Hamburg. Nach der Saisonanalyse muss Marcell Jansen entscheiden, wie es im Vorstand weitergeht. Beide Akteure fordern eine starke Position.
Am Sonnabend um 12.30 Uhr steht Marcell Jansen wieder dort, wo er in seiner Karriere immer am liebsten stand: auf dem Rasen des Volksparkstadions. Der ehemalige Nationalspieler wird beim Benefiz-Event des HSV zugunsten der Ukraine sowohl für die von Horst Hrubesch betreuten DFB All-Stars spielen als auch für die HSV-Legenden an der Seite von Thomas Gravesen, Ailton oder Mohamed Zidan. Eine Veranstaltung, die Jansen ganz entspannt genießen kann.
Am Mittwochabend um 18 Uhr saß der 36-Jährige auf einer Veranstaltung, bei der es nicht um ein harmonisches Miteinander ging. Der Vereinspräsident und Aufsichtsratsvorsitzende der HSV Fußball AG leitete im Volkspark die Aufsichtsratssitzung. Es soll eine lange Versammlung geworden sein. Richtungweisende Entscheidungen wurden jedoch nicht getroffen. Noch nicht.
HSV: Störungen zwischen Wüstefeld und Boldt
Wie geht es nun weiter im Volkspark? Zwei Tage nach dem verpassten Aufstieg war vor der Aufsichtsratssitzung am Mittwochabend nur eines klar: Ein „Weiter so“ wie zuletzt kann es beim HSV in der bisherigen Konstellation nicht geben. Das Abendblatt hatte am Mittwoch über atmosphärische Störungen im Vorstand zwischen Thomas Wüstefeld und Jonas Boldt berichtet. Zudem soll auf der Geschäftsstelle eine große Verunsicherung unter den Beschäftigten herrschen, seit Wüstefeld am 3. März seine neuen Pläne für die Mitarbeiterstruktur präsentiert hatte.
Die Kontrolleure kamen nun aber primär zusammen, um die am Montag mit dem erneuten Nichtaufstieg abgeschlossene Saison zu analysieren. Es war mit 60 Punkten und Platz drei die bislang beste von vier Zweitligaspielzeiten, die nach der Relegationsniederlage gegen Hertha BSC aber mit demselben Ergebnis endete wie in den Jahren zuvor: Der HSV bleibt zweitklassig. Und muss nun einen neuen Plan entwickeln, damit sich das endlich ändert.
Für Sportvorstand Boldt steht trotz des dritten verpassten Aufstiegs unter seiner Führung fest, dass er seine Arbeit nur in einer starken Position fortführen wird. Das bedeutet, dass zeitnah über seinen im nächsten Jahr auslaufenden Vertrag entschieden werden soll. Boldt wird den Kontrolleuren noch einmal deutlich gemacht haben, dass beim HSV in den vergangenen Wochen insbesondere zwischen der Mannschaft und Trainer Tim Walter etwas gewachsen ist. Und Boldt ist der Überzeugung, dass das auch sein Verdienst sei. Weil es ihm gelungen ist, die schlechte Stimmung auf der Geschäftsstelle von der Kabine fernzuhalten. Ob Jansen und der Rest der Räte deswegen mit Boldt die Vertragsverhandlungen aufnehmen werden, ist aber noch offen.
Auch Wüstefeld will beim HSV Gewissheit
Auch Wüstefeld, der seit Anfang Januar als zweiter Vorstand alle Bereiche außerhalb des Sports und der Kommunikation verantwortet, drängt darauf, seine Zukunft so schnell wie möglich zu klären. Der 53-Jährige, der als Nachfolger von Frank Wettstein bis Jahresende kommissarisch pro bono das Amt des Vorstands übernommen hatte, will für seine Pläne Gewissheit, ob er über das Jahr hinaus im operativen Geschäft tätig bleibt oder wieder in den Aufsichtsrat zurückkehrt.
Wüstefeld präsentierte dem Kontrollgremium am Mittwoch seine neuen Strukturpläne, die er in den vergangenen Wochen ausgearbeitet hatte. Dabei geht es darum, wie sich der HSV wirtschaftlich aufstellen sollte, um das bereits ausgerufene Aufstiegsziel in der kommenden Saison erreichen zu können. Und es geht darum, wie der Club dafür auch intern Mittel einsparen kann.
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„Wir sind in einem Transformationsprozess und gucken, wo wir Dinge zu justieren haben, damit wir dem Sport umso mehr Mittel zur Verfügung stellen können“, sagte Wüstefeld vor der Sitzung. „Wenn man zurückblickt, haben wir in den vergangenen Jahren nicht alles herausgeholt, was die Marke HSV hergibt. Das haben wir intensiv analysiert. Das ist ein Riesenkatalog, den ich dem Aufsichtsrat vorstellen werde“, sagte Wüstefeld. „Das ist ein Fahrplan, der viele Neuheiten hat, die wir in der Vergangenheit so noch nicht kannten.“
Wer hat beim HSV künftig die Macht?
Vor allem aber geht es bei all den inhaltlichen Diskussionen um die Frage: Wer hat beim HSV künftig die Macht? Sowohl Wüstefeld als auch Boldt beanspruchen eine starke Position im Vorstand für sich. Nach der Saisonanalyse vor dem Aufsichtsrat muss dieser jetzt entscheiden, wem er diese geben will. Und diese Frage muss vor allem Jansen beantworten.
Es ist nicht das erste Mal, dass der langjährige HSV-Profi im Mittelpunkt eines Machtkampfes steht. Seit Jansen 2018 in den Aufsichtsrat eingezogen ist, hat er gleich mehrere vereinsinterne Streitigkeiten schadlos überstanden. Als sich vor zwei Jahren die Vorstände Bernd Hoffmann, Wettstein und Boldt stritten, Hoffmann schließlich freigestellt wurde und Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen zurücktrat, übernahm Jansen als Gewinner des Machtkampfes die Führung im Kontrollgremium.
Und was plant Jansen beim HSV selbst?
Ein Jahr später tobte dann ein Streit im Präsidium. Die Vizepräsidenten Thomas Schulz und Moritz Schäfer wollten Jansen stürzen. Am Ende traten alle drei zurück – und Jansen wurde wiedergewählt. Anschließend stellte er sich einen neuen Aufsichtsrat zusammen, der Anfang des Jahres mit Wettstein einen weiteren Jansen-Gegner freistellte und Wüstefeld als Vorstand installierte.
Was Jansen selbst plant, ist eine der großen Fragen, die rund um den HSV in den vergangenen drei Jahren häufig gestellt wurden. Und die er nach der Aufsichtsratssitzung nun auch beantworten muss. In dieser Woche hat Jansen erst eine Entscheidung getroffen. Nicht nur am Sonnabend im Volkspark wird er auf dem Platz stehen, sondern auch in der kommenden Saison wieder für den HSV III.