Hamburg. Nach der Beschwerde der Staatsanwaltschaft könnte Amtsrichter Stegmann erneut eine Hauptrolle im Verfahren spielen.

Wer Bakery Jatta am Dienstag beim Mannschaftstraining des HSV beobachtete, der konnte zunächst annehmen, dass es sich um einen ganz normalen Tag im Leben des Gambiers handelte. Jatta rannte, ackerte und schoss mal gut und mal weniger gut aufs Tor. Vor allem aber hatte er eines: Spaß.

Abseits des Fußballplatzes ist Jattas Leben allerdings alles andere als normal – und auch nicht immer spaßig. Nachdem das Amtsgericht Altona mit der Ablehnung eines Hauptverfahrens eigentlich bereits einen Schlussstrich unter die seit zweieinhalb Jahren andauernden Ermittlungen gezogen hatte, hält die Staatsanwaltschaft weiter an ihrem Vorwurf fest, Jatta habe bei seiner Identität betrogen. Tatsächlich sei er zweieinhalb Jahre älter und heiße Bakary Daffeh.

Bakery Jatta: Wie geht es jetzt weiter?

An diesem Montag legte die Hamburger Behörde Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss ein. Aber nicht, weil es neue – und diesmal auch belastbare – Beweise gegen Jatta gäbe, sondern weil das Amtsgericht einen Verfahrensfehler begangen haben soll.

Der neuerliche Vorwurf lautet nun, die Staatsanwaltschaft habe das Einspruchsschreiben von Jattas Anwalt Thomas Bliwier nicht rechtzeitig und auch nur zum Teil erhalten. Eine Aufgabe, für die das Gericht verantwortlich war. Dieses Schreiben möchte die Behörde erst einmal auswerten und ihre Chance wahrnehmen, darauf zu reagieren.

Jatta: Will Staatsanwaltschaft nur ihr Gesicht wahren?

So weit, so klar. Doch welche Auswirkung hat die Beschwerde gegen den richterlichen Beschluss für Jatta? Das Abendblatt hat mehrere Fachanwälte für Straf- und Migrationsrecht kontaktiert, um eine neutrale juristische Einordnung zu erhalten. Nimmt man die Rechercheergebnisse als Grundlage, können Jatta und sein Anwalt tatsächlich „gelassen“ (Bliwier) auf die neueste Entwicklung reagieren.

Denn selbst wenn das nun zuständige Hamburger Landgericht der Beschwerde stattgeben sollte, es also doch noch zu einer Hauptverhandlung käme, würde diese Entscheidung nichts an der Beweislage ändern. Und diese ist von Amtsrichter Volker Stegmann bereits deutlich als „nicht gerichtsverwertbar“ kritisiert worden.

„Durch einen Verfahrensfehler ergibt sich kein hinreichender Tatverdacht“, sagt Sascha Böttner, Hamburger Fachanwalt für Strafrecht. „Dieser hängt nicht davon ab, ob das Verfahren für die Staatsanwaltschaft fair abgelaufen ist, sondern ob die Beweislage für einen hinreichenden Tatverdacht ausreicht.“ Der Jurist kommt deshalb zu dem Urteil, dass die Beschwerde den Anschein habe, „als wolle die Staatsanwaltschaft ihr Gesicht wahren“.

Fall Jatta könnte wieder bei Amtsrichter Stegmann landen

Rechnen die Ermittler also gar nicht mehr damit, dass Jatta jemals vor einem Gericht verurteilt werden könnte? Die Staatsanwaltschaft wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern und verwies auf die bereits kommunizierten Beweggründe ihrer Beschwerde. Doch darin wird eben lediglich ein mutmaßlicher Verfahrensfehler genannt – und eben nicht eine neue Beweislast gegen Jatta.

Der weitere Ablauf des Verfahrens würde gewissermaßen zurück auf Los führen. Zunächst einmal ist die ausstehende Entscheidung des Landgerichts über die Beschwerde rechtlich bindend, kann also nicht angefochten werden. In einem nun wieder möglichen Hauptverfahren würde erneut Amtsrichter Stegmann über die Schuld oder Unschuld des HSV-Profis entscheiden. Und dieser hat sich in seinem achtseitigen Beschluss bereits festgelegt, auf Basis der vorhandenen Akten „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ von einem Freispruch Jattas auszugehen.

Fall Jatta: Ist der Kostenaufwand gerechtfertigt?

Angesichts dieser Konstellation stellt sich zunehmend die Frage, ob der Kostenaufwand angesichts der geringen Erfolgsaussichten der Staatsanwaltschaft überhaupt noch gerechtfertigt ist. „Gelinde ausgedrückt: Es ist absolut unverhältnismäßig“, sagt Kadir Katran, Hamburger Fachanwalt für Migrationsrecht. „Der Aufwand ist meiner Einschätzung nach der Prominenz des Beschuldigten geschuldet.“

Schon die Linksfraktion der Hamburgischen Bürgerschaft war in einer Kleinen Anfrage an den Senat vor etwas mehr als einem Jahr dem Vorwurf nachgegangen, ob Steuermittel verschwendet wurden. Konkret wollten die Abgeordneten Deniz Celik und Cansu Özdemir wissen, „wie hoch die Kosten sind, die für die Ermittlungen im Fall Jatta für die Stadt Hamburg entstanden sind“. Eine Antwort erhielten die beiden Linken-Politiker allerdings nicht, da der Senat nur auf sechs von 18 Fragen vage einging.

Bakery Jatta: Will Staatsanwaltschaft Zeit gewinnen?

Zumindest einmal kann gesagt werden, dass es in 99 Prozent aller Anklagen der Staatsanwaltschaft zu einem Hauptverfahren vor Gericht kommt. Wenn dieses wie im Fall Jatta abgelehnt wird, was demnach bei einem Prozent der Fälle vorkommt, ist eine Beschwerde der Behörde allerdings eher die Regel. „Gegen Nichteröffnungsbeschlüsse ist eine Beschwerde der Hamburger Staatsanwaltschaft keine Seltenheit“, sagt Böttner.

Häufig liegt ein solcher Vorgang allerdings an eher unzureichend begründeten Beschlüssen. Ein Vorwurf, der bei Stegmanns achtseitigen Äußerungen mutmaßlich nicht erhoben werden kann. „Der Beschluss ist sehr umfangreich begründet worden“, sagt Böttner und bestätigt damit die Ansicht Bliwiers.

Wollte die Staatsanwaltschaft vorerst nur Zeit gewinnen, um möglicherweise neue Beweise aufzudecken, bräuchte es allerdings neue Ermittlungen. Und die seien laut Stegmann „nicht veranlasst“, wodurch automatisch erneut die Frage nach den Kosten aufkommt. An dieser Stelle ist ein Blick in die für Staatsanwaltschaften bindenden Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren hilfreich. Dort heißt es auf Seite 2446 unter dem Punkt „5a. Kostenbewusstsein“: „Die Ermittlungen sind so durchzuführen, dass unnötige Kosten vermieden werden.“

Fall Jatta: Folgen für Staatsanwaltschaft?

Immerhin, eine gute Nachricht gibt es für die Staatsanwaltschaft: Anders als man zunächst annehmen musste, dürfte die Verlängerung der Identitätsdebatte zumindest keine personellen Konsequenzen innerhalb der Behörde haben. Nachdem Maryam Blumenthal, die Vorsitzende der Hamburger Grünen, die mit Anna Gallina die politisch verantwortliche Justizsenatorin stellen, auf Anfrage Rassismusvorwürfe geäußert hatte, betont die justizpolitische Sprecherin Lena Zagst nun, dass die Kritik „einzig der medialen Berichterstattung“ gelte.

Für Jatta selbst dürfte die Frage nach dem Adressaten dieser Kritik jedoch eher zweitrangig sein. Von weitaus größerer Bedeutung ist für den Gambier, dass seine Identität anerkannt wird. Wann auch immer das der Fall ist.