angekotzt“, sagte er mal im Podcast „Offensivspiel“. Auch die zahlreichen HSV-Trainer, unter denen Westermann gearbeitet hat, kommen nicht immer gut bei ihm weg. Thorsten Fink sei einer der wenigen HSV-Coaches gewesen, die mutig und offensiv hätten spielen lassen.
Walter sei auch so einer. In den ersten anderthalb Jahren habe er beim HSV sehr risikoreich spielen lassen, sagt Westermann, aber jetzt würde sein Fußballstil immer besser zum Tragen kommen. Das diagonale Andribbeln, das Walter von seinen Spielmacher-Innenverteidigern fordert, würde auch Westermann immer wieder Deutschlands Abwehrtalenten ans Herz legen.
HSV-Trainer Walter kritisiert Neuzugang Montero
Dass Walters Fußball für einen Innenverteidiger aber auch kompliziert ist, durfte Winterneuzugang Javi Montero beim 3:3 in Heidenheim erfahren. Beim Stand von 0:3 musste der überforderte Spanier am Sonnabend raus. „Da müssen wir nicht um den heißen Brei herumreden. Javi hat keinen guten Tag erwischt, deswegen hat er sich das Ganze dann auch von außen anschauen müssen“, sagte Walter am Dienstag. „Entweder verlierst du 0:5 oder spielst dann 3:3. Da war mir die zweite Variante doch lieber.“
Natürlich hat auch Walter erkannt, dass der gerade einmal 1,85 Meter große Montero in der ersten Halbzeit nahezu alle Kopfballduelle verloren hatte. „Man muss nicht groß gewachsen sein, um Kopfballduelle zu gewinnen. Das ist eine Willens- und Einstellungssache. Wenn ich das nicht habe, werde ich niemals einen Kopfball gewinnen“, sagte Walter, meinte damit aber nicht nur Montero.
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Westermann sieht das ähnlich. In Deutschland gebe es viele gute Abwehrspieler, aber nur wenige Mannschaften, die gut im Verbund verteidigen würden. Union Berlin gehöre dazu. Borussia Dortmund oder Bayern München eher nicht. Und der HSV?
„Wird das Spiel gegen Bielefeld am Sonntag gewinnen“, orakelt Westermann. „Vielleicht kann mir Per Mertesacker ja doch einen Tipp geben, wie ich das Spiel irgendwo in London noch schauen kann.“