Hamburg. Die Hamburger Behörde stellt Befangenheitsantrag im Fall Jatta. Sein Anwalt hält dagegen. Wie es jetzt weitergeht.

Für Bakery Jatta sah der Mittwochvormittag zunächst nach einem ganz normalen Tag aus. Wenige Stunden nach dem 4:0-Erfolg gegen Aue absolvierte der Flügelstürmer des HSV eine regenerative Einheit auf dem Ergometer. Für den Stammspieler ist es der gewohnte Ablauf am Tag nach einem Pflichtspiel. Hinter den Kulissen ist die Welt des Gambiers allerdings alles andere als normal. Denn die Hamburger Staatsanwaltschaft versucht weiterhin hartnäckig, den 23-Jährigen wegen angeblicher Identitätsfälschung zu überführen.

Nachdem die Staatsanwaltschaft bereits Beschwerde gegen das vom Amtsgericht Altona abgelehnte Hauptverfahren eingelegt hatte, hat die Behörde nun Amtsrichter Volker Stegmann wegen mutmaßlicher Befangenheit abgelehnt. Ein entsprechendes Befangenheitsgesuch bestätigte die Staatsanwaltschaft auf Anfrage, lehnte es aber zugleich ab, sich zu den Gründen zu äußern.

Bakery Jatta: Anwalt kontert Staatsanwaltschaft

„Es gibt keinen Raum für eine Befangenheit von Herrn Stegmann“, kontert Jattas Anwalt Thomas Bliwier, der eine Vermutung über die Beweggründe der Behörde hat. Zur Erinnerung: Amtsrichter Stegmann hatte vor knapp einem Monat ein Hauptverfahren gegen Bakery Jatta abgelehnt und in seinem achtseitigen Beschluss detailliert begründet, warum die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise „nicht gerichtsverwertbar“ seien. Es war eine herbe Niederlage für die Behörde.

„Nur weil der Staatsanwaltschaft das Ergebnis nicht passt, ist das noch lange keine Grundlage für eine Befangenheit“, sagt Bliwier. „Es ist der Versuch, das aus Sicht der Staatsanwaltschaft unerwünschte Ergebnis zu korrigieren.“

Bakery Jatta: Gericht lehnt Befangenheitsantrag ab

Nach Abendblatt-Informationen behauptet die Staatsanwaltschaft, Stegmann habe ihr Bliwiers Einspruchsschreiben gegen die Anklage bewusst vorenthalten. Ein Vorwurf, den der Amtsrichter bereits zurückgewiesen hat. Seine Begründung: Es gäbe keine gesetzliche Pflicht, ein solches Schreiben der Staatsanwaltschaft zukommen zu lassen. Stattdessen handele es sich um eine Ermessensentscheidung. Und da Bliwier aus seiner Sicht keinen neuen Rechtsstandpunkt vertrete, entschied sich Stegmann dagegen, das Dokument weiterzuleiten.

Eine Argumentation, der sich das Amtsgericht anschloss. Stegmann sei nicht befangen und es sei auch keine Willkür in seinem Handeln zu erkennen, teilte Richterin Heike Flatau in einem neuerlichen Beschluss mit und lehnte den Befangenheitsantrag ab. Doch nach zweieinhalb Jahren Ermittlungen gegen Jatta dürfte allen Beobachtern klar sein, dass das letzte Wort hiermit noch nicht gesprochen ist. So ist es auch diesmal, denn die Staatsanwaltschaft kündigte auf Anfrage bereits an, weitere Rechtsmittel zu prüfen. Mit anderen Worten: Die Behörde wird aller Voraussicht nach Beschwerde gegen das abgewiesene Befangenheitsgesuch einlegen, worüber dann das Landgericht final zu entscheiden hätte.

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Bakery Jatta: Wie es weitergeht

Für die Fortsetzung der Causa Jatta gibt es nun zwei Optionen. Entweder das Landgericht hält Stegmann für befangen, wodurch der Fall von einem anderen Richter oder einer anderen Richterin zu betreuen wäre. Oder aber das Landgericht bestätigt die Entscheidung des Amtsgerichts, woraufhin die Staatsanwaltschaft erst einmal ihre Beschwerde gegen das abgelehnte Hauptverfahren begründen müsste. Denn dies ist auch drei Wochen danach immer noch nicht geschehen. Im Anschluss hätte dann – wie berichtet – wieder Stegmann das Wort, über den Widerspruch zu entscheiden.

Da sich der Amtsrichter aber bereits festgelegt hat, und auf Basis der vorhandenen Akten „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ von einem Freispruch Jattas ausgeht, will die Staatsanwaltschaft mit aller Macht verhindern, dass Stegmann weitere Entscheidungen in dem Fall trifft. Ob dies die Erfolgsaussichten der Behörde erhöht, bleibt abzuwarten.

Die Chronologie im Fall Bakery Jatta

  • 7. August 2019: Die „Sport Bild“ fragt auf ihrem Titel: „Spielt HSV-Star Jatta mit falscher Identität?“ Der Verdacht: Er heißt in Wahrheit Bakary Daffeh und ist am 6. November 1995 geboren – und nicht am 6. Juni 1998. Der 1. FC Nürnberg legt noch am gleichen Tag Einspruch gegen das 0:4 ein. 8. August 2019: „Bild“ titelt: „Jatta drohen 5 Jahre Haft und die Abschiebung“. 13. August 2019: Das Bezirksamt Hamburg-Mitte bittet Jatta bis zum 23. August um eine Stellungnahme. 15. August 2019: Jatta fliegt mit den HSV-Chefs nach Frankfurt, wo er beim DFB vorsprechen muss. 19. August: 2019: Nach Nürnberg unternimmt auch Bochum juristische Schritte. 25. August: In Karlsruhe wird Jatta ausgepfiffen und rassistisch beleidigt. Auch der KSC legt Einspruch ein.
  • 30. August 2019: Jattas Anwalt Thomas Bliwier (hatte eine Fristverlängerung beantragt) reicht beim Bezirksamt Unterlagen ein, die die Identität Jattas beweisen sollen: einen gültigen Reisepass sowie eine von gambischen Behörden beglaubigte Geburtsurkunde und die eidesstattliche Versicherung eines zuständigen Beamten.
  • 2. September 2019: Die Ermittlungen des Bezirksamts gegen Jatta werden eingestellt. Daraufhin ziehen die drei Zweitligaclubs ihre Einsprüche zurück.
  • 20. September 2019: „Bild“ berichtet, dass sich Jatta mit einer Daffeh-E-Mail-Adresse 2015 bei den Behörden angemeldet habe. 17. Oktober 2019: Die Bremer Staatsanwaltschaft schließt die Akte Jatta.
  • 8. Januar 2020: Die Staatsanwaltschaft Hamburg eröffnet – was erst später bekannt wird – ein Ermittlungsverfahren, nachdem es einen anonymen Brief der „Gemeinschaft Besorgter Bürger“ mit einer Strafanzeige gegen den HSV, den damaligen Trainer Dieter Hecking und den DFB gegeben hatte. Im Zuge der anschließenden Ermittlungen fallen den Behörden Kontakte Jattas zu Fußballern aus dem Senegal, Gambia und Nigeria auf, die früher auch mit Daffeh in Verbindung gestanden haben sollen. 20. Februar 2020: Jatta äußert sich im Vereinsmagazin „HSV live“ zu den Vorwürfen: „Ich wurde öffentlich an den Pranger gestellt. Aber wofür? Was hatte ich verbrochen? Ich habe mich gefühlt, als wollte man mich wegsperren, mich ins Gefängnis stecken.“ Und: „Zu Hause ist da, wo man Frieden findet. Und ich habe hier meinen Frieden gefunden.“
  • 2. Juli 2020: Unliebsamer Besuch für Jatta in seiner Wohnung: Die Staatsanwaltschaft führt eine Hausdurchsuchung durch. Ihm wird der „Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz“ vorgeworfen. Mehrere elektronische Datenträger Jattas wie ein Handy und ein Laptop werden sichergestellt.
  • 10. Juli 2020: HSV-Ultras vom Fanprojekt „Nordtribüne Hamburg“ fordern ein Ende der Ermittlungen und „die Rück­gabe aller beschlagnahmten Geräte“.
  • 27. Juli 2020: Bliwier bezeichnet die Vorwürfe als „zu Unrecht erhoben“ und erwartet die Einstellung des Verfahrens.
  • 7. Mai 2021: Die Uni Freiburg veröffentlicht ein von der Hamburger Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass Jatta und Daffeh mit hoher Wahrscheinlichkeit dieselbe Person seien.
  • 11. August 2021: Bliwier fordert die Behörden auf, endlich auch in Gambia zu ermitteln, wenn man denn weiterhin Verdacht gegen seinen Mandanten hege.
  • 6. Dezember 2021: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Jatta.
  • 8. März 2022: Das Amtsgericht Hamburg-Altona lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Damit gilt Jatta offiziell als unschuldig.
  • 14. März 2022: Die Staatsanwaltschaft legt Beschwerde gegen den richterlichen Beschluss ein.
  • 6. April 2022: Das Amtsgericht lehnt ein Befangenheitsgesuch der Staatsanwaltschaft gegen Richter Volker Stegmann ab.
  • 8. Juli 2022: Das Hamburger Landgericht lehnt die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ab. Zu einem Verfahren in der Identitätsdebatte wird es somit nicht kommen. Weitere Rechtsmittel sind ausgeschlossen. Jatta ist Jatta.