Hamburg. Der Wahl-Hamburger Thomas Helmer leidet mit dem HSV – und glaubt an Trainer Thioune. Warum eine Führungsachse so wichtig ist.
Wie folgenschwer ein Spagat auf einem Tretboot sein kann, ist Thomas Helmer auch eineinhalb Jahre nach seinem Unfall auf der Alster noch anzumerken. Der Wahl-Hamburger und Europameister von 1996 riss sich gleich mehrere Muskeln, als er im Juni 2019 beim Aussteigen aus dem Tretboot auf den glatten Steinen wegrutschte. Trotz einer anschließenden Operation im UKE, bei der ihm drei Titannägel im Beckenbereich eingesetzt wurden, um den Oberschenkelmuskel zusammenzuhalten, kann sich Helmer seitdem nur noch eingeschränkt bewegen.
Humpelnd erreichte Helmer am Montag das Abendblatt-Büro am Großen Burstah. Dass er seinen Humor trotz des verhängnisvollen Unfalls nicht verloren hat, wird gleich zu Beginn des Podcasts HSV – wir müssen reden deutlich. Im zurückliegenden Sommer war der 55-Jährige sogar schon wieder Tretboot fahren auf der Alster. „Ich musste mein Trauma überwinden“, sagte der Moderator des Sport1-„Doppelpass“.
Thomas Helmer kritisiert Thiounes HSV-Wechsel
Nach fünf Spielen ohne Sieg von einem Trauma beim HSV zu sprechen, wäre vermutlich zu viel des Guten. Dennoch sei die sportliche Situation „aktuell ziemlich tragisch“, sagt Helmer, der seit 19 Jahren in Hamburg lebt und dem nicht nur die Stadt, sondern auch ihr größter Verein ans Herz gewachsen ist. „Natürlich leide ich auch mit, weil ich einfach nicht verstehe, warum es aktuell nicht mehr funktioniert.“
Die Gründe für den sportlichen Abwärtstrend beim HSV sind vielfältig. Auch Trainer Daniel Thioune, der nach dem furiosen Saisonstart mit fünf Siegen in Serie noch für seine Variabilität gelobt worden war, ist zuletzt eben genau wegen seiner taktischen und personellen Änderungen in die Kritik geraten.
Eine Ansicht, die Helmer teilt. „Durch die vielen Wechsel bringt man vielleicht zu viel durcheinander, möglicherweise hemmt es auch den Spielfluss“, kritisiert der Ex-Profi. „Man muss zumindest eine Achse aus zwei, drei Leuten haben und versuchen, diese beizubehalten.“
Das Führungsproblem beim HSV
Auch Thioune bemängelte in der vergangenen Woche, noch auf der Suche nach einer Achse zu sein, an der er sich orientieren könne. Für den HSV-Trainer kommt jedoch erschwerend hinzu, dass es momentan vor allem die Führungsspieler sind, die den Erwartungen hinterherhinken.
Kapitän Tim Leibold ist längst nicht in der Verfassung der vergangenen Saison, als er mit 19 Vorlagen ein unermüdlicher Antreiber auf der linken Außenbahn war. Mittelfeld-Abräumer Klaus Gjasula kommt nur gelegentlich zum Einsatz und patzte bei zwei Gegentoren in Paderborn (4:3). Der vom FC Bayern als sogenannter Mentalitätsspieler verpflichtete Sven Ulreich verschuldete das entscheidende Gegentor in Heidenheim (2:3). Spielmacher Aaron Hunt wird immer seltener gebraucht, Abwehrchef Toni Leistner fiel bereits durch zwei Sperren negativ auf und David Kinsombi spielt überhaupt keine Rolle mehr.
Bis zum vergangenen Heimspiel gegen Hannover (0:1) wusste von den erfahrenen Spielern einzig Torjäger Simon Terodde konstant zu überzeugen – doch dann ließ der Stürmer gleich drei hochkarätige Torchancen ungenutzt.
HSV rutscht gegen Hannover 96 noch tiefer in die Krise
Herrscht beim HSV eine Wohlfühloase?
Immer wieder gibt es eine Debatte, ob beim HSV eine leistungshemmende Wohlfühloase herrsche, in der Spieler zu schnell zufrieden seien. Für Helmer, der nach eigener Aussage in seiner Zeit beim FC Bayern das Sieger-Gen eingeimpft bekam und jeden Tag funktionierte, dürfe es einen solchen Zustand in Hamburg nicht geben.
Um ein Sieger-Gen wie bei den Bayern zu verinnerlichen, sei ein Entwicklungsprozess „und eine gewisse Qualität“ erforderlich. „Es liegt an der Einstellung eines jeden Spielers, es ist eine Charakterfrage. Für HSV-Spieler darf es keine Ausrede sein, dass die Stadt so schön ist.“
Deshalb sei in der aktuellen Phase, die Helmer als „kleine Krise“ bezeichnet, vor allem das Auftreten der Führungsspieler wichtig. Ein, wenn es sportlich nicht läuft, häufig gefälltes Urteil, deren Bedeutung für Helmer jedoch entscheidend für Erfolg oder Misserfolg einer Mannschaft ist. „Der Einfluss des Trainers während des Spiels ist begrenzt. Du musst auf dem Platz Entscheidungen treffen und auch einmal den Schiedsrichter oder den Gegner provozieren“, sagt der dreimalige Deutsche Meister.
Thomas Helmer glaubt an den HSV-Aufstieg
Das ist ein schmaler Grat, wie der Platzverweis von Sonny Kittel nach seiner unnötigen Grätsche an der Auslinie im Hannover-Spiel zeigte. „Man muss natürlich aufpassen und darf nicht so weit gehen, dass man vom Platz fliegt“, stellt Helmer klar.
Trotz des erneuten Rückschlags am vergangenen Sonnabend ist Helmer vom Aufstieg des HSV überzeugt. „Da bin ich mir relativ sicher. Die Chance ist sehr, sehr groß“, glaubt Helmer, ehe er vom Podcast-Studio des Abendblatts wieder nach Hause humpelt.