Hamburg. Auf die zunächst beste Saisonleistung folgte der schwer zu erklärende Einbruch – der den HSV-Sportdirektor zu einer Warnung veranlasst.
Das freie Wochenende verbringt HSV-Sportdirektor Michael Mutzel auf der heimischen Couch. Er wolle sich im Fernsehen ansehen, wie die Konkurrenz um den Aufstieg spiele (Bochum siegte in Osnabrück, Fürth gewann gegen Würzburg), und vor allem „nicht so viel an das Spiel von gestern denken". Dieses Spiel von gestern, über das Mutzel am Sonnabend sprach, war allerdings vor allem in der Art und Weise des Zustandekommens zu verrückt, um es so schnell wie vom Manager gewünscht wieder abhaken zu können.
3:3 trennte sich der HSV am Freitagabend von Erzgebirge Aue, führte dabei gleich zweimal mit zwei Toren Unterschied – und musste dennoch am Ende zittern und sich bei Torhüter Sven Ulreich bedanken, nicht mit völlig leeren Händen in der Nacht zurück nach Hamburg zu fahren. Es klingt fast schon zu kurios, um wahr zu sein, aber dem HSV ist es im Erzgebirgsstadion gelungen, zum einen in 45 Minuten seine beste Saisonleistung abzurufen und zum anderen enttäuscht über den Ausgang der Partie zu sein.
Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Heidenheim 34 / 67:36 / 67
2. Darmstadt 98 34 / 50:33 / 67
3. HSV 34 / 70:45 / 66
4. Düsseldorf 34 / 60:43 / 58
5. FC St. Pauli 34 / 55:39 / 58
HSV schenkt Sieg in Aue her – die Gründe
Auch wenn Mutzel betonte, dass sich dieses ungewollte Torspektakel von Aue mit einem Tag Abstand schon etwas besser anfühle als direkt nach dem Abpfiff, drängte sich am Sonnabend vor allem eine Frage auf. Wie konnte der HSV diesen vermeintlich sicher geglaubten Auswärtssieg noch herschenken?
„Es ist schwer, eine Erklärung dafür zu finden", räumte Mutzel ein, der vom HSV in der turnusmäßigen Frage-Antwort-Runde dafür ausgewählt wurde, Erklärungen zu finden. „Ganz nüchtern betrachtet, hätten wir noch höher führen müssen." Denn Aue habe aus dem Nichts zwei Tore geschossen. Und der HSV? Der scheiterte gleich zweimal am Aluminium in Person von Moritz Heyer (direkt nach dem 1:0) und Aaron Hunt (direkt nach der Pause).
Besonders dem Pfostenschuss des für den verletzten Jeremy Dudziak eingewechselten Hunt trauerte der HSV auch am Tag danach noch hinterher. „Dann wäre das Spiel vielleicht gegessen gewesen", haderte Mutzel. Ähnlich hatten sich auch Cheftrainer Daniel Thioune und Chef-Torjäger Simon Terodde unmittelbar nach dem Spiel geäußert. Doch der Ball ging eben nicht rein.
HSV beklagt zwei Schlüsselszenen in Aue
Stattdessen fiel nahezu im direkten Gegenzug der Auer Anschlusstreffer. Und schon war das Momentum aufseiten der Gastgeber. Plötzlich spürten die wenigen Anwesenden im Stadion, dass dieses Spiel, in dem der HSV phasenweise eine Klasse besser war als Aue, sogar gänzlich zu kippen drohte.
„Die Enttäuschung überwiegt, weil viele Momente richtig gut waren, aber leider nicht über 90 Minuten", ärgerte sich Thioune und ergänzte: „Wenn ich auswärts mit zwei Toren Differenz führe, dann will ich das Ding auch nach Hause bringen. Man muss schon eine Menge nicht so gut machen, damit der Gegner noch egalisiert."
HSV erst wie ein Aufsteiger, dann vogelwild
Und genau das passierte in Aue. Der HSV machte eine Menge nicht so gut, um bei Thiounes Wortwahl zu bleiben. Es waren vor allem zwei Schlüsselszenen, die als Knackpunkte ausgemacht wurden.
- Zum einen der bereits angesprochene Pfostenschuss von Hunt.
- Und zum anderen – nur wenige Sekunden später – Bakery Jattas unnötiger Ballverlust in der Vorwärtsbewegung, als der zuletzt so formstarke Gambier im Mittelfeldzentrum ins Dribbling ging, anstatt einen seiner freien Mitspieler anzuspielen. Aue bedankte sich mit dem Anschlusstreffer zum 2:3.
HSV lässt in Aue nach – Mutzel klagt
Jatta alleine für das Auer Comeback verantwortlich zu machen, wäre natürlich vermessen. Dennoch ist es auffällig, dass dem Flügelstürmer nicht zum ersten Mal ein solcher Leichtsinnsfehler unterlaufen ist. Weil er und der HSV sich nach einer bärenstarken 1. Halbzeit mit den Toren von Simon Terodde (2) und David Kinsombi zu sicher fühlten?
„Ich sage es fast alle zwei Wochen: Wenn wir ein bisschen nachlassen in dieser Liga, sind die Gegner stark genug, um uns zu bestrafen", wiederholte sich Mutzel, der in der Tat schon häufiger an seine Spieler appellierte, doch bitte über 90 Minuten 100 Prozent zu geben. Doch der Gang an die Leistungsgrenze gelang den Hamburgern nach der Halbzeit nicht mehr. „Mit 97 Prozent hat es nur noch zu einem Unentschieden gereicht", klagte Mutzel.
Macht sich der Sportdirektor Sorgen um einen Schlendrian beim so spielstarken HSV? „Es ist menschlich, nicht immer Vollgas geben zu können. Vielleicht ist es ein Lernprozess für die Jungs: Wenn wir ein bisschen weniger machen, geht es schnell in die andere Richtung. Das müssen wir lernen und das sollten wir nicht mehr so oft machen", so Mutzels klaren Worte.
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HSV lobt beste Halbzeit der Saison
Trotz der Enttäuschung, und das war dem Manager eine wichtige Botschaft nach außen, soll der Umgang mit dem 3:3 nicht zu kritisch sein. „Wir sollten uns nicht nur mit den negativen Dingen beschäftigen", sagte Mutzel, der gedanklich noch einmal die ersten 45 Minuten Revue passieren ließ, in der der HSV den Gegner förmlich überrannte.
„Gerade die erste Halbzeit war mit das Beste, was ich in meinen zwei Jahren in Hamburg gesehen habe. Wir haben unfassbar guten Fußball gespielt, tolle Tore herausgespielt und hatten sogar noch zwei Pfostenschüsse. Man kann den Jungs gar keinen Vorwurf machen."
Stattdessen wolle Mutzel die Spieler „ein bisschen aufbauen". Sein nachvollziehbares Schlusswort: „Der Kopf bleibt jetzt oben, und trotzdem müssen wir uns auch ärgern", sagte Mutzel, bevor er sich auf seine Couch begab.
Die Statistik:
- Aue: Männel – Breitkreuz (46. Bussmann), Gnjatic, Gonther, John-Patrick Strauß – Fandrich, Samson – Zolinski (76. Nazarov), Hochscheidt (90.+2 Härtel) – Testroet, Krüger (83. Zulechner). – Trainer: Schuster
- HSV: Ulreich – Gyamerah, Jung, Ambrosius, Leibold – Heyer (81. Onana) – Kinsombi, Dudziak (42. Hunt) – Jatta (81. Narey), Terodde, Kittel. – Trainer: Thioune
- Tore: 0:1 Terodde (14.), 0:2 Kinsombi (22.), 1:2 Hochscheidt (26.), 1:3 Terodde (30.), 2:3 Fandrich (50.), 3:3 Krüger (61.)
- Schiedsrichter: Florian Badstübner (Windsbach)
- Gelbe Karten: Samson (3) – Ambrosius (4).
- Torschüsse: 10:7
- Ecken: 0:6
- Ballbesitz: 35:65 Prozent