Hamburg. Verspielt der HSV erneut den Aufstieg? Die Profis scheinen Mentalitätsprobleme zu haben, obwohl diese Schwäche im Sommer erkannt wurde.

Am Tag nach der unnötigen Auswärtsniederlage beim 1. FC Heidenheim (2:3) richtete Michael Mutzel den Blick schon wieder nach vorne. „Wir wollen jetzt nicht rumjammern“, sagte der Sportdirektor des HSV in der turnusmäßigen Frage-Antwort-Runde zum Wochenstart. Er sei enttäuscht, aber nicht geschockt über das, was er keine 24 Stunden zuvor an der schwäbischen Ostalb sehen musste.

Es war ein kämpferischer und souveräner Auftritt des Hamburger Kaderplaners, der somit genau die beiden Eigenschaften verkörperte, in denen die Mannschaft aktuell Defizite vorweist.

Seit dem 2:2 gegen den FC St. Pauli vor ziemlich genau einem Monat wehrt sich der Kaderplaner des neuen Tabellendritten, Greuther Fürth (1.) und Bochum (2.) überholten den HSV an diesem Spieltag, Woche für Woche gegen die wiederkehrenden Fragen, wie schwer der Abwärtstrend diesmal sei.

Mit dem Wort Krise, welches Trainer Daniel Thioune am Sonntag zur Beschreibung der sportlichen Situation benutzt hatte, tut sich Mutzel noch immer schwer. „Die Krise ist noch nicht so groß“, sagte er am Montag. „Wir hatten bis jetzt vier schlechte Ergebnisse.“

HSV: Parallelen zur Vorsaison sind offensichtlich

Ob vier sieglose Spiele bereits ausreichen, um von einer Krise zu sprechen, ist möglicherweise Definitionssache. Unstrittig ist dagegen, dass die Formkurve des HSV nach unten zeigt – und sich die Fehler Woche für Woche wiederholen. Denn die Vergangenheit scheint den Club immer wieder einzuholen.

Nach dem späten Gegentor in Kiel (1:1) und dem schlechten Heimspiel gegen Bochum (1:3) weckt spätestens das hergeschenkte Duell in Heidenheim, bei dem eine 2:0-Führung verspielt wurde, Erinnerungen an die beiden verpassten Aufstiege der Vorjahre.

HSV verliert nach Führung in Heidenheim:

HSV verspielt eine 2:0-Führung in Heidenheim

Wieder Frust in Heidenheim: Der HSV verspielt die Tabellenführung durch eine 2:3-Niederlage nach einer 2:0-Führung.
Wieder Frust in Heidenheim: Der HSV verspielt die Tabellenführung durch eine 2:3-Niederlage nach einer 2:0-Führung. © dpa
Der sonst so sichere HSV-Rückhalt Sven Ulreich (l.) patzte kurz vor Schluss in Heidenheim folgenschwer.
Der sonst so sichere HSV-Rückhalt Sven Ulreich (l.) patzte kurz vor Schluss in Heidenheim folgenschwer. © imago / Eibner
HSV-Torhüter Sven Ulreich entschuldigt sich nach seinem groben Patzer.
HSV-Torhüter Sven Ulreich entschuldigt sich nach seinem groben Patzer. © imago / kolbert-press
HSV-Albtraum Christian Kühlwetter nach seinem dritten Streich.
HSV-Albtraum Christian Kühlwetter nach seinem dritten Streich. © imago / Jan Huebner
Ein ungleiches Duell: Heidenheims Topstürmer und Dreifach-Torschütze Kühlwetter stellte HSV-Verteidiger Toni Leistner vor Probleme.
Ein ungleiches Duell: Heidenheims Topstürmer und Dreifach-Torschütze Kühlwetter stellte HSV-Verteidiger Toni Leistner vor Probleme. © dpa
Auch wenn dieser Szene eine Abseitsposition vorausging: Heidenheims Drei-Tore-Mann Kühlwetter lief Leistner Knoten in die Beine.
Auch wenn dieser Szene eine Abseitsposition vorausging: Heidenheims Drei-Tore-Mann Kühlwetter lief Leistner Knoten in die Beine. © imago / Eibner
Die lauten Anweisungen von Trainer Daniel Thioune halfen nicht: Der HSV gab das Spiel in Heidenheim aus der Hand.
Die lauten Anweisungen von Trainer Daniel Thioune halfen nicht: Der HSV gab das Spiel in Heidenheim aus der Hand. © Witters
Manuel Wintzheimer (l.) bereitete beide HSV-Tore in Heidenheim vor.
Manuel Wintzheimer (l.) bereitete beide HSV-Tore in Heidenheim vor. © Witters
Abwehrspieler Toni Leistner erzielte das 2:0 in Heidenheim. Danach ging es für den HSV bergab.
Abwehrspieler Toni Leistner erzielte das 2:0 in Heidenheim. Danach ging es für den HSV bergab. © Witters
Sonny Kittel beim Treffer zum 1:0 für den HSV in Heidenheim.
Sonny Kittel beim Treffer zum 1:0 für den HSV in Heidenheim. © Witters
Sonny Kittel spielte nach seinem Führungstor arrogant.
Sonny Kittel spielte nach seinem Führungstor arrogant. © imago / HMB-Media
HSV-Torjäger Simon Terodde (r.) hatte nur eine Torchance in Heidenheim. Ansonsten war er komplett abgemeldet.
HSV-Torjäger Simon Terodde (r.) hatte nur eine Torchance in Heidenheim. Ansonsten war er komplett abgemeldet. © Witters
Khaled Narey (l.) verliert gegen Heidenheims Norman Theuerkauf das Gleichgewicht.
Khaled Narey (l.) verliert gegen Heidenheims Norman Theuerkauf das Gleichgewicht. © dpa
Moritz Heyer (2.v.l.) war diesmal nicht so zuverlässig wie gewohnt: Dem Defensiv-Allrounder unterliefen im Aufbau viele Fehlpässe.
Moritz Heyer (2.v.l.) war diesmal nicht so zuverlässig wie gewohnt: Dem Defensiv-Allrounder unterliefen im Aufbau viele Fehlpässe. © Witters
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Auch wenn der Verein verbal alles unternimmt, um nach außen einen unbelasteten Eindruck zu vermitteln. Die Parallelen zur vergangenen Saison, als mit nur einem Sieg im November und Dezember die Grundlage für den Nichtaufstieg gelegt worden war, sind offensichtlich. „Das ist uns jetzt erst einmal Wurscht. Wir leben im Hier und Jetzt. Es bringt uns einfach gar nichts, nach hinten zu gucken“, erwidert Mutzel energisch. „Wir gucken nach vorne.“

HSV-Mentalität: Mutzel erinnert an Saisonstart

Die Frage ist nur, ob auch die Spieler diesen Grundsatz tragen. In Heidenheim startete der HSV zunächst aggressiv, nahm das robuste Spiel der Gastgeber an und führte nach 25 Minuten verdient mit 2:0. Dieser Vorsprung hätte der Mannschaft Sicherheit geben müssen, denn der Matchplan von Trainer Thioune schien aufzugehen.

Doch die restlichen 65 Minuten ließen die Hamburger vieles von dem vermissen, was sie in der Anfangsphase noch so stark umgesetzt hatten. Als hätte die gesamte Mannschaft beschlossen, einen Gang runterzuschalten. Der Wille, in Heidenheim nicht nur fußballerisch, sondern auch kämpferisch zu überzeugen, war plötzlich nicht mehr ausreichend vorhanden.

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„Vielleicht sind wir uns manchmal zu sicher“, klagt Mutzel, der zwar fehlende Mentalität in einzelnen Spielsituationen einräumt, dieses Problem aber nicht pauschalisieren will. „Mit einem Mentalitätsproblem hätten wir die Siegesserie von fünf Spielen zu Saisonbeginn nicht geschafft, weil wir in der Phase genau diese Qualität gezeigt hatten“, sagt der Sportdirektor und erinnert an den kampfstarken 1:0-Sieg am 4. Spieltag beim neuen Tabellenführer Fürth, als der HSV nach der Roten Karte für Toni Leistner fast eine komplette Halbzeit lang in Unterzahl spielte – und sich geschlossen als Team gegen den drohenden Ausgleich wehrte.

HSV-Routiniers: Jetzt patzt selbst Ulreich

Doch von einer solchen Mentalität ist seit einigen Wochen nur noch wenig zu sehen. Eine verhängnisvolle Lässigkeit, vielleicht sogar eine Prise Arroganz einzelner Spieler nach der vermeintlich komfortablen Führung in Heidenheim, will Mutzel nicht von der Hand weisen. „Unser Problem ist, dass wir vielleicht nachgelassen haben. Ohne diese letzten paar Prozentpunkte wird es aber gegen jeden Gegner in dieser Liga schwer. Deshalb legen wir auch den Finger in die Wunde.“

Debatten über fehlende Mentalität in Hamburg sind keinesfalls neu. Auch der HSV hatte eben jene Schwachstelle im vergangenen Sommer als Hauptgrund für den verpassten Aufstieg analysiert. Mit Simon Terodde (32), Sven Ulreich (32), Toni Leistner (30) und Klaus Gjasula (30) wurden gleich vier Ü-30-Spieler verpflichtet, um Drucksituationen in Zukunft besser standhalten und Rückschläge schneller verarbeiten zu können. In beiden Bereichen sieht sich der Club deshalb auch besser gerüstet als in der Vergangenheit.

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Das Problem ist nur, dass sich bis auf Terodde schon jeder der genannten Routiniers persönliche Aussetzer geleistet hat und teilweise auch den Erwartungen hinterherhinkt. Das jüngste Beispiel lieferte Ulreich, dessen folgenschwerer Stockfehler kurz vor Schluss in Heidenheim das finale Gegentor ermöglichte. Gerade jener Ex-Bayern-Torhüter Ulreich, von dessen Verpflichtung sich der HSV mehr Stabilität erhofft hatte, und der bis zu seinem Patzer in Heidenheim positiv durch seine Ausstrahlung auffiel.

HSV mit Verlierer-DNA? Das sagt Mutzel

Nun mehren sich die Stimmen, dass sich auch die Neuzugänge immer schneller mit dem sogenannten HSV-Virus infizierten, deren Erbmaterial aus einer Verlierer-DNA bestünde. Eine These, der Michael Mutzel entschieden widerspricht. „Das halte ich für Unsinn. Wenn wir fünf Spiele gewinnen, haben wir auch keine Gewinner-DNA. Ich halte nichts von solchen Pauschalaussagen.“

Wie aber will der HSV gegen den Vorwurf ankämpfen, die Mannschaft könnte einmal mehr an der Angst vor der eigenen Courage scheitern? „Wir schauen im Training genau hin, wer einen Schritt mehr macht und wer besteht, wenn es ruppig wird“, sagt Mutzel, der von seinen Spielern fordert, die individuellen Fehler abzustellen. Zudem solle der HSV über Kampf und Mentalität zurück in die Erfolgsspur finden. Zwei Attribute, die in der Vergangenheit nicht gerade zu den Stärken des HSV zählten.