Hamburg. Bereits am Tag vorm Deadline-Day sind alle Transferentscheidungen abgearbeitet. Warum Sonny Kittel die Personalplanungen gut findet.
Tim Walter wollte seine ganze Mannschaft um sich haben. Kurz vor dem Trainingsbeginn rief der HSV-Coach am Mittwochmorgen seine Profis zu sich, stellte den gerade einmal 18 Jahre jungen Neuzugang William Mikelbrencis in großer Runde vor und bat sein Team um eine angemessene Begrüßung. Es folgten ein höflicher Applaus, ein paar nette Worte, ein paar Schulterklopfer – et c’est ça.
Transferschlussalltag. Der eine kommt, der andere geht. Oder im HSV-Fall: Die anderen gehen. Denn während der neue HSV-Franzose erstmals im Volkspark trainierte, absolvierte Mittelfeldmann Maximilian Rohr in Paderborn seinen Medizincheck, und in Kaiserslautern wurde sogar schon die Verpflichtung von HSV-Eigengewächs Aaron Opoku bekannt gegeben.
HSV News: Boldt kritisiert Wechselwunsch von Rohr
200.000 Euro erhalten die Hamburger für ihren selbst ausgebildeten Flügelflitzer, zudem diktierte man allerhand Klauseln in das umfangreiche Vertragswerk hinein. Eine Rückkaufoption soll der HSV jetzt genauso haben wie eine Weiterverkaufsbeteiligung in Höhe von 25 Prozent. Und Rohr? Wird für ein Jahr verlegt, mit einer Kaufoption für Paderborn – und mit ein paar deutlichen Worten aus Hamburg im Gepäck.
„Maxi ist mit dem Wunsch auf uns zugekommen, wechseln zu wollen. Das hat uns ein Stück weit gewundert. (...) Wir brauchen hier am Ende nur Jungs, die auch bereit sind, den Weg hier gemeinsam zu gehen“, ließ Sportvorstand Jonas Boldt in der offiziellen Pressemitteilung wissen.
Und während das deutliche Kommuniqué am späten Mittag verschickt wurde, stand Ersatzersatzersatztorhüter Marko Johansson auf dem Parkplatz im Volkspark mit einem großen, blauen Müllsack, in dem all sein Hab und Gut aus der Kabine verstaut war. Johansson ließ sich abholen – und zum VfL Bochum kutschieren. Dort soll der in Ungnade gefallene Schwede an diesem Donnerstag bis 18 Uhr einen Vertrag als dritter Keeper unterzeichnen.
Damit stand für Boldt bereits am Mittwoch fest: Während ganz Fußball-Deutschland einem hektischen Deadline-Day entgegenfiebert, kann der Sportvorstand in Hamburg, wo es eigentlich immer hektisch zugeht, ausnahmsweise die Ruhe selbst sein. Alle Verträge sind unterschrieben, alle Klauseln verhandelt, alle Transferhausaufgaben gemacht. In Sachen Stürmer heißt die neue Devise: Hier behält man auch nach dem Schluss der deutschen Transferfrist die Augen offen.
Schaut man sich Boldts kompletten Kader aber noch einmal ganz genau an, kommt man nach stressigen Tagen an der Transferfront zu einem etwas überraschenden Urteil: Der neue HSV ist im Prinzip der alte HSV. Zumindest fast. So dürfte mit Jean-Luc Dompé (27) in der Startelf, die am kommenden Sonnabend (20.30 Uhr/Sky und Sport1) den KSC schlagen und die Tabellenspitze erklimmen möchte, maximal ein Profi stehen, der nicht auch schon in der vergangenen Saison unter Vertrag stand. Und glaubt man einem, der fast am längsten beim HSV dabei ist, könnte genau das der größte Vorteil des HSV in diesem Jahr sein.
Kittel lobt Kontinuität beim HSV
„Für mich ist entscheidend, dass wir als Mannschaft zusammengeblieben sind“, sagt genau derjenige, der sonst nie etwas sagt. Sonny Kittel sitzt in einer Wohnung in Winterhude, wirkt entspannt und lässt es sich gutgehen. „Der große Teil des Kaders ist zusammengeblieben – das war in den vergangenen Jahren anders. Entscheidend ist auch, dass der Trainer der gleiche ist. Man muss sich nicht auf etwas Neues einstellen. Die Grundprinzipien sind klar“, sagt Kittel in seinem Transferfazit im Energy-Podcast „HSV, meine Frau“.
Kittel gibt keine Interviews. Eigentlich. Doch für das besondere Format – „ein Podcast von Fans für Fans“ – macht der umstrittene Regisseur in dieser Woche eine Ausnahme. Kittel spricht über Bakery Jattas Laufwege, über blindes Verständnis mit Stürmer Robert Glatzel und über die Harmonie im HSV-Mittelfeld mit Ludovit Reis und Jonas Meffert. „Wenn du der HSV in der Zweiten Liga bist, dann willst du jedes Spiel gewinnen“, sagt der 29 Jahre alte „Oldie“ des HSV.
Doch Kittel macht auch kein Geheimnis daraus, dass er nach der Enttäuschung zum Ende der vergangenen Saison, als der HSV unglücklich in der Relegation an Hertha BSC scheiterte, eigentlich gar nicht mehr mit dem HSV in der Zweiten Liga sein wollte. Er habe sehr ernsthaft über ein Angebot aus den USA nachgedacht, sagt er. Und natürlich habe auch er wahrgenommen, wie man ihm die Verantwortung für den erneuten Nichtaufstieg zuschob.
„Man bekommt mit, wie auf ein oder zwei Personen rumgehackt wird. Ich bin ja auch nur ein Mensch“, sagt Kittel, der nach schwachen Spielen schnell mal in die Schlagzeilen geriet. „Das hat mich schon sehr beschäftigt. Ich bin sehr emotional. Ich habe mir da sehr viele Gedanken gemacht“, sagt er – und gibt zu: „Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich das nicht mitbekomme.“
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Kittel ist sensibel, aber auch gereift. „Ich bin mein größter Kritiker“, sagt er. „Ich stehe in der Verantwortung – und ich will auch in der Verantwortung stehen.“ Mittlerweile könne er sich sogar wieder vorstellen, seinen im kommenden Sommer auslaufenden Vertrag zu verlängern. Am liebsten natürlich nach dem Aufstieg mit dem HSV in die Bundesliga. „Der HSV ist schon etwas Besonderes“, sagt er.
HSV News: Sonny Kittel hat auch Manager-Talent
Sollte das große Ziel tatsächlich erreicht werden, dürfte im kommenden Sommer nicht nur Jonas Boldt eine arbeitsreiche Transferphase bevorstehen. Auch Sonny Kittel übt sich bereits als virtueller Kaderplaner: beim Online-Managerspiel „Kickbase“, wo er sich mit HSV-Kumpel Tim Leibold duelliert. In der vergangenen Saison sei seine Mannschaft mit Koryphäen wie Serge Gnabry, Leroy Sané und Nico Schlotterbeck Erster geworden. Nun würde Leibold vorne liegen. Das, da ist sich Kittel im Podcast sicher, soll sich aber schon sehr zeitnah ändern.