Hamburg. Wie weit ist der HSV mittlerweile von der Bundesligaspitze entfernt? Das DFB-Pokal-Spiel bei RB Leipzig gibt Antworten.

Bakery Jatta wird diesen Moment in seinem Leben nie wieder vergessen. Der HSV-Profi war in Fußball-Deutschland noch ein unbeschriebenes Blatt, als er sich vor einem Millionen-Publikum am TV einen Namen machte. Mit einer Energieleistung und einem sehenswerten Schlenzer aus 22 Metern traf der Gambier am 23. April 2019 zum zwischenzeitlichen 1:1 im Halbfinale des DFB-Pokals gegen RB Leipzig.

Am Ende aber war es nicht nur auf dem Papier ein Klassenunterschied zwischen dem unterlegenen Zweitligisten aus Hamburg und dem Bundesligisten aus Sachsen, der im Volkspark durch den 3:1-Sieg mit Trainer Ralf Rangnick erstmals ins Finale des Pokalwettbewerbs einzog.

Transfers: Was Leipzig dem HSV voraus hat

An diesem Dienstag (18 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) kommt es in Leipzig zum Wiedersehen zwischen dem amtierenden Pokalsieger RB und dem Vorjahreshalbfinalisten HSV. Das Wiedersehen wird allerdings sehr einseitig ausfallen. Bakery Jatta wird zwar auch in der Zweitrundenpartie wieder in der Startelf stehen. Ersatztorhüter Tom Mickel ist auch noch da. Alle anderen HSV-Spieler aus dem Kader von vor drei Jahren aber haben den Club verlassen.

Ganz anders bei Leipzig: Emil Forsberg, Yussuf Poulsen, Marcel Halstenberg, Willi Orban, Amadou Haidara, Kevin Kampl, Lukas Klostermann, Peter Gulasci – sie alle sind noch da. Und diese Transferpolitik sagt viel aus über die Gründe, warum der HSV auch dreieinhalb Jahre danach noch in der Zweiten Liga spielt und Leipzig in der kommenden Woche in der Champions League an selber Stelle auf Titelträger Real Madrid trifft.

Wie weit ist Leipzig dem HSV enteilt?

Leipzig hat zwar seit April 2019 genauso oft den Trainer gewechselt wie der HSV, am Klassenunterschied hat sich seitdem aber nichts geändert. Im Gegenteil. Der Abstand zwischen den zwei Clubs ist noch größer geworden. Für den HSV ist der Dienstagabend daher auch eine gute Gelegenheit zu sehen, wie weit die Bundesligaspitze mittlerweile vom Volkspark entfernt ist. Trotz der klaren Außenseiterrolle erhoffen sich Bakery Jatta und Co. aber eine kleine Chance.

„Wir sind der absolute Underdog. RB Leipzig spielt in der Champions League und ist amtierender Pokalsieger“, sagte HSV-Trainer Tim Walter vor dem Kräftemessen auf Königsklassen-Niveau. „Trotzdem werden wir unsere Chance suchen und von unserer DNA nicht abweichen. Wir wollen zeigen, wofür der HSV steht: Mut, Wille und Geschlossenheit.“

Es wird spannend zu sehen sein, ob der HSV auch auswärts bei einem Cham­pions-League-Teilnehmer versuchen wird, mutig von hinten herauszuspielen. Leipzig ist bekannt für sein herausragendes Offensivpressing. Allerdings fallen mit Christopher Nkunku und Timo Werner die beiden besten Stürmer aus. Mit André Silva und Poulsen hat RB aber zwei weitere Stürmer mit internationalem Format.

Für HSV-Verteidiger Jonas David, der am Dienstagabend mal wieder eine Chance bekommt, wird es eine Herkulesaufgabe. David wird auch am Sonntag in der Liga gegen den FC Magdeburg Kapitän Sebastian Schonlau vertreten müssen, der am Montag wegen der Roten Karte im Stadtderby beim FC St. Pauli (0:3) vom DFB für zwei Spiele gesperrt wurde.

HSV kann in Leipzig befreit aufspielen

Ob Schonlau gegen Leipzig trotzdem spielt, ließ Walter noch offen. Möglich wäre auch eine Umstellung auf eine Dreierkette mit Mario Vuskovic, Schonlau und David. Doch Walter verändert nicht gerne seine Ausrichtung und will auch in Leipzig mutigen Fußball spielen lassen. Anfang des Jahres im Pokal-Achtelfinale beim Europa-League-Teilnehmer 1. FC Köln ging das gut, im Halbfinale gegen den SC Freiburg (1:3) nicht. In der Relegation gegen den Bundesligisten Hertha BSC zeigte der HSV zwei Gesichter.

In Leipzig können die Hamburger abseits des Aufstiegsdrucks in der Liga nun endlich mal wieder befreit aufspielen. Daher hat auch RB-Trainer Marco Rose durchaus Respekt. „Der HSV ist kein klassischer Zweitligist. Er war kürzlich noch Tabellenführer, hat die wenigsten Gegentore in der Liga kassiert und spielt einen guten Fußball. Er wird uns einiges abverlangen“, sagte Rose am Montag.

Leipzig-Verkäufe: 250 Millionen in drei Jahren

Ein klassischer Zweitligist ist der HSV sicher nicht, aber im fünften Jahr ist er nun zumindest ein etablierter Zweitligist. Dass die Hamburger von vielen immer noch als Bundesligist wahrgenommen werden, liegt auch an den Transferausgaben. Rund zehn Millionen Euro gab der HSV in der Sommertransferperiode für Spieler wie Jean-Luc Dompé, Ransford Königsdörffer oder Laszlo Bénes aus, der aufgrund eines Infekts in Leipzig fehlen dürfte.

Dem gegenüber standen allerdings auch neun Millionen Euro Einnahmen durch den Verkauf von Josha Vagnoman sowie den Weiterverkauf von Amadou Onana.

Obwohl das für einen Zweitligisten noch immer hohe Summen sind, operiert Leipzig auf dem Transfermarkt mittlerweile in ganz anderen Sphären. 60 Millionen Euro gab der Club im Sommer alleine für David Raum, Xaver Schlager und Werner aus. 75 Millionen Euro nahm Leipzig durch den Verkauf von sieben verschiedenen Spielern ein – damit wuchsen die Transfereinnahmen innerhalb der vergangenen drei Jahre auf 250 Millionen Euro.

Boldt will mit Walter beim HSV verlängern

Sportvorstand Jonas Boldt hat diese Mittel beim HSV nicht. Umso mehr versucht er nun, auf Konstanz zu setzen. Daher drängt er bei Trainer Walter auch zunehmend auf die angestrebte Vertragsverlängerung. „Meine Überzeugung steigt von Tag zu Tag sogar noch mehr. Das ist ein Thema, das wir dringend noch in diesem Kalenderjahr erledigen sollten“, sagte Boldt am Sonntag dem Radiosender NDR 90,3. Er habe das Thema „mehrfach platziert“. Der Vertrag werde in der nächsten Sitzung des Aufsichtsrats laut Boldt „sicher Thema werden“.

Am Dienstag darf sich Walter gegen Rose mit einem der besten deutschen Trainer messen. Schon in der Jugend trafen die beiden Fußballlehrer mehrfach aufeinander. „Tim kenne ich ganz gut. Wir haben in der Jugend oft gegeneinander gespielt. Ich damals als Salzburg-Trainer, er noch in München beim FC Bayern“, sagte Rose am Montag. „Er hat auch das gespielt, was er jetzt noch spielt, hat eine klare Idee und ist ein richtig guter Typ.“

Beim letzten Pokalduell zwischen dem HSV und Leipzig im April 2019 war Rose noch Trainer in Salzburg. Doch selbst dort hörte er von Jattas Tor. „Ich konnte das Spiel nicht sehen. Mir wurde aber mitgeteilt, dass es ein Super-Tor von Jatta gewesen ist“, sagte Rose, der ein Déjà-vu für Leipzig gerne verhindern würde. „Jatta ist einer der schnellsten Flügelstürmer“, warnte der 46-Jährige. „Auf den müssen wir uns einstellen.“

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

  • Leipzig: Blaswich – Henrichs, Orban, Gvar­diol, Halstenberg – Kampl, Haidara – Szoboszlai, Forsberg – Silva, Poulsen.
  • HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, David, Muheim – Meffert – Reis, Kittel – Jatta, Königsdörffer, Dompé.
  • Schiedsrichter: Cortus (Röthenbach).