Hamburg. An diesem Freitag dürfte sich der Streit in der HSV-Führung entscheiden. Mehrere Vorgänge setzen den Aufsichtsrat massiv unter Druck.

Die Pressekonferenz mit Tim Walter war gerade vorbei, als sich am Donnerstagnachmittag die Ereignisse überschlugen. Der HSV-Trainer sprach zuvor über das Spiel am Sonnabend (13 Uhr/Sky) bei Absteiger Arminia Bielefeld („Es wird sehr schwer“), über Rückkehrer Bakery Jatta („Wir brauchen noch Geduld“), Bankdrücker Tim Leibold („Ihm fehlt aktuell der Punch“) und Torjäger Robert Glatzel („Wir haben den besten Stürmer“).

Doch all diese Worte interessierten kaum noch jemanden, als Klaus-Michael Kühne um 14.46 Uhr eine Pressemeldung verschickte. Betreff: „HSV Fußball AG – Kühne Holding AG bietet finanzielle Unterstützung von 120 Millionen Euro an.“ Oder mit anderen Worten: Rummmms!

Einen Tag vor der Aufsichtsratssitzung beim HSV geht der Investor in die Offensive. Mit einem Zehn-Punkte-Programm zur Sanierung des Hamburger Zweitligisten bietet Kühne dem HSV eine Megahilfe an – stellt aber gleichzeitig auch knallharte Bedingungen. In Kurzform: Kühne will das Volksparkstadion für zehn Jahre in „Uwe-Seeler-Stadion“ umbenennen und dem Club dafür jährlich drei bis vier Millionen Euro zahlen (Gesamtvolumen 30 bis 40 Millionen Euro). Er will seine Anteile an der HSV Fußball AG von aktuell 15,21 Prozent auf 39,9 Prozent erhöhen und dem Club dafür Kapital in Höhe von 60 bis 80 Millionen Euro zuführen. Er will den Vorstand und den Aufsichtsrat neu besetzen, den HSV weiter entschulden, die Sanierung des Stadions sichern und für sportlichen Erfolg sorgen.

HSV von Kühnes Angebot überrumpelt

Im Volkspark sorgte der 85-Jährige mit diesem Vorstoß für einen echten Knall. Ein Big Bang, von dem am Nachmittag alle Verantwortlichen des HSV überrumpelt wurden. Die Ereignisse auf der Geschäftsstelle hatten sich vor der Aufsichtsratssitzung bereits von Tag zu Tag zugespitzt. Dabei ging es vor allem um den Machtkampf zwischen den Vorständen Jonas Boldt und Thomas Wüstefeld, der an diesem Freitag zu einer Entscheidung führen dürfte.

Wüstefeld, der von Freitag bis Dienstag zu seiner Familie nach Portugal geflogen war, um sich in Lissabon und im Strandvorort Cascais abzulenken, steht einmal mehr im Fokus. Kühne hatte schon vor einer Woche im Abendblatt mitteilen lassen, er hoffe, dass „Wüstefeld beim HSV bald Geschichte ist“. Mit seinem Zehn-Punkte-Plan erhöht Kühne nun am Tag vor der Sitzung den Druck auf den Aufsichtsrat.

Stadionsanierung: Wüstefeld will HSV-Aufsichtsrat Dreisäulenmodell präsentieren

Kommt es also auf der hybriden Aufsichtsratssitzung ab 18 Uhr zum nächsten Knall? Es wird um Misstrauensanträge gehen, um juristische Auseinandersetzungen, um Geld, viel Geld, Interessenkonflikte und um die Frage, wie dieser HSV überhaupt noch zu führen ist. Aber schön der Reihe nach: Bereits in der vergangenen Woche hatte Wüstefeld angekündigt, bis zu diesem Freitag eine Finanzierung für die dringend benötigte Sanierung des Volksparkstadions perfekt zu machen. Für den Vorstand soll es eine Art Befreiungsschlag werden.

Nach Abendblatt-Informationen handelt es sich dabei um ein Dreisäulenmodell, das der 53-Jährige den Kontrolleuren vorstellen will. In Stufe eins geht es um 22 Millionen Euro, die Wüstefeld in einer Fremdfinanzierung aufnehmen will. Die genauen Modalitäten sind noch streng geheim. Interessant: Bis zuletzt versuchte Wüstefeld fieberhaft, auch Bürgen für sein Finanzierungsmodell zu finden. Noch am Donnerstag hatte er mehrere Gespräche.

Stadt lässt HSV-Vorstand Wüstefeld abblitzen

Wie das Abendblatt berichtete, steht Investor Detlef Dinsel, der seit Kurzem selbst Mitglied im AG-Aufsichtsrat ist, grundsätzlich bereit. Bei der Stadt Hamburg, die Wüstefeld erneut ins Boot holen wollte, wird der Vorstand erneut abblitzen. „Der Ball liegt weiter im Spielfeld des HSV“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dem Abendblatt. Obwohl Wüstefeld bereits vor zwei Wochen intern verkündet hatte, dass er in Gesprächen mit der Stadt sei, gab es nach Abendblatt-Informationen zu dem Zeitpunkt keine konkrete Anfrage.

Mindestens genauso sehr dürfte sich aber der Aufsichtsrat für den Streit zwischen Wüstefeld und Kühne interessieren, den der HSV-Vorstand kurz vor seinem Urlaub selbst öffentlich gemacht hat und der auch der Grund sein dürfte, warum Kühne jetzt in die Offensive ging. Wüste­feld bemängelte, dass die Kühne Holding und Ex-Vorstand Frank Wettstein ihm beim Anteilskauf im vergangenen Herbst nicht alle notwendigen Dokumente im Rahmen einer Due Diligence zur Verfügung gestellt hätten und dass er deswegen nun mit der Kühne Holding in intensiven Gesprächen sei.

Richtig ist aber vielmehr, dass mittlerweile nur noch die Anwälte in sehr intensiven Gesprächen sind. „Wir wollen noch immer alles außergerichtlich lösen“, bekräftigt Wüstefeld zwar.

Wüstefeld wirft Kühne-Mann Gernandt „arglistige Täuschung“ vor

Eine einvernehmliche Lösung ist allerdings nicht in Sicht – im Gegenteil. Nach Abendblatt-Informationen hat Wüstefelds Anwalt nun sogar Karl Gernandt, den Vorsitzenden der Kühne Holding, der früher selbst HSV-Aufsichtsratschef war, der „arglistigen Täuschung“ beschuldigt und gedroht, den Gerichtsweg zu bestreiten.

Besonders pikant: Gernandt und Wüstefeld wurde noch bis vor Kurzem ein fast freundschaftliches Verhältnis nachgesagt. Erst als Gernandt im Zusammenhang mit dem Anteilsdeal Wüstefeld mehrfach Zahlungsaufforderungen schickte, die dieser nicht bediente, kam es zum Bruch.

Wüstefeld soll Kaufverpflichtung nicht nachgekommen sein

Der Hintergrund: Wie das Abendblatt berichtete, hatte sich Wüstefeld vertraglich verpflichtet, über die 5,11 Prozent für 14,2 Millionen hinaus noch weitere Anteile von der Kühne Holding zu erwerben. In der Niederschrift der Ordentlichen Hauptversammlung vom 30. November 2021, die dem Abendblatt vorliegt, heißt es hierzu in Top 9 sehr formal: „Der Vorstand und der Aufsichtsrat schlagen vor, dass der Übertragung von 236.336 + Option max. 236.336 (total max. 472.672) Aktien an der HSV Fußball AG, Hamburg, im Nennbetrag von je EUR 1,00 pro Aktie (Gesamtnennbetrag EUR 236.336,00 + Option max. EUR 236.336,00 (total max. EUR 472.672,00) von der Kühne Holding AG, Schindellegi (Schweiz), auf die CaLeJo GmbH, Hamburg, zugestimmt wird.“

Im Klartext: Es handelt sich um eine sogenannte Put-Option des Verkäufers. Dies ist eine Kaufverpflichtung, der Wüstefeld bis heute nicht nachgekommen sein soll – und der er offenbar auch nicht nachkommen will. Mehr noch: Wüstefeld erwägt sogar, den gesamten Anteilskauf rückabzuwickeln.

Auf die Abendblatt-Frage, ob er eine juristische Auseinandersetzung mit Wüste­feld bestätigen könnte, antwortete Karl Gernandt schriftlich: „Die Kühne Holding AG bestätigt die von der CaLeJo GmbH initiierte juristische Auseinandersetzung. Wir können die auch öffentlich aufgestellten Behauptungen im Zusammenhang mit dem im letzten Jahr abgeschlossenen und in der Hauptversammlung der HSV AG genehmigten Aktienkaufvertrag in keiner Weise nachvollziehen und werden uns weiterhin vertragsgemäß verhalten, fordern dies allerdings auch von allen übrigen Beteiligten ein.“

Hierbei dürfte Gernandt auf Wüstefelds öffentliche Medienrunde anspielen, wodurch der HSV-Vorstand und Anteilseigner in Personalunion eine vertragliche Verschwiegenheitsklausel gebrochen haben soll. Doch Gernandt geht noch weiter: „Insbesondere Vorwürfe der arglistigen Täuschung können wir aus unserer Perspektive in keiner Weise erkennen, die kommunizierten Vorwürfe sind unseres Erachtens nach nicht nachvollziehbar.“

Wüstefeld begleitet Untersuchungsausschuss gegen Boldt und Wettstein

Nicht nachvollziehbar ist beim HSV so einiges. Etwa auch der interne Untersuchungsausschuss, den die beiden Kontrolleure Detlef Dinsel und Andreas Peters vor einer Woche im Zusammenhang mit Wüstefelds Vorwürfen, dass die 23,5 Millionen Euro der Stadt plötzlich nicht mehr da waren, initiierten. Operativ begleitet wird dieser Ausschuss, der die Rolle der damaligen Vorstände Frank Wettstein und Jonas Boldt untersucht, neben HSV-Jurist Philipp Winter auch von Wüstefeld – „weil ich da ja eine neutrale Person bin“.

Welche Ungereimtheiten dieser interne Untersuchungsausschuss tatsächlich findet, wird man erst in einigen Wochen erfahren. Nach Abendblatt-Informationen soll die Untersuchung 100.000 Euro verschlingen. Dabei bleibt die zentrale Frage, welchen konkreten Prüfungsauftrag die Kanzlei Latham & Watkins eigentlich hat. Eine schriftliche Nachfrage an die Kanzlei blieb unbeantwortet. Auch die naheliegende Nachfrage, welche Schritte eigentlich der Aufsichtsrat – also das Kontrollorgan der HSV Fußball AG – zuvor zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, bleibt offen. Chefkontrolleur Marcell Jansen wollte sich auf Nachfrage nicht öffentlich äußern.

Dinsel-Vorschlag sorgt beim HSV für große Unruhe

Dass innerhalb des Aufsichtsrats Neu-Kontrolleur Dinsel das Prozedere leitet und die Kanzlei Latham & Watkins vorgeschlagen haben soll, hat nach Abendblatt-Informationen innerhalb des HSV für große Unruhe gesorgt. Ein Hintergrund: Dinsels Unternehmen IK Partners ist eng verbandelt mit der Kanzlei, lässt sich regelmäßig bei Akquisitionsfinanzierungen oder der Finanzierung von Portfoliounternehmen beraten. Und nun also der HSV.

Doch wie soll es überhaupt noch weitergehen im Volkspark? Dem Vernehmen nach hat Aufsichtsrat Hans-Walter Peters hierzu eine sehr eindeutige Meinung. Demnach will der Banker bereits auf der heutigen Sitzung offenbar einen Abwahlantrag gegen Wüstefeld einreichen. Ob er damit durchkommt, ist aber genauso offen wie der Ausgang des Versuchs der Gegenseite um Chefkontrolleur Jansen. Die soll wiederum einen Misstrauensantrag gegen Peters an diesem Freitagabend zur Abstimmung eingebracht haben. Der Hauptvorwurf der Kontrolleure: Peters soll eine zu große Nähe zu Wüstefelds Vorstandsrivale Boldt haben.

Dieser soll an diesem Freitag ganz nebenbei die sportlichen Planungen vorstellen, damit der Aufsichtsrat darüber abstimmen kann, ob der HSV in dieser Transferperiode noch einmal investieren kann. In der Theorie braucht Boldt die Zustimmung der Räte, um in der kommenden Woche Wunschverstärkung Jean-Luc Dompé (26) zu verpflichten. In der Praxis droht aber der nächste große Knall.