Hamburg. Finanziell ist der neue Weg äußerst lukrativ, doch ist er Methode – oder nur Zufall? Im Sommer wollte der HSV zwei Franzosen.

Dass der HSV einen guten Saisonstart absolviert hat, ist unstrittig. Sechs Spiele, fünf Siege, ein Unentschieden. Damit könne man erst einmal zufrieden sein, sagt Michael Mutzel am Telefon, während er am frühen Montagmorgen seine Joggingrunde rund um den Jenischpark und an der Elbe entlang absolviert. Dass der HSV dabei aber auch noch Historisches vollbracht hat, so weit würde der HSV-Sportdirektor dann doch nicht gehen, während er noch läuft.

Dabei hat der HSV tatsächlich Geschichte geschrieben – ohne, dass es jemandem aufgefallen ist. So waren gegen St. Pauli (2:2) zehn HSV-Startelfspieler Deutsche, eine Woche zuvor gegen Würzburg (3:1) waren es sogar elf. Das hat es seit dem 29. Mai 1993 beim HSV nicht mehr gegeben. Damals traten die Hamburger mit elf Deutschen am vorletzten Spieltag in Bremen an, verloren 0:5. Es folgten die neue Ausländerregel (drei statt zwei), das Bosman-Urteil 1995 und 923 Punktspiele, in denen der HSV stets mindestens einen Profi mit ausländischem Pass von Beginn an einsetzte.

Politisch muss man sich natürlich keine Sorgen machen, dass der HSV einen neuen Weg einschlägt. Spätestens seit der Debatte um Bakery Jatta ist klar, dass der Club für eine offene und multikulturelle Gesellschaft einsteht. Umso mehr stellt sich die Frage, ob es Zufall oder doch Methode ist, dass der HSV auf einer „Neuen Deutschen Welle“ reitet. Oder eine Mischung aus beidem.

HSV setzt verstärkt auf Talente

„In erster Linie ist es Zufall“, sagt Mutzel, als er eine kleine Pause zum Stretchen – und zum Nachdenken – macht. Und je länger er überlegt, desto logischer scheint die Erklärung. „Der Weg, auf Eigengewächse und junge, talentierte Spieler zu setzen, ist eine klare strategische Überlegung. Das zeigen auch die jüngsten Verlängerungen mit Jonas David, Aaron Opoku und Josha Vagnoman“, sagt der Sportdirektor.

Grundsätzlich spielt die Förderung deutscher Talente in der Zweiten eine sehr viel größere Rolle als in der Ersten Liga. Während es in der Zweiten Liga nur 144 Legionäre (29 Prozent) gibt, sind es in der Ersten Bundesliga mit 296 Ausländern (56,6 Prozent) fast doppelt so viele.

Zum Vergleich: Vor dem Bosman-Urteil 1995 lag die Ausländerquote in der Bundesliga noch bei 22 Prozent. Mutzels Erklärung: „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind bei uns und vielen anderen Zweitligaclubs oftmals der Hauptgrund. Als Zweitligist hat man nicht die finanziellen Mittel wie manch ein Bundesligaclub, die Toptalente aus Frankreich oder England zu verpflichten.“

HSV wollte im Sommer zwei Talente aus Frankreich

Nach Abendblatt-Informationen hatte auch der HSV im Sommer zwei Toptalente aus Frankreich auf dem Einkaufszettel, führte aussichtsreiche Gespräche. Allerdings war den Verantwortlichen schnell klar, dass man als deutscher Zweitligist finanziell nicht mithalten kann – schon gar nicht mitten in der Corona-Krise.

„Der französische und der englische Markt ist im Vergleich zum deutschen Talentemarkt sehr viel teurer“, sagt Mutzel, der allerdings auch in England und in Frankreich eine ähnliche Lücke zwischen den ersten beiden Ligen beobachtet hat: „Ich würde mal tippen, dass in der englischen Championship viel mehr Engländer als in der Premier League spielen, weil die Premier-League-Clubs ihre finanziellen Möglichkeiten nutzen, um die besten Legionäre der ganzen Welt zu verpflichten.“

Mutzel hat recht. In der Premier League spielen 343 Ausländer (61,5 Prozent), in der Championship sind es 302 Legionäre (47,5 Prozent). Ähnlich das Bild in Frankreich: In der Lique 1 sind es 276 Legionäre (48,7 Prozent), in der Lique 2 nur 203 Ausländer (35,9 Prozent).

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HSV hat gleich der U-21-Nationalspieler

So dürfte es keine Überraschung sein, dass auch der Anteil von U-Nationalspielern in der Zweiten Liga hoch ist. Beim HSV hegen mit Manuel Wintzheimer, Stephan Ambrosius und Josha Vagnoman drei Youngster Hoffnungen, in diesen Tagen von U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz für die kommende Länderspielwoche eingeladen zu werden. Auch die Zweitligaprofis Florian Krüger (Aue), Dominik Kother (Karlsruhe), Lars Lukas Mai (Darmstadt) und Tim Handwerker (Nürnberg) haben beste Chancen.

„Beim HSV mag es Zufall sein, dass an einem Spieltag elf von elf Deutsche in der Startformation standen. Was mich aber optimistisch stimmt: Die Jungs sind ja alle gut, sonst würden sie nicht beim HSV in der Anfangsformation stehen“, sagt U-21-Nationaltrainer Kuntz dem Abendblatt. „Natürlich profitieren die deutschen U-Nationalmannschaften davon – und im Fall von Wintzheimer, Ambrosius und Vagnoman auch ich. Das sind alles drei interessante Spieler.“

Allerdings mahnt Kuntz gleichzeitig, dass Deutschland grundsätzlich in der Nachwuchsförderung hinterherhinke. In der Ausbildung seien Technikgrundlagen zulasten der Taktik verloren gegangen. Kuntz rechnet vor: Am letzten Spieltag der vergangenen Saison kamen in der Bundesliga nur 15 potenzielle oder tatsächliche deutsche U-21-Nationalspieler zum Einsatz, fünf davon standen in der Startelf. Zum Vergleich: In der Premier League waren es 34 bei 21 Startelfprofis, in der Serie A 31 (zehn von Beginn an) und in der spanischen La Liga 25 bei zehn Startelfspielern. Damit sei man im internationalen Vergleich hinten dran.

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HSV: Mehr DFL-Fördergelder für Local Player?

Mit dem vor Kurzem vorgestellten Projekt Zukunft will der DFB dagegen angehen. Und auch in der DFL ist man sich der Problematik bewusst. So werden seit Jahren die Proficlubs honoriert, die besonders konsequent auf „Local Player“ (mindestens drei Jahre Registrierung zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr bei einem Club im Bereich des DFB) setzen.

Der Fördertopf beträgt grundsätzlich zwei Prozent der nationalen Medienerlöse und lag somit für die Saison 2018/19 bei rund 22 Millionen Euro. Die „Neue Deutsche HSV-Welle“ könnte in dieser Saison also nicht nur für einen hübschen Eintrag in den Geschichtsbüchern sorgen – sondern auch in der Jahresbilanz von Finanzvorstand Frank Wettstein.