Hamburg. Wüstefeld legt Einspruch gegen eine zentrale Boldt-Entscheidung ein. Und der HSV-Aufsichtsrat? Ist voller Interessenkonflikte.
Wer es am frühen Mittwoch nicht mit eigenen Augen gesehen hat, der konnte wahrscheinlich gar nicht glauben, was sich da beim HSV im Volkspark tat. Es wurde – Trommelwirbel – Fußball gespielt. 10.30 Uhr, Training. Es wurde gescherzt, der rote Eiswagen kam, Autogramme wurden gegeben. Zusammengefasst: Es war ein ganz normaler Trainingstag in den Hamburger Sommerferien.
Besonders ist das vor allem deswegen, weil „ganz normal“ beim HSV schon lange nichts mehr ist. Spätestens nach dem medialen Rundumschlag von Thomas Wüstefeld, der am Vortag in einer Presserunde schwere Vorwürfe gegen seinen Vorgänger Frank Wettstein und Anteilseigner Klaus-Michael Kühne erhoben hatte, hat der HSV zumindest eines geschafft: der Club ist wieder bundesweit Gesprächsthema.
Kuriose HSV-Berichterstattung über Wüstefeld
Die „Süddeutsche Zeitung“ widmete den Streitigkeiten in der Mittwochausgabe eine Dreiviertelseite, die „Sport Bild“ titelte „So zerrissen ist der HSV“ und gönnte dem Thema drei Seiten. Es wurde in der „Zeit“ berichtet, in der „Augsburger Allgemeinen“, in der „Passauer Neuen Presse“, in der „Lampertheimer Zeitung“, in der „Oberhessischen Zeitung“, in der „Main Spitze“, in der „SHZ“ und sogar im Schweizer „Blick“.
Besonders kurios – fast schon amüsant – war aber die Überschrift, die viele Zeitungen von der Nachrichtenagentur dpa übernahmen: „HSV-Boss Wüstefeld: Kein Zerwürfnis mit Boldt“.
Wüstefeld verhindert Boldt-Direktor beim HSV
Lustig ist das zum einen deswegen, weil Wüstefeld gar kein Boss ist, sondern den HSV-Vorstand gemeinsam mit Boldt führt. Und zum anderen, weil das Zerwürfnis mit jenem Boldt seit Monaten groß ist – und aktuell nicht größer sein könnte. Und obwohl Aufsichtsratschef Marcell Jansen noch immer keine Einladung für die nächste Aufsichtsratssitzung, die in der kommenden Woche (ursprünglich am 12. August) geplant war, verschickt hat, passt nur noch ein Motto zu dieser HSV-Führung: Es kann nur einen geben!
Wer ein Beispiel für die unterschiedlichen Sichtweisen der beiden Vorstände will, muss nur das Protokoll der letzten Aufsichtsratssitzung vor ein paar Wochen lesen. Dort mussten die Kontrolleure über Boldts Wunsch, nach dem Aus von Sportdirektor Michael Mutzel einen neuen Technischen Direktor einzustellen, abstimmen. Nach Abendblatt-Informationen hatte Boldt bereits finale Gespräche mit Sascha Lense geführt, der eine extrem spannende Vita vorzeigen kann. Der 46-Jährige hat bei Dynamo Dresden, RB Leipzig und Schalke 04 als Sportpsychologe gearbeitet und war zuletzt Teil von Ralf Rangnicks Trainerteam bei Manchester United.
Weil Wüstefeld allerdings ein Veto gegen die Boldt-Personalie einlegte, musste der Aufsichtsrat entscheiden. Dieser schloss sich nach Überprüfung der Kosten – Lense sollte 15.000 Euro im Monat verdienen – dem Veto Wüstefelds an. Unter dem Strich blieb hängen, dass sich Boldt und Wüstefeld nicht einigen konnten – und dies nicht zum ersten Mal.
Walter zum Rapport in Wüstefelds Büro
So hat Boldt seit Monaten mehrfach öffentlich betont, rund um den Saisonstart den auslaufenden Vertrag von Trainer Walter verlängern zu wollen. Passiert ist aber nichts. Nach Abendblatt-Informationen auch deswegen nicht, weil Wüstefeld eher abwarten will, wie valide der Walter-Weg beim HSV ist. Als der Trainer den Vorstand in der vergangenen Woche dann auch noch im Kabinentrakt anschrie, soll Wüstefeld endgültig von einer zeitnahen Walter-Verlängerung abgerückt sein. Zudem musste Walter am nächsten Tag zum Rapport in Wüstefelds Büro.
Beispiel Nummer drei: der Vagnoman-Verkauf. Dieser zog sich über Wochen wie ein Kaugummi hin. Und als der VfB Stuttgart am 9. Juli schließlich stolz den Neuzugang präsentierte, ist von den ursprünglich geforderten sieben Millionen Euro für die Ablöse wenig übrig geblieben. Ein möglicher Hintergrund: Weil Boldt und VfB-Sportdirektor Sven Mislintat sich über Wochen nicht einigen konnten, ist Wüstefeld eingeschritten – und suchte den Kontakt zu Stuttgart-Vorstand Alexander Wehrle. Das Ende vom Lied: Der VfB zahlte 3,7 Millionen Euro fix, 800.000 Euro Boni könnten noch fließen.
„Ich halte mich aus dem Sport raus“, sagte Wüstefeld nun erneut am Dienstagmorgen – und löste bei Vorstandskollege Boldt gesteigertes Stirnrunzeln aus.
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Interessenkonflikte im HSV-Aufsichtsrat
Doch der Vorstandsstreit ist längst auf den Aufsichtsrat übergeschwappt. Dort geht es seit Tagen nur noch darum, welche Mehrheit sich für welchen Vorstand findet. Das größte Problem bei einer besten Lösung im Sinne des HSV: Durch zahlreichen Interessenkonflikte der Verantwortlichen spielt dieser HSV schon lange keine Rolle mehr. Interessenkonflikt Nummer eins: Innerhalb des Aufsichtsrats müssen mit Markus Frömming, dem Interessenvertreter der Kühne Holding, und Detlef Dinsel, der gerne Anteile erwerben würde, möglicherweise schon bald zwei Kontrolleure über einen neue Vorstandskonstellation entscheiden, die gleichzeitig mit einem der beiden Vorstände Geschäfte machen.
Denn Wüstefeld, Dinsel und Frömming (für die Kühne Holding) wollten ursprünglich ein Dreierbündnis als Gesellschafter bilden. Dass dabei Frömming, den Wüstefeld öffentlich beschuldigt hat, ihm im Rahmen der Due Diligence nicht alle Dokumente zur Verfügung gestellt zu haben, sich intern gegen Wüstefeld stellt, dürfte wenig überraschen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Dinsel, der als Gesellschafter ebenfalls mit Wüstefeld verbandelt ist, sich für diesen ausspricht.
Wüstefeld und Dinsel vereint auch Interessenkonflikt Nummer zwei: Denn Dinsel ist nur deshalb im Aufsichtsrat, weil Wüstefeld aus eben jenem als Interimsvorstand entsandt wurde. Sollte dieses Mandat nun vorzeitig wieder aufgelöst werden, müsste erst einmal geklärt werden, was das für die Besetzung des aktuellen Aufsichtsrats bedeuten würde.
Wüstefelds Interessenkonflikt mit dem HSV
Der offensichtliche Interessenkonflikt wurde aber am Dienstag in Wüstefelds Medienrunde deutlich. Dort sprach der 53-Jährige als Vorstand der HSV AG, verteidigte dabei aber immer wieder die Interessen seiner Calejo GmbH, die 5,07 Prozent der AG-Anteile hält. Als HSV-Vorstand sollte Wüstefeld ein Interesse daran haben, dass die HSV Fußball AG bestmöglich dargestellt wird. Als Anteilseigner hat er in seinem Streit mit der Kühne Holding, dass seine Anteile zu teuer gewesen seien, nun genau das gegenteilige Interesse.
„Die Frage ist, wo der Interessenkonflikt ist“, sagte Wüstefeld am Dienstag. „Die Antwort ist: Je dramatischer die Lage des HSV, desto günstiger werden seine Anteile in einer eventuellen Neuverhandlung“, erwiderte das Abendblatt. Wüstefelds Replik: „Das ist erst einmal zweitrangig.“
Diesen „zweitrangigen“ Interessenkonflikt hat Wüstefeld aber nicht exklusiv. Denn für Dinsel, der noch immer Anteile – im besten Fall zu einem günstigen Kurs – von der Kühne Holding erwerben will, gilt natürlich das Gleiche. Mehr noch: Dinsel ist grundsätzlich bereit, als Bürge für Wüstefelds Fremdfinanzierung für die Stadionsanierung aufzutreten. Dass er sich also im Vorstandsstreit gegen Wüstefeld ausspricht, ist kaum zu glauben.
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HSV-Machtkampf – und Jansen?
Wer übrigens die Stichwörter „Wüstefeld“, „Interessenkonflikt“ und „HSV“ googelt, der stößt schnell auf einen Abendblatt-Artikel aus dem Februar. Dort geht es vor allem um die Geschäftsbeziehung von Wüstefeld und Aufsichtsratschef Marcell Jansen, die die beiden schon vor Wüstefelds HSV-Engagement pflegten. Jansen kümmerte sich um den Vertrieb von Wüstefelds SanaGroup – Wüstefeld spendete für Jansens gemeinnützigen Verein HygieneCircle. Und eben jener Jansen muss nun das Zerwürfnis im Vorstand regeln.
Als das Abendblatt Wüstefeld dann im Dezember nach seinen Top drei von HSV-Aufsichtsratschefs aller Zeiten fragte, antwortete der: „Erstens Marcell Jansen, zweitens Marcell Jansen und drittens Marcell Jansen.“