Hamburg. Der Hamburger SV ist reif für die Champions League, allerdings nur in Sachen Social Media. Über die Kommunikation im Netz.

Lars Wegener macht kein großes Geheimnis daraus, mit wem er abends in die Federn steigt. „Als Social-Media-Manager geht man mit Social Media ins Bett und wacht mit Social Media auf“, sagt der stellvertretende Leiter Kommunikation und Medien beim HSV, der – das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden – trotz seiner Bettgewohnheiten ein glücklicher Familienvater ist.

Wegener ist aber auch ein sehr glücklicher Redaktionsleiter für sämtliche sozialen Medien beim HSV. Denn tatsächlich ist sein Arbeitgeber – mit Ausnahme der schier übermächtigen Konkurrenz aus England – im europäischen Zweitligavergleich im Social-Media-Bereich absolute Spitze. Das wird besonders bei der aktuellen Erhebung durch die Agentur Result Sports deutlich (siehe große Statistik).

HSV News: Verein hat drei Millionen Follower

So hat der HSV mit insgesamt drei Millionen Followern auf den verschiedenen Kanälen nicht nur mit Abstand die meisten virtuellen Zweitliga-Fans in Deutschland, sondern schlägt auch jeden spanischen, italienischen oder französischen Zweitligaclub. Mehr noch: Rechnet man die Follower zusammen, würde der HSV sogar in der Ersten Bundesliga einen einstelligen Tabellenplatz im Umfeld von Werder und Köln einnehmen. Bleibt die Frage: Warum ist das überhaupt wichtig?

„Eine durchdachte Digitalstrategie ist für die Clubs mittlerweile essenziell“, sagt Digitalexperte Mario Leo, der sich seit 2010 intensiv mit den sozialen Medien beschäftigt. „Längst ist Social Media eine sehr relevante Einnahmequelle für die Clubs. Aber es ist auch eine Dialogmöglichkeit, um möglichst direkt mit den eigenen Anhängern in Kontakt zu treten.“

„Der HSV hat Social Media als Chance früh erkannt"

Leo weiß, wovon er spricht. Der Chef der Agentur Result Sports arbeitet mit mehr als 100 Sportorganisationen zusammen. Er berät die Uefa, 22 Nationalverbände, große internationale Clubs wie Manchester City, Juventus Turin, AS Rom oder Borussia Dortmund, aber auch vermeintlich kleinere nationale Kunden wie Hannover 96 und den VfB Stuttgart. „Wenn man Social Media bewusst und richtig einsetzt, kann man als Club davon extrem profitieren“, sagt Leo. „Finanziell, aber auch bei der Markenbildung.“

Auf den ersten Blick wild, auf den zweiten Blick eindrucksvoll: International hat kein Zweitligist außerhalb Englands mehr Follower als der HSV.
Auf den ersten Blick wild, auf den zweiten Blick eindrucksvoll: International hat kein Zweitligist außerhalb Englands mehr Follower als der HSV. © Result Sports

Leo und Wegener kennen sich gut. Vor zehn Jahren lernten sie sich auf einer Social-Media-Konferenz kennen, später beriet Leo auch Ex-HSV-Trainer Christian Titz. „Der HSV hat Social Media als Chance sehr früh erkannt, eine eigene Strategie entwickelt“, lobt Leo, sagt aber auch: „Natürlich könnte der HSV sogar noch mehr machen. Ich würde vor allem versuchen, mich auf meinen Plattformen unabhängiger von Ergebnissen zu machen.“

Fans sollen durch soziale Medien gebunden werden

Genau das will auch Wegener weiter forcieren. „Es geht uns darum, Nähe und Emotionen zu transportieren und unsere Fans zu binden“, sagt der 47-Jährige. „Diese Faktoren lassen sich nicht durch harte Zahlen messen, sind aber sehr wichtig.“ Doch neben diesen weichen Faktoren gibt es auch harte Faktoren, die für den Aufwand sprechen, den der HSV mit zwei fest angestellten Social-Media-Akteuren und einem Volontär digital betreibt.

„Durch Partnereinbindungen lassen sich ganz konkret Einnahmen für den HSV generieren“, sagt Wegener – und nennt als Beispiele die Zusammenarbeit mit der Telekom, die die sogenannte „Warm-up-Show“ auf YouTube und Facebook präsentiert, oder das YouTube-Format „Ein Kaffee mit ...“ für HSV-Sponsor Campus Suite.

HSV-Spieler sehen soziale Medien teilweise kritisch

Kurioserweise verrät Flügelflitzer Filip Bilbija in der neuesten „Kaffee“-Ausgabe, dass er sämtlichen sozialen Medien aus Überzeugung abgeschworen hat. „Ich habe gemerkt, dass ich viel zu viel Zeit dafür verwende, was andere machen, anstatt mich auf mich selbst zu konzentrieren“, sagt er. Ähnlich sieht es offenbar auch Wunschneuzugang William Mikelbrencis, der lediglich auf Instagram 4181 Follower hat. Bereits an diesem Mittwoch dürfte der Franzose seine Anhänger mit frischen HSV-Bildern versorgen, nachdem er am Dienstag den Medizincheck absolvierte und nach Vertragsunterschrift an diesem Vormittag mittrainieren soll.

Wenig-Nutzer Mikelbrencis und Gar-nicht-Nutzer Bilbija sind die Ausnahmen beim HSV. Digitaler Spitzenreiter ist Neuzugang Jean-Luc Dompé, der knapp 70.000 Follower bei Instagram (27.663), Facebook (35.331) und Twitter (5130) hat. Es folgen Ludovit Reis (62.763 Follower), Xavier Amaechi (54.225) und Publikumsliebling Bakery Jatta (48.656). Und Trainer Tim Walter? Hat null Follower. „Das ist nichts für mich“, sagt der Coach.

„Der HSV hat noch großes Potenzial“

Menschlich sehr nachvollziehbar – aus professioneller Sicht dagegen bedauernswert. „Der HSV hat noch großes Potenzial“, sagt Mario Leo, dessen Buch „Kaufen Sie Ronaldo!“ zeigt, warum Likes und Follower die neue Währung im Profifußball sind. Ein Beispiel: Der AS Rom habe es geschafft,14 Partner aus unterschiedlichen Ländern die Startelf in 14 Sprachen digital präsentieren zu lassen. Pro Aufstellung kassieren die Römer 5000 Euro, insgesamt also 70.000 Euro für einen simplen Tweet über die erste Elf. Für den HSV ist das noch ein weiter Weg. Immerhin: „Wir arbeiten mit einem Native Speaker zusammen, um einige Kanäle auch auf Englisch zu bespielen“, sagt Wegener.

„Das macht für uns Sinn und hilft dabei, die Marke HSV auch international bekannter zu machen.“ Dabei haben die Hamburger einen echten Standortnachteil im Vergleich zu den englischen Zweitligaclubs. Denn während alle Clubs der 2., 3. und 4. Liga auf der Insel zentral vermarktet werden, gibt es in Deutschland von der DFL für die 2. Liga nicht einmal einen gemeinsamen Instagram-Kanal. „Die Clubs hier sind auf sich alleine gestellt“, sagt auch Mario Leo.

Wachstumsraten nehmen ständig zu

Umso erstaunlicher, dass die Wachstumsraten beim HSV ständig zunehmen. Die aktuellen Topseller: Facebook (787.000 Follower), Twitter (749.000), Instagram (426.000), TikTok (314.000) und YouTube (91.100). „Die größten Zuwächse haben wir bei Instagram, YouTube und TikTok. Die anderen Plattformen bleiben aber weiterhin wichtig“, sagt Wegener, der aber erst kürzlich den Fluch der guten Tat zu spüren bekam.

Ein Social-Media-Manager ging vom HSV zur DFL, ein anderer wechselte gerade erst in die Medienabteilung von Bayern München. Dort darf er künftig dann wirklich über Champions League twittern, posten und liken.