Hamburg. Der Unglücksrabe wird zunächst wüst beschimpft und dann in Schutz genommen. Welches Lager aber hat inhaltlich recht?
Nach dem Abpfiff schaute Sonny Kittel für einige Sekunden ernüchtert auf die Anzeigetafel. In diesem Moment wurde dem HSV-Unglücksraben weiß auf blau vor Augen geführt, welch große Chance er mit seinem verschossenen Elfmeter vergab.
Statt beruhigend mit 2:0 in Führung zu gehen, scheiterte Kittel mit seinem halbhohen Versuch an Kaiserslauterns Torhüter Andreas Luthe. 53 Sekunden später stand es plötzlich 1:1. Zwei Szenen, die auch dem HSV-Spielmacher, der kurz danach ausgewechselt wurde, nach dem Spiel durch den Kopf gegangen sein dürften.
Auf dem Weg zu den treusten HSV-Fans auf der Nordtribüne sah Mario Vuskovic seinen nachdenklichen Mitspieler, klatschte mit ihm ab und nahm ihn in den Arm. Das klare Signal des Kroaten: Die Mannschaft präsentiert sich weiterhin als Einheit, auch oder vielleicht sogar erst recht nach einem verschossenen Elfmeter.
Sonny Kittel spaltet HSV-Fanszene mit Elfmeter
Eine ähnliche Botschaft ging auch von der Fankurve aus, die auf Pfiffe gegen Kittel verzichtete. In den „sozialen“ Netzwerken zeichnete sich dagegen zunächst ein anderes Bild ab. Unmittelbar nach Kittels Fehlschuss wurde er von zahlreichen „Fans“ in nicht zitierfähiger Art wüst beschimpft.
„Wenn man das Spiel nur aus den Tweets kennen würde, könnte man meinen, Sonny hätte versucht, den Elfer per Hacke zu machen“, kommentierte HSV-Fan Kristijan Juric sorgenvoll bei Twitter.
HSV-Fans wehren sich gegen Kittel-Shitstorm
Ist so ein Shitstorm erst einmal in vollem Gange, ist er normalerweise kaum zu bremsen. Doch die HSV-Fans, die sich natürlich auch über die verpasste Elfmeterchance ärgerten, aber eben ohne den Spieler dabei diskreditieren zu wollen, hielten dagegen und stellten mit zunehmendem Abstand zum Spiel ein Gleichgewicht zu den Pöblern her.
„Entweder zusammen als Team oder gar nicht – sucht es euch aus! Kittel ist einer von uns“, stellte die Fanseite Volksparkwatch (3600 Follower) auf Twitter klar.
Kittel noch ohne Saisontor beim HSV
Trotz dieses geglückten Versuchs, die Hasstiraden gegen Kittel einzudämmen, bleibt klar: Der 29-Jährige spaltet weiter die Fanszene. Befürworter appellieren immer wieder daran, dass er an guten Tagen den Unterschied ausmachen kann. Kritiker verweisen auf seine ausbaufähige Körpersprache und seine zweifelhafte Konstanz, in den entscheidenden Spielen abzutauchen.
Das Problem in dieser Saison ist, dass Kittel noch nicht den Unterschied ausgemacht hat. Seine Werte sind in Ordnung, auch gegen Kaiserslautern überzeugte er mit einer Passquote von 89 Prozent und der Torvorlage für Robert Glatzel zum 1:0 – Kittels vierter Assist in dieser Spielzeit. Ein eigener Treffer gelang ihm bislang allerdings noch nicht.
Nun auch noch der verschossene Elfmeter. Bereits der zweite in Folge, denn beim Pokal-Viertelfinale Anfang März gegen Karlsruhe scheiterte er ebenfalls vom Punkt. In der Liga war es jedoch – und das gehört eben auch zur Wahrheit – sein erster Fehlschuss im sechsten Versuch. Eine immer noch gute Bilanz.
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Kittel-Elfmeter beim HSV: Luthe wusste Bescheid
Glatzel räumte nach dem Spiel ein, dass er auch gern geschossen hätte. Da Walter aber keine Hierarchie unter den Schützen vorgibt, bedurfte es eines klärenden Gesprächs auf dem Platz. Und dabei setzte sich Kittel durch. Zur Freude Andreas Luthes, der bestens auf den Schützen vorbereitet war.
„Wenn du dir die Statistik von Kittel anguckst, siehst du, dass er in seiner Karriere oft hoch geschossen hat. Zwar genauer als diesmal, aber eben hoch. Deshalb bin ich etwas höher abgesprungen“, sagte Kaiserslauterns Torhüter über seine Parade im halbhohen Bereich.
Auch diese Worte dürften zu Kittels Ernüchterung beigetragen haben.