Bayreuth. Nach Walters „schlechtesten ersten Halbzeit“ gewinnt der HSV im Pokal. Die Systemumstellung fruchtet, muss Benes jetzt raus?

Kurz bevor auch der letzte HSV-Profi am späten Sonnabend im vor dem Hans-Walter-Wild-Stadion wartenden Mannschaftsbus verschwunden war, sprach HSV-Kapitän Sebastian Schonlau das aus, was wahrscheinlich alle Hamburger dachten: „So eine Fahrt kannst du nur durchstehen, wenn du gewinnst.“

Schonlau lachte, eilte zum Bus und durfte sich auf die knapp 600 Kilometer lange Rückfahrt nach Hamburg freuen. Denn: Er und der HSV hatten gewonnen. Knapp, glücklich – aber nach 120 sehr unterschiedlichen Minuten gegen die Spielvereinigung Oberfranken Bayreuth aus der Dritten Liga dann doch auch verdient mit 3:1.

Walter kritisiert HSV-Profis

„Bayreuth hat es einfach sehr, sehr gut gemacht“, lobte HSV-Trainer Tim Walter vor der siebenstündigen Rückfahrt anerkennend den Drittligaaufsteiger – und sprach dann umgehend über seine eigene Mannschaft Klartext: „Wir haben es in der ersten Halbzeit einfach nicht hinbekommen. Das war die schlechteste Leistung seit ich beim HSV bin.“

Seine Spieler hätten eine Art Handball um den Bayreuther Strafraum herumgespielt und wären folgerichtig mit dem 0:1 nach 45 schwachen Minuten bestraft worden.

In der Halbzeit, in der Walter nach eigenen Worten sehr deutlich wurde, durfte sich der HSV-Trainer dann aber darüber freuen, dass ein Fußballspiel nicht 45 Minuten, sondern 90 Minuten dauert. Oder eben manchmal sogar 120 Minuten.

Heuer Fernandes knöpft sich Vorderleute vor

„Eigentlich wussten wir ja, was auf uns zu kam. Die Stimmung war top und man konnte die Bratwurst auf dem Rasen riechen. Das ist Pokal“, sagte Torhüter Daniel Fernandes, der nach Luke Hemmerichs Tor zum 0:1 (16.) sogar einen noch größeren Rückstand in der Pause verhinderte. „Trotzdem war es für mich nicht erklärbar, dass wir in der ersten Halbzeit so schlecht Fußball spielten.“

HSV-Kollege Jonas Meffert wurde das erst in der Pause deutlich. „Auf dem Platz kam mir das erst gar nicht so schlecht vor“, sagte der Mittelfeldmann. „Aber der Trainer war sehr unzufrieden und hat uns das in der Halbzeitpause auch gesagt.“

HSV-Torhüter Daniel Heuer Fernandes ist unzufrieden über die Spielweise seiner Vorderleute.
HSV-Torhüter Daniel Heuer Fernandes ist unzufrieden über die Spielweise seiner Vorderleute. © Imago / Kirchner-Media

Walters Systemumstellung fruchtet

Doch nicht nur Walters Worte, sondern auch seine taktische Umstellung auf ein 4-4-2-System mit zwei Stürmern und vor allem seine zwei Wechsel nach nur 45 Minuten wirkten. Die beiden schwachen Neuzugänge Laszlo Benes (sehr enttäuschend) und Filip Bilbija (bisschen enttäuschend) mussten raus, Ogechika Heil und der (zuletzt ebenfalls enttäuschende Neuzugang Nummer drei) Ransford Königsdörffer durften rein.

Und besonders „Königstransfer“ Königsdörffer, der für viel frischen Wind sorgte und doppelt traf, durfte sich nach dem Spiel wie ein echter König fühlen. „Ich bin richtig froh, dass ich meine ersten beiden Tore für den HSV geschossen habe“, sagte der frühere Dresdner direkt nach dem Schlusspfiff. „Ich habe ja im Doppelsturm mit Robert Glatzel vorne gespielt, das hat richtig Spaß gemacht. Jetzt bin ich einfach glücklich.“

Zumindest ein wenig glücklich dürfte auch Sportvorstand Jonas Boldt gewesen sein, der nur zu gut wusste, dass nach der 0:1-Heimniederlage gegen Rostock ein Ausscheiden im DFB-Pokal auch für ihn und Trainer Walter in der aktuellen Gemengelage sehr ungemütlich hätte werden können. „Das ist mir völlig egal“, relativierte Walter nach dem Spiel. „Ich weiß, was Druck bedeutet.“

HSV: Nimmt Walter jetzt Benes raus?

Im Spiel konnte der HSV diesen in der zweiten Halbzeit mit zunehmender Spieldauer immer mehr aufbauen. Erst traf Königsdörffer nur die Latte (57.), dann nach schöner Vorlage des ebenfalls eingewechselten Maximilian Rohr aber doch noch ins Tor (83.). „Ransi hat es richtig gut gemacht, als er reingekommen ist“, lobte Walter, der sich vor allem freute, dass der mit 1,2 Millionen Euro fünftteuerste Zweitligatransfer dieser Saison auf seine erstmalige Verbannung auf die Bank genau richtig reagiert habe.

Ähnliches dürfte sich Walter auch vom teuersten Zweitliganeuzugang der Saison schon in der kommenden Woche erhoffen. Denn Mittelfeldmann Benes, den die Hamburger für 1,5 Millionen Euro aus Gladbach holten, enttäuschte auch in seinem dritten Spiel für den HSV – und dürfte sich am kommenden Sonnabend gegen Heidenheim möglicherweise mit einem Bankplatz begnügen.

„Wir haben kein Tempo auf den Ball bekommen, kamen nicht zwischen die Linien. Die Achter haben sich immer abkippen lassen, dabei haben wir das noch nie gemacht“, kritisierte Walter – und dürfte dabei vor allem den schwachen Benes gemeint haben. Ein weiteres Problem, das Walter ausgemacht hat: „Ich habe schon öfters erwähnt, dass uns Eins-gegen-eins-Spieler fehlen“, sagte der Coach – und hinterlegte seinen Transferwunsch für einen weiteren Flügelspieler an die Chefetage ein weiteres Mal öffentlich: „Es wäre schon schön, wenn wir da noch etwas hinzubekommen.“

HSV freut sich über Pokalprämie

Immerhin: Dank des Sieges in Bayreuth wird in die leere HSV-Kasse auch die Pokalprämie von 418.494 Euro für das Erreichen der Zweiten Runde hinzukommen. „Jetzt fahren wir gemütlich nach Hause und legen im Bus erst einmal die Beine hoch“, sagte noch Schonlau, als er dann endgültig los musste. „In der ersten Pokalrunde trifft es immer den einen oder anderen Großen. Ich bin froh, dass wir nicht dazugehören.“

Schema:

  • Bayreuth: Kolbe – Hemmerich, Weber, Schwarz, Lippert – Groiß, Kirsch (100. Ziereis), Andermatt (70. Zejnullahu) – Nollenberger (70. Maderer), Heinrich (96. Götz) – Steininger (70. Stockinger).
  • HSV: Heuer Fernandes – Heyer (77. Opoku), Schonlau, Vuskovic, Muheim – Meffert – Benes (46. Heil, 116. David), Reis (70. Rohr) – Bilbija (46. Königsdörffer), Kittel – Glatzel.
  • Schiedsrichter: Michael Bacher (München).
  • Tore: 1:0 Hemmerich (17.), 1:1 Königsdörffer (83.), 2:1 Schonlau (97.), 3:1 Königsdörffer (111.).
  • Gelbe Karten: Steininger, Andermatt, Weber, Kolbe - Schonlau, Muheim
  • Gelb-Rot: Groiß (112., Bayreuth, wiederholtes Foulspiel)
  • Zuschauer: 14.700 (ausverkauft)