Hamburg. Nach dem verpassten Aufstieg ruft der HSV das Ziel Bundesliga aus. Trainer Walter soll bleiben. Wird Vagnoman verkauft?
Am Dienstagvormittag um 11 Uhr trafen sich die Spieler und das Trainerteam des HSV zu einer letzten Besprechung. Trainer Tim Walter und Sportvorstand Jonas Boldt hatten am Tag nach dem verlorenen Relegationsrückspiel gegen Hertha BSC (0:2) in der Kabine noch ein paar Worte an die Mannschaft gerichtet. Rund 20 Minuten später verließen mit Moritz Heyer und Maximilian Rohr bereits die ersten Spieler wieder das Volksparkstadion.
Die Profis hatten ihre Kabinenspinde geleert und brachten ihre Beutel in die Autos. Dann fuhren nach und nach alle Spieler und Trainer vom Hof. Es war eine Szenerie, die man in den vergangenen Jahren beim HSV schon häufig erlebt hat. Und wenn sich das Team dann wenige Wochen später wieder zur Vorbereitung traf, sah es nicht nur völlig verändert aus – es hatte in den vergangenen drei Jahren auch immer einen neuen Trainer.
Walter ist der Gewinner beim HSV
In diesem Jahr aber könnte alles anders sein. In drei Wochen wird nicht nur der Großteil des Teams dabei sein, wenn im Volkspark die Vorbereitung auf die fünfte Zweitligasaison beginnt. Auch Tim Walter soll dann wieder mit neuer Energie auf dem Trainingsplatz stehen und seine Mission beim HSV fortführen. „Wenn man mich fragt, würde ich sagen, wir sollten in dieser Konstellation in die neue Saison gehen. Aber eben mit dem Ziel, aufzusteigen“, sagte HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld gerade einmal 14 Stunden nach dem geplatzten Aufstiegstraum. Der 53-Jährige richtete den Blick schnell wieder nach vorne. Wüstefeld rief bereits das Ziel Bundesliga aus. Und Walter soll dieses Ziel erreichen.
Der Trainer selbst saß am Montagabend rund 40 Minuten nach der Niederlage gegen Hertha BSC auf dem Pressepodium des Volksparkstadions und sprach mit heiserer und niedergeschlagener Stimme über das, was in den 90 Minuten, aber auch in den zehn Monaten zuvor passiert war. „Wir sind stolz auf das, was wir geschaffen haben. Wir haben etwas angestoßen, aber sind noch lange nicht am Ende. Wir sind einfach noch nicht fertig.“
Walter war direkt nach dem Schlusspfiff auf dem Rasen durch die Polizeiabsperrung Richtung Nordtribüne gegangen und hatte seine Mannschaft hinter sich hergezogen. Von den Fans wurden nicht nur die Spieler gefeiert, sondern auch der Trainer. Und zwar mit Sprechchören, die bis weit über das Stadion hinaus zu hören waren. Ein klares Statement der Anhänger, dem am Tag danach ein klares Statement des Vorstands folgte. Walter ist trotz der abschließenden Niederlage einer der Gewinner dieser HSV-Saison.
HSV kalkuliert mit 28.000 Zuschauern
Die Botschaft, die der Trainer, die Spieler und die Fans noch in die Nacht verschickten, war unmissverständlich: Dann eben im nächsten Jahr. Dann will der HSV mit einer eingespielten Mannschaft und einem eingespielten Trainerteam von Beginn an um den Aufstieg mitmischen. Mit Werder Bremen und dem FC Schalke 04 haben zwei Schwergewichte die Liga wieder verlassen. Mit Greuther Fürth und Arminia Bielefeld kommen aus der Bundesliga zwei Vereine zurück, die sich mit einem neuen Trainer und neuen Spielern erst einmal neu sortieren müssen.
„Wir werden einer der Favoriten sein und sollten sehr schnell und sehr klar Signale senden, wo wir hinwollen. Wir müssen auch die Menschen wieder motivieren, in den Volkspark zu kommen“, sagte Wüstefeld, der für die kommende Saison mit einem Zuschauerschnitt von 28.000 kalkuliert, der je nach Entwicklung der Corona-Pandemie aber noch angepasst werden kann.
Mythos Relegation: Bekommt HSV Probleme?
Klar ist aber schon jetzt, dass mit Schalke und Werder gleich zwei Zuschauermagneten fehlen. Der Nordrivale aus Bremen sorgte kurz nach dem HSV-Spiel am Montagabend für Ärger im Netz. Der Club hatte auf seinem Twitter-Kanal einen hämischen Beitrag gepostet, in dem er ein Jubelvideo von der eigenen Aufstiegsfeier zeigte und Hertha zum Klassenerhalt gratulierte.
Nach wenigen Minuten löschte Werder den Eintrag wieder und entschuldigte sich beim HSV. „Unser Tweet zum Spielausgang war völlig unangebracht und unsportlich. Aus eigener Erfahrung wissen wir, welche Emotionen mit der Relegation verbunden sind. Wir hoffen, dass es bald wieder Nordderbys in der Bundesliga gibt“, schrieben die Bremer. Werder hatte sich vor zwei Jahren erst in der Relegation gegen den FC Heidenheim gerettet.
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Auf das Nordderby Hamburg gegen Bremen müssen die Fans beider Clubs nun aber erst einmal wieder warten. Der HSV gab sich zwar bereits am Tag nach dem verpassten Aufstieg angriffslustig, doch er wird auch Zeit brauchen, um die Enttäuschung zu verarbeiten. Das ging in den vergangenen Jahren fast allen Zweitligisten so, die in der Relegation den Aufstieg verpassten. Zuletzt hatte Holstein Kiel Probleme. 2018 stieg Eintracht Braunschweig ein Jahr nach der Relegationspleite gegen den VfL Wolfsburg in die Dritte Liga ab, ein Jahr zuvor war es der Karlsruher SC – zwei Jahre nach dem Relegations-K.-o. gegen den HSV.
HSV glaubt an den Aufstieg 2023
Wie man sich nach so einer Niederlage fühlt, weiß keiner besser als Jonas Meffert. Der Mittelfeldspieler des HSV war sowohl 2015 mit dem KSC als auch 2021 mit Holstein Kiel dabei, als eine richtig starke Saison mit einer richtig großen Enttäuschung endete. Nun erlebte er mit dem HSV seine dritte Relegationsniederlage. Der 27-Jährige weiß, dass diese Spiele Wunden hinterlassen. Aber er weiß auch, dass die Zeit Wunden heilt. „Ich kenne das schon. Mit Karlsruhe war es vielleicht noch bitterer als heute. Mit der Zeit geht das weg“, sagte Meffert auf dem Weg in die Kabine, nachdem er und seine Mannschaft von den Fans minutenlang gefeiert worden waren. „Ich hoffe, dass wir diese Energie mitnehmen können“, sagte Meffert.
Dem HSV bleiben nur drei Wochen Zeit bis zur Vorbereitung. Am 15. Juli beginnt bereits die neue Zweitligasaison. „So wie ich meine Mannschaft und den Trainer kenne, werden wir uns wiedertreffen und alles dafür tun, noch mehr Punkte zu holen. Ich bin mir sicher, dass dieses Erlebnis unsere Mannschaft stärker macht für das nächste Jahr“, sagte Meffert, der noch einmal die besondere Atmosphäre in der Kabine hervorhob. „Die Stimmung im Team ist top. Ich komme jeden Tag mit Spaß zur Arbeit. Für mich ist das wie eine Familie hier.“
Verkauft der HSV jetzt Vagnoman?
Und diese Familie wird anders als vor sechs Jahren beim KSC, vor einem Jahr in Kiel oder in den vergangenen drei Jahren beim HSV auch in der kommenden Saison zusammenbleiben. Genau darin liegt die große Chance für den HSV.
Stand jetzt stehen nur die Abschiede von Faride Alidou (Eintracht Frankfurt) und Manuel Wintzheimer (1. FC Nürnberg) fest. Gent-Leihgabe Giorgi Chakvetadze und Jan Gyamerah, der bei Fortuna Düsseldorf im Gespräch ist, werden wohl folgen. Die Frage nach Stürmer Mikkel Kaufmann werden die Verantwortlichen noch einmal diskutieren. Josha Vagnoman gilt weiter als erster Verkaufskandidat.
Der Rest des Teams aber könnte zusammenbleiben und auf allen offensiven Positionen verstärkt werden. „Um uns muss sich keiner Gedanken machen“, sagte Kapitän Sebastian Schonlau. Im fünften Anlauf soll es dann endlich klappen mit der ersehnten Rückkehr in die Bundesliga. Schonlau verspricht: „Dass wir wiederkommen, steht fest.“