Hamburg. Auf den Rängen findet ein Verfall mancher Sitten statt. Die fehlenden Ultras üben scharfe Kritik, auch der HSV ist alarmiert.

Die Stimmung rund um den HSV müsste eigentlich prächtig sein. Durch den 3:0-Erfolg gegen Hansa Rostock, dem dritten Heimsieg in Serie, springt die junge Mannschaft von Trainer Tim Walter zum Ende der Hinrunde auf den Relegationsplatz. Ein Resultat, das nach einem großen Umbruch im Sommer so nicht unbedingt zu erwarten war. Und dennoch scheint die aktuelle sportliche Entwicklung nicht jedem zu gefallen. Denn gegen Zweitliga-Aufsteiger Rostock traten erneut einige HSV-Fans negativ in Erscheinung.

Zunächst waren die Stadionbesucher noch zufrieden. Nach einem furiosen Start mit zwei sehenswerten Toren sahen sich die Zuschauer bestens unterhalten. Doch als der HSV die Dreistigkeit besaß und wie schon im vorherigen Heimspiel gegen Ingolstadt (3:0) leicht an Dominanz einbüßte, ohne dabei jedoch ins Wanken zu geraten, verstimmten die eigenen Anhänger zunehmend.

HSV-Fans pfeifen trotz 2:0-Führung

So wurde es plötzlich ganz leise im Volksparkstadion. Je mehr die zuvor noch bejubelten Profis auf dem Platz nachließen, desto mehr ließen auch die 15.000 Zuschauer nach. Was folgte, war eine Verhöhnung der offiziell 750 zugelassenen Gäste-Fans, die in Wahrheit aber wohl mit rund 2000 Personen vertreten waren. „Ohne Hansa wär' hier gar nichts los“, sangen die mitgereisten Rostocker minutenlang und gut hörbar – denn der Rest des Publikums hatte das Anfeuern eingestellt.

Als der HSV noch dreister agierte und plötzlich sogar den einen oder anderen Rückpass in sein Spiel einbaute (wie eigentlich bereits die gesamte Saison), hagelte es sogar Pfiffe – bei einer 2:0-Führung der jüngsten Mannschaft der Liga und dem Sprung auf den dritten Platz. Es war der Tiefpunkt des zweifelhaften (Fehl-)Verhaltens einiger Anhänger, die sich Fans nennen.

Hat der HSV ein Fan-Problem?

Die in manchen Phasen des Spiels übertrieben negative Stimmung ist schon die gesamte Saison ein Problem. Größerer Unmut machte sich erstmals beim zweiten Heimspiel der Saison gegen Darmstadt 98 (2:2), dem Tabellenzweiten nach der Hinserie, breit, als schon nach den Anfangsminuten jeder Fehl- und Rückpass unüberhörbar mit Pfiffen quittiert wurde. Auch bei den Heimspielen im Oktober gegen Fortuna Düsseldorf (1:1) und Holstein Kiel (1:1) hagelte es immer wieder Pfiffe von den Rängen, wo die übertriebene Erwartungshaltung und die häufig je nach Spielverlauf zunehmende Ungeduld nicht immer von Realismus geprägt ist.

Gegen Rostock setzte Walter mit Mario Vuskovic (20), Faride Alidou (20), Ludovit Reis (21) sowie den eingewechselten Manuel Wintzheimer (22), Robin Meißner (22), Mikkel Kaufmann (20) und Anssi Suhonen (20) erneut sieben Youngster ein, mit denen sich die Fans nach jahrelangen Identitätsdebatten endlich wieder identifizieren könnten. Die Zeit der überteuerten „Säulenspieler“ ist längst vorbei – und dennoch sind die Fans, die ins Stadion kommen, einfach nicht zufriedenzustellen.

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Fan-Pfiffe: HSV braucht seine Ultras

Längst ist klar, wie sehr die Ultras als Regulativ im Volkspark fehlen. In der aktiven Fanszene werden Pfiffe gegen die eigene Mannschaft als „No Go“ verurteilt. Vor der Corona-Pandemie hätten die treusten Anhänger solchen Störfeuern mit Gesängen entgegengewirkt. Doch seit dem Stimmungsboykott fehlt die Ordnung auf den Rängen. Stattdessen herrscht teilweise sogar Chaos.

Gegen Düsseldorf zeigten sich einzelne Zuschauer durch rassistische Schmährufe gegen Bakery Jatta und den Ex-Hamburger Khaled Narey von ihrer schmutzigen Seite. Letzterer wurde zudem bei der Ausführung von Eckbällen mit Bierbechern beworfen. Überhaupt sind es vor allem frühere HSV-Profis, die während ihrer Zeit in Hamburg alles für den Club gegeben haben und jetzt unwürdig empfangen werden. Neben Narey wurden auch Christoph Moritz (Regensburg) und Fiete Arp (Kiel) bei ihren Einwechslungen ausgepfiffen – ein herabwürdigendes Schauspiel.

HSV sieht manche Fans kritisch

Auch beim HSV wird das Verhalten einiger Anhänger längst kritisch beäugt. Anfangs, als der HSV fünf seiner ersten sechs Heimspiele unentschieden spielte, hofften einzelne Verantwortliche noch, die Stimmung könnte sich bessern, sobald der zum Teil hohe Aufwand der Mannschaft auch mit drei Punkten belohnt wird. Doch selbst zehn Tore und neun Punkte in den jüngsten drei Heimspielen gegen Regensburg (4:1), Ingolstadt und Rostock scheinen den Verfall mancher Sitten nicht stoppen zu können.

Den spürbar fehlenden Ultras ist die negative Entwicklung unter den Zuschauern natürlich nicht entgangen. Zur geschlossenen Rückkehr ins Volksparkstadion hat diese allerdings noch nicht beigetragen. Stattdessen reagierte die aktive Fanszene am Freitag mit einem Appell an die verantwortlichen Miesepeter: „Bleibt einfach zu Hause!“, schrieb die Ultra-Gruppe Castaways auf Facebook. Wütend sei man „über die zwischenzeitlichen Zustände im gesamten Stadion und auch auf der Nordtribüne“ gewesen. Zustände, „die unsere Abwesenheit als Gruppe noch schwerer gemacht haben“.

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Doch wegen steigender Corona-Zahlen und anhaltender Einschränkungen beim Stadionbesuch verzichten die Ultras weiterhin auf einen organisierten Support. Solange dieser Zustand anhält, wird sich die Situation auf den Rängen wohl kaum bessern. Das dürfte inzwischen auch jedem HSV-Fan klar sein.