Hamburg. Auch Sonny Kittel hat sich aus den sozialen Netzwerken zurückgezogen. Wie das Smartphone den Alltag der Fußballer bestimmt.
Sonny Kittel war der Spaß wieder anzusehen, als er am Dienstag mit dem HSV in die neue Trainingswoche startete. Seine Kollegen waren am Vormittag bereits in der Kabine, als er zusammen mit Tim Leibold und Klaus Gjasula noch auf dem Platz um die Wette jonglierte und sich die Verlierer gegenseitig am Ohrläppchen schnippten. Schon an diesem Mittwoch dürfte sein Trainer Daniel Thioune aber noch ein ernstes Gespräch mit ihm führen. „Wir haben Sonny heute noch die Möglichkeit gegeben durchzuatmen. Und dann werden wir uns unterhalten“, sagte Thioune drei Tage nach dem 0:1 gegen Hannover 96, bei dem Kittel wegen zweier unnötiger Fouls früh vom Platz geflogen war.
Nachdem Kittel im Anschluss an seinen Aussetzer die volle Wucht der medialen Kritik zu spüren bekam, droht ihm im Gespräch mit dem Trainer allerdings kein zusätzlicher Ärger. „Es waren zwei Fehler. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sonny sich im Kreise der Mannschaft entschuldigt hat. So tolerant bin ich dann auch, dass der Spieler jetzt die Chance hat, es besser zu machen“, sagte Thioune und deutete an, das Thema nach dem Gespräch ruhen zu lassen. „Es war ja relativ viel los um ihn herum.“
Wutkommentare in den sozialen Medien
Was Thioune meinte, war nicht nur die Kritik etwa durch Sportvorstand Jonas Boldt („saudumme Aktion“), sondern auch die Welle an Wutkommentaren, die Kittel nach der Niederlage in den sozialen Medien entgegengeschlagen ist. „Absoluter Müll Spieler. Arrogant wie sonst was wenn sie zurück legen. verschenken kannst de denn“, schrieb etwa der User kevinhellwege im Originalwortlaut auf der Instagram-Seite des HSV. Grammatikalisch und sprachlich nicht viel besser formulierte es felix_gnk: „Kittel suspendieren, ist eh die größte Flasche was der spielt ist ein Witz“.
Es waren Kommentare wie diese, die die Medienabteilung des HSV bereits am Montag dazu bewegte, sich öffentlich für Kittel einzusetzen und ein Best-of-Video einiger seiner HSV-Tore zu veröffentlichen. „Fehler macht jeder, solche Tore machen nicht viele“, schrieb der Club dazu. Ob Kittel dieses Video überhaupt gesehen hat, ist unklar. Denn der HSV-Profi hat seine Instagram-Seite mit 31.000 Followern mittlerweile deaktiviert. Eine offensichtliche Reaktion auf die Vielzahl an nicht immer jugendfreien Kommentaren, die ein Fußballprofi heutzutage zu lesen bekommt.
Auch Lukas Hinterseer hatte Fotos aus seinem Instagram-Profil gelöscht
Kittel ist nicht der erste HSV-Profi, der sich aus den sozialen Medien zurückgezogen hat. Auch Lukas Hinterseer hatte seine gesamten Fotos aus seinem Instagram-Profil gelöscht in der Phase, als sich der Stürmer im September gegen Ende der Transferperiode Gedanken über einen Vereinswechsel gemacht hatte. Das soziale Netzwerk, in dem heutzutage fast alle Fußballer unterwegs sind, hatte Hinterseer zunehmend abgelenkt, hieß es aus seinem Umfeld.
Die HSV-Analyse nach der Hannover-Niederlage:
Andere HSV-Spieler gehen deutlich offener und proaktiver mit Beleidigungen im Netz um. Toni Leistner ist einer der Profis, die nahezu täglich etwas posten. Und der mitunter auf die Kommentare reagiert. Nach dem Spiel gegen Hannover veröffentlichte er ein Foto der Mannschaft und schrieb dazu: „Nur zusammen“. Einer der Kommentare: „Wenn ich den Spielaufbau von die sehe da Platz mir jedes mal der Kragen...da verarbeitet und spielt selbst ne schnecke schnelle den Ball ab“. Leistner antwortet direkt mit einem Daumen nach oben.
Vor allem junge Spieler lassen sich von Nachrichten ablenken
Ein Beispiel, das zeigt, dass die Spieler Kommentare und Nachrichten im Netz lesen und sich von ihnen ablenken lassen. Während Leistner als Familienvater im Alter von 30 Jahren damit umzugehen weiß, gehen diese unmittelbaren Rückmeldungen gerade an jungen Spielern nicht spurlos vorüber. Das hat auch der ehemalige Sportdirektor und Nachwuchsverantwortliche Bernhard Peters in seiner Zeit beim HSV erlebt. „Social Media ist für die Sportler Fluch und Segen zugleich“, sagte der 60-Jährige am Dienstag im Gespräch mit dem Abendblatt. „Ich sehe aber vor allem die Gefahr und eine bedenkliche Entwicklung“, sagt Peters, der mittlerweile in Berlin lebt und gerade sein Buch „Zwei gegen eins – starke Entscheider auf dem Platz“ veröffentlicht hat.
HSV rutscht gegen Hannover 96 noch tiefer in die Krise:
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Peters beobachtete in seiner Zeit als HSV-Nachwuchschef zwischen 2014 und 2018, wie das Smartphone den Alltag der Fußballer mehr und mehr bestimmt. „Die Kommunikationsebenen haben sich total verändert. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass das Konzentrationsvermögen und der Aufmerksamkeitsgrad dadurch sinken“, sagt Peters. Als Beispiel nennt er Videositzungen, die zum täglichen Training der Fußballprofis dazugehören, die Spieler aber nur noch im eingeschränkten Maß überhaupt erreichen. „Das Gehirn der Sportler ist zunehmend auf kurze Aktivitäten getaktet.“
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Diese Entwicklung der Smartphone-Nutzung ist aber nicht mehr zu stoppen, meint Peters. Wichtig sei daher, die Spieler frühzeitig im Umgang zu coachen. „Social Media ist ein wichtiges Element der Selbstvermarktung. Die Spieler müssen dabei professionell begleitet werden. Sie müssen lernen, damit umzugehen und gleichzeitig die Gefahren zu erkennen. Dazu gehört vernünftige Selbstreflexion“, sagt Peters, der jedem Trainer empfiehlt, klare Regeln im Umgang mit sozialen Medien zu vereinbaren.
Lesen Sie auch die Einzelkritik:
HSV-Trainer Daniel Thioune setzt in diesem Zusammenhang auf die Eigenverantwortung seiner Spieler. Und zumindest Sonny Kittel hat seine Konsequenzen gezogen. Dafür erhielt der 27-Jährige am Dienstag wiederum eine neue Welle an Nachrichten – allerdings fast ausschließlich positive Mitteilungen von HSV-Fans, die sich für das Verhalten einiger Anhänger bei ihm entschuldigten. Kritik, so der Tenor, müsse er als Fußballer aushalten können, Beleidigungen gehen zu weit. Auch das kann Social Media.